BAG Positionspapier: Polizeigesetze in den Bundesländern

29.06.18 –

Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht zu den derzeitigen Verschärfungen der Polizeigesetze in den Bundesländern

Seit vielen Jahren werden in Deutschland die Sicherheitsgesetze immer wieder massiv verschärft. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und wegen angeblicher Befugnislücken wurden die Bürger*innenrechte, sowie grundgesetzlich verbriefter Recht (für z.B. Berufsgeheimnisträger*innen) in der Bundesrepublik durch mehr Überwachung und immer tiefgreifendere Eingriffsbefugnisse für die Sicherheitsbehörden massiv eingeschränkt.

Damit geht keinerlei Sicherheitsgewinn einher und die Erforderlichkeit dieser Eingriffe steht in Frage. Aus der gleichzeitig sinkenden Kriminalitätsrate ist abzulesen, dass Polizeiarbeit auch ohne diese neuen Maßnahmen wirksam sein kann.

Die Verteidigung individueller Grundrechte gegenüber einem allzu wissbegierigen Staat hat sich immer mehr zu einem Abwehrkampf entwickelt, der nicht selten vor den Verfassungsgerichten ausgetragen wird.

Die jüngsten Änderungen des BKA-Gesetzes und der StPO erscheinen als „Blaupause“ für die nun folgende Welle von massiven Verschärfungen der Polizeigesetze in den Ländern. Nachdem Bayern mit der Änderung seines Polizeiaufgabengesetzes (PAG) zum Angriff auf die Bürger*innenrechte geblasen hat, droht nun, dass in weiteren Bundesländern, diesem „Vorbild“ folgend, unsere Freiheit beschränkt wird.

Wir stehen für wirksame Gefahrenabwehr und Verbrechensbekämpfung auf dem Boden des Grundgesetzes und den Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit. Das Polizei-, Straf- und Strafverfahrensrecht als schärfster Eingriff des Staates in Freiheitsrechte erfordert die strikte Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten. Nur auf dieser Basis sind Effektivität, Praxistauglichkeit und Anpassung an moderne technische Möglichkeiten Maßstäbe für die Modernisierung des Polizei- und Strafverfahrensrechts.

Eine liberale, gut funktionierende Polizei wollen wir stärken, denn sie muss diese Prinzipien jeden Tag durchsetzen. Hierfür wird ein klarer gesetzlicher Auftrag, statt gesetzgeberischer Aktionismus und unbestimmte Rechtsbegriffe gebraucht.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht spricht sich für die Erarbeitung eines GRÜNEN, bürgerrechtsorientierten, Musterpolizeigesetzes aus, das diese und weitere Elemente enthält. Damit soll ein freiheitlicher Gegenentwurf zum aktuellen Trend allumfassender Überwachung gesetzt werden.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht stellt folgende Forderungen an die absehbaren Änderungen der Polizeigesetze auf:

1. Für mehr Grün in den Polizeigesetzen
Wir Grüne haben bei Änderungen von Polizeigesetzen in den Ländern oftmals Schlimmeres verhindert, zum Teil mussten wir jedoch auch inhaltlich harte Kompromisse eingehen, die für uns schwer erträglich sind. Nun gilt es für uns noch stärker als bisher, eine eigene Handschrift zu setzen. Dafür haben wir viele Ideen.

 

Für uns GRÜNE ist klar: Gerade polizeiliches Handeln muss transparent sein. Deshalb fordern wir in allen Ländern die gesetzliche Regelung einer Ausweis- und Kennzeichnungspflicht und einer unabhängigen, mit ausreichend Kompetenzen versehenen Beschwerdestruktur, die möglichem polizeilichem Fehlverhalten und internen Beschwerden nachgeht, um eine Fehlerkultur zu entwickeln.

 

Verdachtsunabhängige Kontrollen wollen wir verbieten, um RacialProfiling zu vermeiden. Bei verdeckten Überwachungsmaßnahmen braucht es eine Betroffenenanwaltsperson, die die Interessen der betroffenen Person vertritt und Beschwerde gegen die richterliche Anordnung erheben kann. Bei häuslicher Gewalt soll die Polizei geeignete Interventionsstellen einschalten, die mit den Beteiligten effektive Präventionsarbeit leisten.

 

2. Wahrung des Grundsatzes derVerhältnismäßigkeit

 

Die Polizeigesetze müssen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und die Bürger*innenrechte wirksam schützen, statt sie umfassend zu beschränken. Neue Eingriffsbefugnisse müssen für eine effektive Polizeiarbeit im Einzelnen auch tatsächlich nachweisbar erforderlich und wirksam sein und dürfen nicht unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger*innen eingreifen.

In einem freiheitlichen Rechtsstaat kann es keine hundertprozentige Sicherheit geben. Wer die Bürger*innenrechte immer mehr einem vermeintlichen allumfassenden Sicherheitsversprechen unterordnet, beseitigt die großen Errungenschaften des freiheitlichen Rechtsstaates.

3. Keine Verwässerung der Gefahrenbegriffe und Absenkung von Eingriffsschwellen
Wir wehren uns gegen die zunehmende Verwässerung der Gefahrenbegriffe im Polizeirecht. Unbestimmte Konstrukte wie die „drohende Gefahr“ im bayerischen Polizeiaufgabengesetz oder die Ausweitung abstrakter Gefahrendefinitionen in anderen Bundesländern dienen lediglich dazu, eine umfassende Überwachung von Menschen zu rechtfertigen, ohne dass überhaupt konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Die Unbestimmtheit dieser Rechtsbegriffe ist schlechte Arbeit der Legislative und verstößt gegen das Grundgesetz. Dies wird vor allem dazu führen, dass im Zweifel die Polizei entscheidet, welches Verhalten darunter zu subsumieren ist und Gerichten die Arbeit der Legislative zugeschoben wird.

Auch für bereits existierende polizeiliche Befugnisse werden die Eingriffsschwellen immer weiter herabgesetzt. Teilweise reicht bereits die Besorgnis einer einfachen Gefahr aus, um tiefgreifende Grundrechtseingriffe, wie Durchsuchungen und Ingewahrsamnahmen zu rechtfertigen.

In einigen Bundesländern wird derzeit die Präventivhaft von mehreren Wochen, teilweise mit der Option der Verlängerung bis hin zur Unendlichkeitshaft eingeführt. Voraussetzung für die Präventivhaft ist dabei ein vorgelagerter Gefahrenbegriff, d.h. zukünftig werden Personen über einen längeren Zeitraum weggesperrt, die noch weit von der Begehung einer Straftat entfernt sind. Wir lehnen diesen schwerwiegenden Grundrechtseingriff ab.

Wir lehnen die starke Ausweitung polizeilicher Befugnisse im präventiven Bereich ab, weil dies dazu führt, dass die Polizei bereits ohne konkreten Verdacht Maßnahmen gegen nahezu Jede*n ergreifen kann. Dies ist weder mit unserer Auffassung eines bürger*innenrechtsorientierten liberalen Rechtsstaates, noch mit dem Grundgesetz vereinbar.

4. Keine Ausweitung der Videoüberwachung

 

Wir lehnen die in vielen Polizeigesetzen geplante oder bereits vollzogene massive Ausweitung der Videoüberwachung ab. Videoüberwachung verhindert keine Straftaten, sondern verdrängt sie nur. Zugleich führt sie jedoch zu einer erheblichen Einschränkung unserer individuellen Persönlichkeitsrechte.

Insbesondere Möglichkeiten zur flächendeckenden Videoüberwachung ganzer Innenstädte oder die Umsetzung der sogenannten intelligenten Videoüberwachung stellen eine neue Dimension der Überwachung dar. Hierbei geht es nicht mehr um die Abwehr konkreter Gefahren, sondern um das Erlangen einer staatlichen Hegemonie über das Verhalten im öffentlichen Raum.

5. Keine Militarisierung der Polizei
Vor dem Hintergrund der Gefahr durch terroristische Angriffe wird bei der Polizei erheblich aufgerüstet. Teilweise ist die Verwendung von Maschinengewehren und Handgranaten für Spezialeinsatzkommandos vorgesehen. Die Polizei muss in der Lage sein, auch schwierige Einsatzsituationen adäquat bewältigen zu können. Das Ausmaß dieser massiven militärischen Aufrüstung und den Einsatz von Kriegswaffen kritisieren wir jedoch scharf. Die Anschaffung von Handgranaten und Schützenpanzern ist nicht Teil zeitgemäßer Polizeiausstattung, sondern schlicht unverhältnismäßig.

Zudem hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass schwerbewaffnete Polizeibeamte nicht nur in Extremsituationen eingesetzt werden. Bspw. sind martialisch auftretende und abschreckend wirkende Sondereinsatzkommandos am Rande von Demonstrationen keine Seltenheit. Auch deshalb ist eine Militarisierung abzulehnen.

6. Kritischer Umgang mit Gefährderbegriffen und der Definition von Kontakt- und Begleitpersonen
Wir stehen der Konstruktion des Gefährders, wie sie jüngst im BKA-Gesetz und nunmehr auch in einigen Landespolizeigesetzen vorgenommen wird, kritisch gegenüber. Dieser Begriff ist für den Bereich des internationalen Terrorismus aufgrund der weiten Vorfeldverlagerung von Straftaten nicht sinnvoll. Die Übernahme des Gefährderbegriffs in das allgemeine Gefahrenabwehrrecht ist zudem als absolut unverhältnismäßig abzulehnen.

Wir verwahren uns gegen eine weite Fassung der Definition von Kontakt- und Begleitpersonen in den Polizeigesetzen. Ein schwammiger Gefährderbegriff und weit gefasste Definitionen von Kontakt- und Begleitpersonen, verbunden mit entsprechenden auf diese Annahmen gestützten Maßnahmen, führen dazu, dass eine große Anzahl gänzlich unbeteiligter Personen ohne tatsächliche Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr überwacht werden.

7. Ablehnung der Fußfessel im Polizeirecht
Die Fußfessel für Gefährder, also für Personen, die keine Straftat begangen haben, ist ein schwerer Grundrechtseingriff und gleichzeitig einer der größten Akte der Symbolpolitik in der Sicherheitsgesetzgebung der letzten Jahre. Wir lehnen den präventiven Einsatz von Fußfesseln konsequent ab.

Die Fußfessel ist nicht – und auch in der Kombination mit Aufenthalts- und Kontaktverboten nur bedingt – in der Lage, wirksam schwere Straftaten zu verhindern. Schwere Grundrechtseingriffe, die überdies noch vollkommen wirkungslos sind, kommen für uns nicht in Frage.

8. Ein klares Nein zu Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung
Die Quellen-TKÜ öffnet Tür und Tor für eine umfassende Überwachung.

Die Installation von staatlichen Trojanern als Voraussetzung für die entsprechenden Maßnahmen ist nach unserer Auffassung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes kaum zulässig. Zudem stellt die hierfür nötige Offenhaltung von Sicherheitslücken eine erhebliche Gefahr für die IT-Sicherheit aller Bürger*innen, Unternehmen und Behörden dar. Aufgabe des Staates ist es, die Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen zu gewährleisten, statt sich zum Helfershelfer von Kriminellen zu machen.

Deshalb lehnen wir in der Gesamtabwägung zwischen einem Interesse an einer effektiven Abwehr von Straftaten und den Risiken einer Quellen-TKÜ die Einführung der Quellen- TKÜ und der Online-Durchsuchung konsequent ab.

9. Keine ausufernden Datensammlungen bei den Sicherheitsbehörden
Bereits jetzt sind viele Bürger*innen ohne ihr Wissen und oftmals aufgrund kruder Anhaltspunkte in polizeilichen Datenbanken gespeichert. Dies kann beim Kontakt mit der Polizei konkrete Auswirkungen auf deren Handeln haben. Die weitere Ausweitung der Befugnisse der Polizei für das Anlegen von Datenbanken und die Speicherung von Daten lehnen wir strikt ab.

Insbesondere der Schaffung immer größerer Verbünde zum Datenaustausch und der Möglichkeit der Zweckänderung der erhobenen Daten treten wir zum Schutz der Grundrechte entgegen. Die Umsetzung der JI-Richtlinie sollte stattdessen zum Anlass genommen werden, die polizeiliche Datenverarbeitung strengeren Begrenzungen zu unterwerfen und den Datenschutz wirksam zu verbessern. Betroffene sollten über eine Speicherung pro-aktiv informiert werden, insbesondere wenn die Polizei nach Freispruch oder Verfahrenseinstellung weiterhin Daten über einen Vorgang speichern will oder wenn personenbezogene Hinweise mit stigmatisierender Wirkung aufgenommen werden sollen. Eine effektive Datenschutzkontrolle durch die Landesdatenschutzbeauftragten muss sichergestellt werden.

Eine Digitalisierung der Polizeiarbeit muss an den Grundsätzen von Datenschutz, insbesondere der Verhältnismäßigkeit und Datensparsamkeit, sowie der Datensicherheit ausgerichtet sein.

10. Bürger*innenrechtseingriffe nur mit Evaluation und Verfallsdaten
Eingriffe in die Bürger*innenrechte müssen immer wieder einer Überprüfung unterzogen werden. Kaum eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze ist – selbst wenn sie erwiesen unnötig war – wieder durch die Gesetzgeber zurückgenommen worden. Allenfalls wurde die Verschärfungsspirale durch Entscheidungen der Verfassungsgerichte durchbrochen.

Wir fordern eine regelmäßige wissenschaftliche Evaluierung aller Sicherheitsgesetze. Die Befugnisse müssen zudem eindeutig befristet werden, damit sich die Parlamente mit der Notwendigkeit der Eingriffe in die Freiheit der Menschen immer wieder aktiv auseinandersetzen müssen.

Beschluss der BAG Demokratie und Recht von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN auf der Sitzung am 09./10.Juni 2018 in Berlin