Beschluss BAG Energie: Energiemarktdesign der Zukunft

26.11.19 –

https://www.bag-energie.de/cms/beschluss-bag-energie-energiemarktdesign-der-zukunft/

Energiemarktdesign der Zukunft –

Wie ein Energiemarkt mit mehr als 65% erneuerbaren Energien für alle Endenergiebedarfe funktionieren kann

(Vorlage: AK Energiemarktdesign)

 

1      Leitlinien

Unser grünes Energiemarktdesign schafft die Rahmenbedingungen für den Umbau zu einem vollständig dekarbonisierten Energiesystem, das zu 100% aus Erneuerbaren Energien versorgt wird.

Die radikale Dekarbonisierung ist notwendig, um den menschengemachten Klimawandel auf 1,5° C zu begrenzen. Das ist die Vereinbarung im Pariser Klimaabkommen, die wir einhalten wollen. Zudem zeigt sich schon jetzt, dass wichtige “Kipppunkte” der Klimaveränderung schon früher als befürchtet erreicht werden könnten.

Deutschland und Europa haben eine besondere Verantwortung. Hier wurde die großindustrielle Nutzung fossiler Brennstoffe erfunden. Wir und unsere Vorfahren haben einen großen Teil der menschlich bedingten Treibhausgasemissionen verursacht.

 

Klimaschutzziele festschreiben

Klimaschutz muss ein oberstes Ziel aller deutscher und europäischer Politik sein. Damit das nicht abhängig von wechselnden politischen Mehrheiten ist, verankern wir Klimaschutz als Staatsaufgabe im Grundgesetz. Alle Maßnahmen sind in Hinblick auf 100% Erneuerbare zu planen. Bei der Festlegung der Klimaschutzziele orientieren wir uns an folgenden 3 Leitlinien:

  1. Wir stehen zum Paris Agreement. Die Erderwärmung ist deutlich unter 2 °C zu begrenzen und wir unternehmen umfangreiche Anstrengungen, um das 1,5 °C-Ziel zu erreichen.
  2. Wir wollen diese Ziele mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen. Eine Wahrscheinlichkeit von unter 67% halten wir für indiskutabel.
  3. Wir stehen für Klimagerechtigkeit. Deutschland hat eine große Verantwortung für die Emissionen, die schon in der Atmosphäre sind. Ab 2015 ist höchstens der Anteil an Emissionen anzurechnen, die unserem Anteil an der Weltbevölkerung entspricht.

Anfang 2016 betrug das Restbudget für das 1,75 °C-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% 880 Gigatonnen. Davon stünden Deutschland gemäß seinem Anteil an der Weltbevölkerung von 1,1 % anteilsmäßig daher noch 9,7 Gigatonnen zu. Bei jährlichen Emissionen von 0,8 Gigatonnen verbleiben 7,3 Gigatonnen ab Anfang 2019. Vor diesem Hintergrund müssen unsere CO2-Emissionen (und Äquivalente) sehr  schnell sinken: Ab 2020 muss folglich der CO2-Ausstoß jedes Jahr um mindestens 18% reduziert werden, bis 2035 müssen wir netto Null-Emissionen erreicht haben.[1] Eine deutlich schnellere Senkung in den nächsten Jahren erreichen wir, indem wir möglichst schnell, spätestens bis 2025 aus der Kohleverstromung aussteigen.

Dieses Vorgehen muss europäisch eingebettet sein. Wir setzen uns dafür ein, dass das Ziel der Klimaneutralität Europas deutlich früher als 2050 definiert und erreicht wird. Der Ausbau der europäischen Energiebinnenmarkts soll ebenfalls mit der Maßgabe erfolgen, möglichst viel Erneuerbare zu nutzen.

 

100% Erneuerbare effizient erreichen

Eine global gerechte und nachhaltige Entwicklung durch die Nutzung erneuerbarer Energie ist möglich. Dank des EEG sind Wind- und Sonnenenergieanlagen heute die günstigsten Stromquellen, nun gilt es, die Rahmenbedingungen für die nächste Skalierungsstufe zu setzen.

Unser Energiemarktdesign richten wir an dem Ziel „100% erneuerbar“ aus – und den schnellen Ausbau erneuerbarer Erzeugungsanlagen anreizen. Energieeffizienz und Energieeinsparung müssen dabei stärker als bisher in den Fokus kommen.

 

Marktdesign verbessern

Unser Marktdesign sorgt für die dezentrale Integration erneuerbarer Energien, einen ausreichenden Netzausbau und garantiert die Systemsicherheit, indem alle Marktteilnehmer, auch Erneuerbare und Speicher, dazu beitragen.

Wir verbessern die Marktbedingungen für Speicher- und Sektorkopplungstechnologien, so dass erneuerbarer Strom zur beherrschenden Primärenergiequelle werden kann. Ein wichtiger Baustein für diese Systemintegration ist es, die im System heute schon vorhandene Flexibilität maximal zu nutzen, um zu möglichst niedrigen Kosten ein sicheres System zu gewährleisten. Dazu bietet die Digitalisierung die technischen Möglichkeiten.

Die Basis für eine intelligente Systemintegration bilden Infrastrukturen, die mit einem hohen Nutzungsgrad betrieben und ausgebaut werden. Dafür muss ein funktionales Zusammenspiel von technischen (z.B. Kopplung der Strom- und Gasnetze) als auch von marktlichen Rahmenbedingungen (z.B. Wärmeerzeugung durch Strom) erreicht werden.

 

Preissignale setzen und Sektorziele festschreiben

Wir setzen die richtigen Preissignale – natürlich braucht CO2 einen Preis, und zwar einen, der sich an den Folgekosten der Treibhausgasemission orientiert [2]. Daneben sind Sektorziele für die Bereiche Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr erforderlich, um in allen Bereichen die Erfahrungen und Best Practices zu erreichen und Technologieentwicklungen anzustoßen. Diese können nur erreicht werden, wenn zusätzlich klare ordnungspolitische Regeln den Rahmen weisen: Wir legen fest, wann Schluss ist mit der Verstromung von Kohle und anderen fossilen Energieträgern, wann keine Verbrennungsmotoren mehr verkauft und keine Ölheizungen mehr eingebaut werden dürfen. Diese Ziele wollen wir auf marktlichem Weg erreichen anstelle von Entschädigungszahlungen. Der politische Rahmen weist dabei klar den Weg. Dort, wo die Vermeidungskosten besonders hoch sind, setzen wir parallel auf die gezielte Förderung von Maßnahmen, die schnelle CO2-Emissionsminderungen ermöglichen.

Unser Energiesystem der Zukunft ist ressourcen- und kosteneffizient. Das erreichen wir zuerst dadurch, dass Energie effizienter erzeugt und genutzt wird. Außerdem setzen wir auf eine deutliche Reduzierung des Primärenergieverbrauchs in allen Sektoren.

 

Alle Akteure einbinden

Wir nehmen alle Akteure in den Blick. Die Energiewende kann nur durch aktives Mittun einer großen Zahl von Akteuren gelingen und wirkt sich in nahezu allen Lebensbereichen aus. Erneuerbare werden in der Fläche ausgebaut und sind daher deutlich dezentraler als es zentrale konventionelle Kraftwerke waren. Die lokale Nutzung regional erzeugter Energie führt nachhaltiger und schneller zum Ziel als ein zentralisierter oder dirigistischer Ansatz. Jede Bürgerin und jeder Bürger soll die Energiewende mit vorantreiben können, z.B. indem die eigene Strom- und Wärmeversorgung selbst organisiert wird, durch die Beteiligung an Bürgerenergiegenossenschaften oder durch den Kauf von Energiewendeanleihen auf den Infrastrukturausbau.

Durch eine kluge Sozial- und Wohnungspolitik wollen wir die Grundversorgung an Energie zu einem angemessenen Preis für alle sicherstellen. Übermäßige soziale Härten werden wir verhindern, indem wir die Auswirkungen des Energiemarktdesigns sozialpolitisch monitoren und bei Bedarf rechtzeitig steuernd eingreifen.

Die energieintensive Industrie muss sich häufig im internationalen Wettbewerb messen. Das heißt für uns aber nicht, deren Energieverbrauch bedingungslos zu subventionieren. Wir wollen durch einen Grenzsteuerausgleich, eine Grundstoffabgabe oder ähnlich wirksame Instrumente Produkte, die im außereuropäischen Ausland im Vergleich CO2-intensiver erzeugt wurden, teurer machen, so dass europäische Produzenten in einem fairen Wettbewerb stehen.

Unser Ziel ist ein robustes erneuerbares Energiesystem mit weniger Energieimporten, stärkeren dezentralen Strukturen und effizienterer Ressourcennutzung.

Wenn sich unser Energiesystem so schnell so drastisch ändert, bedingt dies einen Strukturwandel. Davon ist insbesondere die alte Energiewirtschaft betroffen und die Regionen, in denen Braunkohle abgebaut wird. Wir wollen, dass diese Regionen zu Erneuerbaren-Energie-Regionen werden und dies entsprechend fördern.

Der Umstieg wird zu Umverteilungen führen. Gerade weil dezentrale, erneuerbare Energien günstiger sind – insbesondere wenn CO2 einen fairen Preis bekommt – werden davon diejenigen profitieren, die entsprechende Investitionen tätigen. Wir wollen einen sozialen Ausgleich, der aber nicht das System verkompliziert und die Energiewende bremst.

2      Zielpfad und Monitoring

Zu jedem Ziel gehört ein guter Plan. Wir brauchen jetzt einen Klimaschutzplan, der die Maßnahmen enthält, die zu einer schnellen Senkung von CO2-Emissionen führt. Ein Monitoring und effektive Mechanismen zum Nachsteuern sind dazu ebenfalls erforderlich.

Politisch einen „Masterplan“ für diese Transformation zu entwickeln, ist eine große Herausforderung. Anpassungen und Nachsteuerung werden immer wieder nötig werden. In puncto Emissionsreduktion ist höchste Effizienz aller Maßnahmen ausschlaggebend dafür, dass ein Erreichen der Ziele überhaupt möglich wird. Aber auch Kosten und Qualität der Energieversorgung sind wichtig. Dafür ist ein transpa- rentes und effizientes Monitoring nötig, das alle Energiesektoren umfasst. Die Offen- legungspflichten für Energieerzeugung, -transport und -verbrauch in allen Sektoren sollen verstärkt werden, so dass ein genaues, datengestütztes Monitoring auch für nicht-behördliche Akteure möglich wird.

3      CO2 wird zentrale Steuerungsgröße und bekommt einen Preis

Um eine schnelle Reduktion von CO2-Emissionen zu erreichen, ist ein CO2-Preis in allen Sektoren nötig. CO2 und die CO2-Äquivalente aller anderen Treibhausgase müssen schnellstmöglich einen möglichst realistischen Preis bekommen – das UBA beziffert die Folgekosten von CO2 zurzeit auf ca. 180 €/t[3]. Der Einstiegspreis muss in jedem Fall hoch genug sein, damit er zu wirksamen und raschen Emissionsreduktionen führt. Und er muss jedes Jahr steigen, damit für Industrie und Verbraucher klar wird: je schneller wir handeln, desto günstiger wird es.

Dafür führen wir einen Mindestpreis im EU ETS ein und sorgen durch die konsequente Löschung überschüssiger Zertifikate für einen klaren Entwicklungspfad dort. Dieses Vorgehen verbinden wir damit, international viel stärker als bisher für ein gemeinsames Bepreisungsregime zu werben.

In den bisher nicht emissionshandelspflichtigen Sektoren Verkehr, Wärme und Landwirtschaft entsteht über eine CO2-Steuer ein Preissignal, das bei Kürzung des Emissionsbudgets auch Knappheitssignale erzeugt. Diese setzt bei den Inverkehrbringern an, vergleichbar zu den heutigen Regelungen im EU ETS.

Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung nutzen wir, um soziale Härten der Umstellung abzufedern, indem sie für Klimaschutzmaßnahmen in einkommens- schwachen Haushalten genutzt werden (Anschaffungszuschüsse für energie- effiziente Geräte, Energieberatung u.a.)., für die Umsetzung von energieeffizientem sozialem Wohnungsbau, den Ausbau des ÖPNV und weiteren zielgerichteten Maßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass die Preissteuerung sozial gerecht erfolgt.

Dabei ist klar: Eine CO2-Bepreisung wirksam und akzeptabel zu gestalten, ist eine hochkomplexe und ganzheitliche Aufgabe, die deutlich über das reine Energiemarkt- design hinausgeht und mit politischen Maßnahmen in vielen Bereichen begleitet werden muss. Aber sie ist auch integraler Bestandteil des Energiemarktdesigns, da sie zu wichtigen Impulsen wie z.B. einer stark sinkenden Wettbewerbsfähigkeit der Braunkohleverstromung führt.

Die Einführung eines CO2-Preises wird Einsparungen im Bereich der fossilen Brennstoffe anreizen und diese schließlich aus dem Markt drängen, da sie im Vergleich dadurch deutlich teurer werden. Vor allem fossiles Gas ist heute im Vergleich zu grünen Alternativen noch zu billig, da quasi keine Abgaben und Steuern dafür anfallen. Dadurch rechnen sich oft weder Sektorkopplung noch Solarthermie- oder Abwärmeprojekte in der Industrie, auch wichtige Maßnahmen wie die Gebäudedämmung werden dadurch verhindert. Neben dem CO2-Preis ist also auch eine Reform der Energieabgaben und Steuern mit Blick auf die CO2-Intensität nötig.

4      Energieeffizienz und Einsparung

Effizienz und Einsparung sind wichtige Faktoren, um ein ein nachhaltiges Energiesystem schnell und kostenoptimiert zu erreichen. Energieeffizienz und Energieeinsparungen führen zu einem geringen Bedarf an Erzeugungsanlagen, aber auch der Netzausbau- und der Speicherbedarf fallen geringer aus.[4] Dazu bietet schon die EU Effizienzrichtlinie gute Chancen. Darauf wollen wir mit einer Reihe von Instrumenten aufbauen.

Gleichzeitig ist der Preis für Gas und Strom ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Industrielle Wertschöpfung soll weiterhin möglich bleiben in Deutschland, aber gleichzeitig ist sie auch mit Anforderungen in puncto Klimaschutz verbunden. Die Fortführung von Entlastungsmechanismen und dem Schutz einheimischer Produktion durch einen Grenzsteuerausgleich verbinden wir deswegen mit Verpflichtungen zur Reduktion der CO2-Intensität von Produkten und einer der Förderung der Umstellung auf klimaneutrale Prozessalternativen, z.B. durch spezielle Finanzierungsprogramme.

Da die Zeit zur Umstellung kurz ist, erwarten wir, dass weitere Maßnahmen nötig werden. Als zweites Instrument sind sogenannte weiße Zertifikate denkbar. Einspar- und Effizienzprojekte werden ausgeschrieben und auf diese Weise der kostengünstigste Weg zur Energieeinsparung gefunden. Die ersten Versuche mit diesem Instrument werden wir deutlich ausweiten, vor allem im produzierenden Gewerbe und in der Industrie. 

Wenn sich im Monitoring herausstellt, dass die CO2-Reduktionen nicht schnell genug erfolgen, werden absehbar ordnungsrechtliche Maßnahmen nötig, wie z.B die Einführung einer CO2-Quote bzw. eines CO2-Kontingents. Diese könnte beim Energieversorger ansetzen, der so in die Verantwortung kommt, Einsparprojekte mit seinen Kunden umzusetzen, um die Vorgaben zu erreichen.

5      Intelligentes Marktdesign für mehr Erneuerbare

Wir wollen ein Energiesystem erreichen, in dem die CO2-Emissionen möglichst rasch und deutlich gegen Null sinken. Die für ein erneuerbares Energiesystem notwendigen Investitionen werden erfolgen, wenn es endlich Planungssicherheit gibt. Dabei bleiben wir offen für neue Möglichkeiten und technische Entwicklungen.

Die rasant wachsenden technischen Möglichkeiten können wir zur Vernetzung und effizienteren Energienutzung nutzen. Wir optimieren die Regeln mit Blick auf das Ziel. Dabei können wir schon heute absehbare Lernkurveneffekte berücksichtigen.

Die Digitalisierung ermöglicht ein partizipatives 100% erneuerbares Energiesystem. Sie macht eine einfache und intelligente Vernetzung von dezentralen Verbrauchern und Erzeugern möglich. Moderne Leistungselektronik ist Bestandteil jeder Wind- und Solarenergieanlage, von Batteriespeichern, Elektroautos, modernen Maschinen und natürlich von Netzen. Auch Gewerbe- wie Haushaltsanschlüsse werden immer intelligenter, durch (zentral verordnete) moderne Stromzähler, aber auch durch selbst angeschaffte digitale Assistenten.

Markt und physische Realität des Energiesystems rücken damit viel näher zusammen. Mit heutiger Technik sind im Prinzip eine sekundengenaue Abrechnung sowie automatisierter Handel möglich. Ein digitales, möglichst echtzeitnahes System ist transparenter, weil Energieflüsse viel genauer zugeordnet werden können und auch die Herkunft der Energie nachvollziehbar wird. Es ist außerdem effizienter, weil weniger Ausgleichsenergie benötigt wird, wenn Prognose und Erfüllung der Lieferungen zeitlich enger beieinander liegen. Dafür müssen die Signale clever genutzt werden, ohne unnötige Komplexität und Angreifbarkeit.

Um die anspruchsvollen Emissionsreduktionsziele zu erreichen, müssen Erneuerbare großflächig ausgebaut werden, das gilt für alle Technologien in allen Bundesländern und auch auf allen verfügbaren Dachflächen. Alle existierenden Ausbaudeckel werden abgeschafft und stattdessen die Ausbauziele deutlich angehoben und regionalisiert, so dass auf Ebene der Bundesländer Ausbauverantwortung entsteht. Schon heute bauen Haushalte und Betriebe PV-Anlagen, liefen Wind- und Solarkraftbetreiber direkt Strom (über PPAs), teilweise auch in Kombination mit Speichern. Allerdings reicht dies noch nicht aus. Neben der schnellstmöglichen Abschaffung des 52-GW-Deckels für die PV müssen bürokratische Hemmnisse wie die „Sonnensteuer“ und die hohe Komplexität von Mieterstrommodellen abgebaut werden.

Wir brauchen einen kräftigen Ausbau von Solar und Windenergie unter Beteiligung aller Akteure. Dabei setzen wir auf vor allem auf Teilhabe, nicht nur “Akzeptanz”. Akzeptanz beschreibt das Einsehen ins Unvermeidliche. Die Energiewende gelingt aber nur wenn möglichst Viele möglichst aktiv mitmachen anstatt nur zu akzeptieren. Nur wenn die Menschen wissen, dass die Solar- und Windenergieanlagen in Ihrer Region sie mit Strom und auch mit Wärme und Transportenergie versorgen und sie an der entsprechenden lokalen Wertschöpfung teilhaben können, werden wir den nötigen Zubau gestemmt bekommen. Gleichzeitig wird so die Energieversorgung volkswirtschaftlich günstiger, da sowohl Privatpersonen und meist auch lokale Stakeholder niedrigere Kapitalkosten und Renditeerwartungen haben.

Außerdem wollen wir Hemmnisse wie überdimensionierte Abstandsregelungen abschaffen, die Regeln für die Genehmigung von Anlagen vereinheitlichen und alle Bundesländer zu einer ambitionierten Regionalplanung mit einem starken Ausbau von Wind- und Solarenergie anreizen und verpflichten.

Unser Marktdesign sichert die Refinanzierung erneuerbarer Energien in einem mehrheitlich erneuerbaren Energiesystem. Es ist fraglich, ob in einem solchen System der bisherige, zentrale Strom-Spotmarkt noch funktioniert, da er zu einer preislichen Kannibalisierung der Erneuerbaren untereinander führen würde. Da wetterbedingte Erzeugungsspitzen (wie die Mittagsspitze für PV) große Teile von Deutschland gleichzeitig betreffen, entsteht eine negative Preisspirale, die bei wachsenden Anteilen der Erneuerbaren immer mehr Stunden im Jahr betreffen. Deswegen wollen wir die Refinanzierung der Erneuerbaren auf mehrere Säulen verteilen:

  1. Eine Grundvergütung, die den Beitrag der Erneuerbaren zur Systemsicherheit und Netzstabilität entlohnt und dadurch sicherstellt. Sie orientiert sich nach der Größe der Anlage, dem prognostizierten Einspeiseprofil sowie der örtlichen Lage der Anlage im Netz und wird wettbewerblich ermittelt. Dafür verpflichten sich die Anlagenbetreiber, ihre Leistungselektronik bei Bedarf systemdienlich einzusetzen.
  2. Eine Produktionsvergütung pro erzeugter kWh, die durch die direkte Vermarktung der erzeugten Energie in einem echtzeitnahen Spotmarkt erlöst wird. Diese Direktvermarktung ist aber nicht mehr verpflichtend für alle erzeugten Energiemengen.
  3. Zur Optimierung und zum Risikomanagement sollen weitere Vertriebskanäle geöffnet werden, besonders regional dort, wo die Energie erzeugt wird. Power Purchase Agreements (PPAs) mit Großabnehmern sind bereits heute eine Option dafür, die mehr und mehr genutzt wird. Weitere regionale Vermarktungsmodelle werden sich entwickeln, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Durch solche mittel- und langfristigen Verträge entsteht Preis- und Planungssicherheit für eine möglichst große Vielzahl von Erzeuger*innen von erneuerbaren Energien und ein höherer Bezug der Energienutzer*innen in der Region mit “ihren” Erzeugungsanlagen.

Kurzfristig werden wir die Förderung erneuerbaren Strom von der gleitenden Marktprämie zu einer symmetrischen Marktprämie (Contracts for Difference, Differenzvertrag) weiterentwickeln. So wird die EEG-Umlage gesenkt. Die Sicherheit über zukünftige Erlöse bleibt bestehen und Finanzierungskosten niedrig. Die Akteursvielfalt in den Ausschreibungen wird unterstützt. Unabhängig von der langfristigen Neugestaltung des Strommarktdesigns müssen Bilanzkreise kurzfristig physikalisch verankert sein: Es muss zum Zeitpunkt der Erzeugung ein Transport mindestens theoretisch möglich sein. Ein Bilanzkreis zwischen Bayern und Schleswig-Holstein etwa wird diese Anforderungen nur schwer erfüllen können.

Zudem beleben wir die die Strompreise durch eine Dynamisierung der Stromnebenkosten.

 

6      EIN Energiemarkt – Kopplung der Sektoren

In einem im Wesentlichen auf Sonnen- und Windenergie basierenden, dezentral-erneuerbaren Energiesystem muss die saubere Energie effizient in die unterschiedlichen Sektoren integriert werden. Wie die Grafik unten zeigt, verursacht allein die thermische Energienutzung zurzeit gut die Hälfte aller CO2-Emissionen, wobei allein die Wärme für industrielle Prozesse 22% ausmacht. und der Bedarf an mechanischer Energie 42%, wobei 27% der Gesamtemissionen auf den Verkehr und in etwa ein Zehntel auf Maschinen entfallen. Originäre Stromanwendungen machen dagegen nur 9% der CO2-Emissionen aus.

(Quelle: Forschungsstelle für Energiewirtschaft, Entwicklung der anwendungsorientierten Emissionsbilanz in den Jahren 2006 bis 2016)

Gleichzeitig müssen selbst bei einer perfekten “Kupferplatte” erneuerbare Erzeugungsspitzen gespeichert, bzw. in andere Sektoren gekoppelt werden, da in einem hochgradig erneuerbaren System Spitzen von mehr als viermal der augenblicklichen elektrischen Höchstlast erreicht werden (siehe Grafik). Ein Stromnetzausbau in diesen Dimensionen ist nicht sinnvoll.

(Quelle: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) für 1.9.2016-30.8.2018, eigene Hochrechnung auf 380 GWp PV, 160 GWp Wind onshore und 20 GWp offshore)

 

Anders als viele Stromanwendungen ist der Energiebedarf für Wärme und Verkehr zumindest partiell steuerbar. E-Autos verfügen über einen eingebauten Speicher und sowohl Niedertemperatur als auch mittlere Prozesstemperaturen bis ca. 500°C lassen sich bereits heute günstig speichern. So können Erzeugungsspitzen relativ leicht um bis zu 48 Stunden (dem statistischen Mittel der Erzeugungsspitzen) verschoben werden.

Die dreidimensionale “Topologie“ der Sektorkopplung lässt sich intelligent nutzen: Wärme (oder auch Kälte) lassen sich schlecht transportieren, aber leicht speichern, während sich Strom schwerlich länger und in großen Mengen speichern, dafür aber recht gut transportieren lässt. Stromerzeugungsspitzen, die nicht komplett genutzt werden können, werden als Wärme gespeichert (Power-to-Heat) und später sowohl als Wärme und auch als Strom wieder nutzbar (Power-to-Heat-and-Power-Speicher u.a. auf Basis von Steinen, Keramik, Beton und Stahl sind bereits heute verfügbar). Außerdem können Erzeugungsspitzen auch in der E-Mobilität genutzt werden.

So ermöglicht die Sektorenkopplung die dezentrale Integration erneuerbarer Energiespitzen und gleichzeitig die Versorgung der Sektoren Wärme und Mobilität aus erneuerbaren Energiequellen. Die CO2-Emissionen des Verkehrs lassen sich durch Elektrifizierung rasch reduzieren. Wo das nicht sinnvoll ist, können synthetische Kraftstoffe den Verkehr dekarbonisieren. Heute beträgt der Anteil der mit elektrischen Antrieben zurückgelegten Wege lediglich 1,5 Prozent. Durch die Elektrifizierung steigt auch die Energieeffizienz. Während 1 Mio. PKW in Deutschland ca. 7,7 TWh fossile Kraftstoffe verbrauchen, benötigen 1 Mio. E-PKW für die gleiche Fahrleistung nur ca. 2,8 TWh in Form von elektrischer Energie[5]. Da wir auch massiv in den ÖPNV und den Ausbau von besseren Infrastrukturen für Fußgänger und Fahrradfahrer investieren wollen und gleichzeitig mit Car- und Ride-Sharing effizientere Systeme entstehen, müssen nicht alle heute mit dem Auto zurückgelegten Personenkilometer 1:1 ersetzt werden.

Der Energiebedarf der Wärmeversorgung wird aktuell mit einem hohen Anteil fossiler Energieträger gedeckt. Dadurch werden Emissionen in Höhe von insgesamt 275 Mio. t CO2 im Jahr verursacht[6]. Die Elektrifizierung über elektrische Wärmelösungen wie Wärmepumpen für Neubauten und die Nutzung von Fernwärme aus erneuerbaren Energien sind wichtige Bausteine. Dabei sollen neue Fernwärme-Technologien, wie kalte Netze, dezentrale Wärmeeinspeisung und Power-to-Heat berücksichtigt werden. Dabei wollen wir gleichzeitig faire Quartierslösungen zu ermöglichen.

Die Möglichkeiten werden allerdings durch den aktuellen baulichen Zustand im Gebäudebestand eingeschränkt. Wir brauchen also dringend mehr Gebäudesanierungen, damit der Energieverbrauch fürs Heizen reduziert und die Möglichkeit für den Einsatz erneuerbarer Wärme geschaffen wird. Dabei setzten wir vorrangig auf Bestandssanierung, nicht auf Neubau, um den Flächenverbrauch zu reduzieren. Das soll über ordnungsrechtliche Vorgaben in Verbindung mit Förderprogrammen erreicht werden. Im Neubau brauchen wir verbindlich echte Null- und Plusenergie-Häuser mit klaren Anforderungen an die energetische Qualität der Gebäudehülle.

Die Umwandlung von Strom in synthetische Gase oder Flüssigkraftstoffe (Power-to-X) ist nur dann sinnvoll, wenn genügend erneuerbare Kapazitäten vorhanden sind. Wir sorgen dafür, dass der Ausbau von Power-to-X-Kapazitäten und EE-Erzeugungsanlagen in Deutschland auf einem CO2-optimierten Weg erfolgt und kein fossiler Strom dafür genutzt wird. Wir haben schon viel in die Forschung und Entwicklung (z.B. von Elektrolyseuren) investiert, deswegen wollen wir die weitere Technologie- und Marktentwicklung unterstützen und gezielt fördern, z.B. über eine gezielte Steuerpolitik oder steigende Quotenvorgaben für grüne Gase und Flüssigkraftstoffe.

Herkunftsnachweise sollen für alle Energieträger erbracht und an die Verbraucher kommuniziert werden, auch für konventionelle. Dadurch wird die Transparenz erhöht und eine bewusste Kaufentscheidung möglich. Besonders für importierte Energieträger ist dies wichtig, damit klar wird, ob und in welchem Umfang diese zu Emissionsreduktion beitragen oder ihr entgegenwirken.

Wir wollen die Herkunftsnachweise ausweiten für Gas vergleichbar wie für Strom (Bilanzebene, Strombörse). Dadurch wird ein Vergleich von Gas aus verschiedenen Quellen möglich. Wir schaffen einen Steuerungsmechanismus für die Marktintegration von Erneuerbare Gasen (Biogas, Bio-Methan, Synfuels, Wasserstoff).  In der EU-Gasrichtlinie wollen wir eine Zielvorgabe für Erneuerbares Gas verankern.

Dank der Digitalisierung ist es heute möglich, Energieflüsse deutlich nachvollziehbarer zu machen. Dadurch kann ein Nachweis erbracht werden, dass zum Verbrauchszeitpunkt wirklich eine saubere kWh Leistung erbracht und transportiert worden ist. Dies gilt gleichermaßen für Gas und Fernwärme. Mittelfristig sollen die Nachweise verpflichtend werden, so dass für die Energiekund*innen erkennbar wird, warum ihre kWh ggf. teurer sind als die anderer (z.B. weil ihre Lieferant die erneuerbare Energie aus weit entfernten Kraftwerken kauft).

 

7      Flexibilität, Speicher und Netzsteuerung

Die Flexibilisierung der Erzeugungs- und insbesondere der Verbrauchsseite sowie der vorhandenen und neu zu errichtenden Speichern ist ein Kernelement unseres neuen Marktdesigns.

Wenn die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors ohne zusätzliche Anforderungen oder Anreize für Flexibilität erfolgt, könnte die elektrische Spitzenlast deutlich ansteigen, auch wenn der Stromverbrauch ggf. nur wenig steigt, wenn die Effizienzmaßnahmen greifen. Die Ursache dafür ist die mögliche Gleichzeitigkeit der Ladezyklen von Elektromobilität und dem Betrieb von Wärmepumpen. Eine deutlich höhere Spitzenlast würde zu übermäßigem Netzausbau bzw. Speicherbedarf führen und wäre daher ineffizient und teuer.

Dieses Risiko beschränken wir durch entsprechende Vorgaben an die Steuerbarkeit und Preissignale. Um die Spitzenlast zuverlässig abzudecken, setzen wir auf die Flexibilisierung von Lasten, Speicher und hochflexible Gaskraftwerke mit Wärmenutzung (betrieben mit grünem Gas).

Die höhere Fluktuation bei der Erzeugung und höhere Stromnachfrage in Spitzenzeiten führen absehbar zu höheren Preisschwankungen. Wir wollen, dass die Stromverbraucher*innen auf solche Preissignale reagieren können. Dazu benötigen Ladestationen ebenso wie Wärmepumpen intelligente Steuerungen und am Besten auch kleine Pufferspeicher (z.B. Warmwasserspeicher).

Im urbanen Raum kommen moderne Fernwärmenetze und Langzeitwärmespeicher zum Einsatz, die regenerativ erzeugte Wärme, z.B. aus großen Solarthermieanlagen, nutzen können. Solche Wärmespeicher können durch Power-to-Heat negative Regelenergie liefern. Gleichzeitig können Power-to-Heat-and-Power-Speicher sowohl Strom als auch Wärme zur Verfügung stellen.

Ab- und zuschaltbare Lasten stehen in Haushalten in kleinem Maßstab und großer Zahl, in der Industrie dagegen in großem Maßstab und kleinerer Zahl zur Verfügung. Durch intelligente Steuerungen und Lastmanagementsysteme können verständliche Preissignale an die Nutzer*innen (bzw. die von diesen verwendeten Zähler und Steuerungselemente) gesendet werden, so dass sie überhaupt anfangen können, darauf zu reagieren.

Wir wollen, dass der Kohleausstieg sofort beginnt und spätestens 2025 abgeschlossen ist. Das heißt, dass bestehende Gaskraftwerke kurzfristig Kohlekraftwerke ersetzen. Auf dem Weg zu 100% EE sollen diese GuD-Kraftwerke und Gasturbinen auf die Nutzung von EE-Gas ausgelegt sein. Schon heute verfügbare Gasturbinen können bereits bis zu 50% Wasserstoff verarbeiten.[7]

Unter Beachtung der Übergangszeiten von dem derzeitigen zu einem neuen System müssen schnellstmöglich Energiespeicher – insbesondere Batteriespeicher, Quartierspeicher, thermische Speicher. regionale Elektrolyseure und Wasserstoffspeicher an Engpässen eingebaut werden.

8      Zentral und dezentral

In unserem erneuerbaren Energiesystem sind sowohl die Erzeugung als auch der Verbrauch größtenteils dezentral. Die Syste   marchitektur soll daher ebenfalls von unten nach oben und sektorübergreifend gedacht werden. Dabei gilt es die ökonomisch und ökologisch beste Balance zwischen zentral und dezentral zu finden. Das umfasst offshore Wind, “mittelgroße” Winderzeugung (ab ca. 5 MW) an Land sowie wirklich verteilte kleinteilige Erzeugung (vor allem PV). All dies soll möglichst effizient ein möglichst flexibles System integriert werden.

Konzepte wie der zellulare Ansatz des VDE[8] zeigen wichtige erste Grundprinzipien auf. Statt das Stromsystem separat zu betrachten und zentral von oben nach unten auszuregeln, soll das Gesamtenergie- und damit auch das Stromnetz von unten nach oben kaskadierend ausgeregelt werden.

Zellular bedeutet dabei nicht zwangsweise autark, genauso wenig wie es bedeutet, dass der Ausgleich nur auf Ebene einer Zelle erfolgen soll. Es bedeutet, dass die lokal erzeugte, erneuerbare Energie zunächst lokal verwendet oder gespeichert wird und erst bei Erschöpfung der regionalen Nutzungsmöglichkeiten auf die nächste Ebene weitergegeben wird.  Der lokale Ausgleich wird ergänzt um den regionalen – und der wiederum um den überregionalen. Dabei wird auch klar: Die vermeintliche “Entsolidarisierung” von erneuerbaren Eigenverbraucher*innen, die das zentrale System weniger nutzen, aber seine Funktionen dennoch beanspruchen, gibt es nicht. Wenn Erzeugung und Verbrauch zeitgleich an einem Ort bzw. in einem engen räumlichen Radius möglich sind, ist das sehr effizient und belastet das Gesamtsystem wenig, da die vermehrte ortsnahe Nutzung auch zu weniger Transportbedarf führt.

Die Strommarktzonen werden wir neu denken – allein schon aufgrund der Marktdesign-Regelungen der EU. Sie sollen eine möglichst effiziente Nutzung erneuerbarer Energie ermöglichen – quer über die Sektoren und unabhängig von innereuropäischen Grenzen – und dabei nicht zu Engpässen führen. So ist vermutlich eine einheitliche Strommarktzone von Bayern und Österreich sinnvoller als ein Verbund von Bayern mit Norddeutschland. Dabei sind kleinere Zonen ebenso denkbar wie weiterhin eine zentrale Preiszone mit regional differenzierten Preiskomponenten entsprechend des Transportbedarfs. Darüber hinaus wollen wir sektorübergreifende und, wenn möglich, grenzüberschreitende Preissignale einführen. Dynamische Netzentgelte sollen die maximale Nutzung einer möglichst kleinen Infrastruktur sicherstellen. Das Prinzip des „nodal pricing“ kann auf Ebene der regionalen Zelle angewendet werden und so die maximale Nutzungseffizienz auf Zellebene ermöglichen.

9      Transport kostet

Die Gestehungskosten für Energie aus erneuerbaren Quellen werden weiter sinken. Maßgebliche Kosten werden in einem vernetzten, dezentral-zellularen Energiemarkt verschoben hin zur Infrastruktur und zum Systemmanagement. Diese Verschiebung wird sich auch in der Höhe und der Zusammensetzung der Netzentgelte niederschlagen Dabei sind vier Punkte wichtig:

  • Verursachergerechtigkeit Diejenigen, die Strom nutzen, sollten auch seinen Transport bezahlen. Die Transportkosten werden absehbar weiter steigen, deswegen müssen sie möglichst verursachergerecht weitergegeben werden, am Besten indem sie möglichst direkt in die Preisbildung am Strommarkt integriert werden. Wer sich darum bemüht, regional erzeugten Strom zu beziehen, kann so niedrigere Transportkosten erreichen.
  • Soziale und regionale Ausgewogenheit Die bundesweite Wälzung der Netzentgelte für die Übertragungsnetze muss um die bundesweiten Wälzungsmechanismus für die Netzentgelte für die Verteilnetze ergänzt werden. Das betrifft jeweils den Leistungspreisanteil. Dies führt zu einer deutlichen Reduzierung der Netzentgelte in den Ausbauregionen für erneuerbare Energien und erhöht so die Akzeptanz vor Ort.
  • Investitionssicherheit & Integrierte Netzplanung: Netzausbau benötigt viel Zeit und eine 100%ige Steuerbarkeit der genauen Systementwicklung gibt es nicht. Deswegen müssen “Sicherheitsinvestitionen” in neue Leitungen besonders gut begründet und gegen andere Flexibilitätsoptionen (Speicher, Sektorenkopplung, PtX) abgewogen werden
  • Bestmögliche Ausnutzung der existierenden Infrastruktur Um die Akzeptanz für Netzausbau zu gewährleisten muss klar dargestellt werden, wie welche Maßnahme zum effektiven Transport von erneuerbarem Strom beiträgt. Gleichzeitig muss gezeigt werden, dass die bestehende Infrastruktur auch voll ausgenutzt wird, bevor weitere Ausbauvorhaben genehmigt werden.
  • Transparenz Die Kosten für den Netzausbau und die Kosten aller Alternativen müssen transparenter werden, da sie zu einem wesentlichen Faktor der Energiewende werden. Deswegen steigen die Transparenzanforderungen an die Netzbetreiber, Schwärzungen von Berichten aufgrund von Geschäftsgeheimnissen sind für komplett regulierte, monopolistische Unternehmen nicht akzeptabel.

 

Dort, wo der Strom erzeugt und direkt verbraucht wird, sind die Netzentgelte geringer als dort, wo die volle Transportinfrastruktur benötigt wird, um die überregionale/internationale Lieferung des Stroms zu ermöglichen. Wir wollen einen Mindest-Leistungspreis für den Netzanschluss etablieren, um auf diese Weise die Netzkosten verursachergerecht zu verteilen. Die Zusammensetzung der Netzentgelte soll transparenter werden, damit deutlich wird, wo welche Kosten anfallen.

Die realen Kosten einer Infrastruktur ergeben sich aus dem Nutzungsgrad. Ein Netz, das nur zu 20% genutzt wird, ist viermal teurer pro transportierte kWh als ein Netz, das zu 80% genutzt wird. Bei der Planung aller Infrastrukturen wollen wir zugrunde legen, wie viele saubere kWh durchgeleitet werden können und dabei auch prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, den regionalen Energiebedarf zu erfüllen. Auch absehbare Entwicklungen wie z.B. die Möglichkeit des bidirektionalen Ladens von Elektrofahrzeugen sollen bei der Planung des Aus- und Umbaus der Energieinfrastruktur berücksichtigt werden.

Wir sorgen dafür, dass vorhandene Netzkapazitäten intensiver genutzt werden und so schon heute mehr Integration Erneuerbarer Energien ermöglichen. Eine Höher-Auslastung der bestehenden und zukünftigen Netze ist möglich unter Berücksichtigung der Systemstabilität, z.B. durch die konsequente Anwendung von Freileitungsmonitoring oder die Installation von Netzboostern – wobei auch Netzbooster wie sie in den USA oder Australien bereits eingesetzt werden gemeint sind, nicht nur die aktuellen Pläne der ÜNB.

Der notwendige Netzausbau muss zügig umgesetzt werden. Damit Abschaltungen von EE-Anlagen aufhören und der Redispatch-Bedarf sinkt, soll er auch durch Speicher und Sektorenkopplung ergänzt werden

Für den zellularen Ansatz entwickeln wir mit den Fachleuten klare (Sektoren)Kopplungs-Standards, um Planungsperspektiven und Investitionssicherheit beim Netzausbau (Strom wie Gas) zu gewährleisten.

Das deutsche Energiesystem ist in den europäischen Energiemarkt eingebettet. Im europäischen Energiemarkt soll ein grenzüberschreitender Austausch von Energie möglich sein. Transport soll dazu dienen, europaweit ein effizientes Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch herzustellen. Der Transport von Energie erfordert Infrastruktur und führt zu Übertragungsverlusten. Er ist daher kein Selbstzweck. Das europäische Marktdesign soll sicherstellen, dass die Kosten für den Transport im grenzüberschreitenden Energiehandel eingepreist werden. Um dabei zu realistischen Kosten zu gelangen, müssen auch vermiedene Transportkosten durch dezentrale Erzeugung/Verbrauch einbezogen werden.

Kurzfristig sind auch die stärkere Vernetzung und Automatisierung des Netzbetriebs wichtig, für die die nötige Technik bereits vorhanden ist. Hier greifen wir ordnungsrechtlich ein und verpflichten die Netzbetreiber, diese auch zu nutzen.

Das Ansteuerungsintervall der Kohlekraftwerke zur Netzstabilität ist momentan noch 15 min. Dies kann ordnungspolitisch gesenkt werden. So werden Batteriespeicher attraktiver und das Ziel „as close to real time as possible“ wird schneller erreicht.

Insgesamt müssen wir die Netzentgeltsystematik neu denken. Ein Übergangsvorschlag wäre verbindliche Leistungspreise verbunden mit hohen Peak-Zuschlägen bei Überschreiten der Bestellmenge. Sie können ein gutes Mittel sein, um bestehende und neue Flexibilität maximal auszunutzen und damit die jederzeit “zu sichernde Leistung” zu reduzieren. Gleichzeitig könnten Stromkund*innen den ÜNB für Knappheitszeiten oder Engpassbewirtschaftung eine kurzfristige (15 – 120min) Absenkung dieser Bestellleistung andienen (ggf. auch eine Erhöhung). Die bisher als Arbeitsmengenentgelte bezahlten Netzentgelte könnten zu 50% auf die Bereitstellungsleistung gelegt werden. Damit werden die Letztverbraucher*innen in die Lage versetzt, selbständig ihre eigene „Stromwirtschaft“ zu optimieren. Dabei ist es unerheblich, ob sie eine PV-Anlage, eine Wärmepumpe, ein BHKW oder etwas anderes betreiben. Es zählt allein das Verhalten in Bezug auf Engpasssituationen. Dafür erhalten sie im Vergleich zu heute deutlich reduzierte Netzentgelte und die Möglichkeit, bei einem Überschuss des EE- Dargebotes Strom für Anwendungen zu nutzen, die ihnen nützlich sind.

 

10   Mitwirkung aller Akteure

Die Energiewende ist aus bürgerschaftlichem Engagement entstanden. Darauf bauen wir auf: Wir setzen auf Partizipation – auf aktive Teilhabe und Mitmachen – und weniger auf (passive) Akzeptanz. Wir wollen Anwohner*innen an den Erlösen erneuerbarer Energien beteiligen. Dabei ist Vieles denkbar: Eine Kommunalabgabe genauso wie Genossenschaften, Bürger*innen-Energie oder Eigenverbrauch. Jede*r soll selbst die Energiewende vorantreiben. Dazu muss jede*r Energienutzer*in wissen, welchen Effekt das eigene Nutzungsverhalten für die Energiewende hat und wie Kosten zustande kommen. Bürgerinnen und Bürger sollen teilhaben an Entscheidungs- und Genehmigungsprozessen. Sie sollen auch finanziell profitieren vom Aufbau und der Nutzung der nötigen Erzeugungsanlagen sowie Netze und Speicher. Deshalb sorgen wir dafür, dass sich auch weiterhin kleinere Akteure wie Bürgerenergiegenossenschaften an dem Ausbau von Wind- und Solarenergie beteiligen. Als stark dezentrale Akteure sind Energiegenossenschaften prädestiniert, um die Ausbildung von Energiezellen mit zu entwickeln und zu unterstützen.

Private Haushalte sind für einen nicht zu vernachlässigenden Anteil der Energienachfrage verantwortlich: Im Jahr 2016 verbrauchten sie ca. 665 TWh Energie, was einem Anteil von gut einem Viertel am gesamten Endenergieverbrauch entspricht. Der überwiegende Anteil davon (ca. 558 TWh) entfällt auf Raumwärme- und Warmwasserbereitstellung. Daneben ist auch der Energiebedarf für Mobilität in großen Teilen den Haushalten zuzurechnen. Durch die stärkere Elektrifizierung wird das Laden von Elektroautos zukünftig auch über den Hausanschluss erfolgen. Dadurch steigt absehbar die Stromnachfrage, deswegen ist verbraucherfreundliche Flexibilisierung des Stromverbrauchs entscheidend. Neben ihrer Rolle als Energiekonsumenten agieren Haushalte zunehmend als Produzenten bzw. Prosumer und erzeugen und speichern Strom und Wärme, die sie selbst verbrauchen oder ins Netz einspeisen. Dabei ist natürlich auch Verbraucher*innenschutz wichtig: Mieter*innen, aber auch Käufer*innen von Wohnimmobilien zur Eigennutzung dürfen nicht durch intransparente Geschäftsmodelle bei der Kostenbeteiligung, etwa bei Wärmecontracting, getäuscht werden.

Die Industrie als Großverbraucher von Energie muss zum stärker als bisher auf Strom statt fossiler Brennstoffe für ihre Prozesse setzen. Sie wird zudem die Produktion auch am fluktuierenden Dargebote Erneuerbarer Energien ausrichten müssen, genau wie sie sich zu Beginn des fossilen Zeitalters an die starre Must-run-Produktion der meisten Dampfmaschinen angepasst hat. Diese Umsteuerung wird durch die Gestaltung des CO2-Preises initiiert, die sich besonders auf den fossilen Gaspreis auswirkt. Gleichzeitig sind weitere Anreize zum Energiesparen und zur Steigerung der Energieeffizienz nötig (s. Kapitel Einsparung und Energieeffizienz).

Auch komplette Prozessumrüstungen werden notwendig, damit die hohen Emissionsreduktionen erreicht werden können. Diese unterstützen wir mit gezielter Maßnahmenförderung und weiterer energischer Forschungsförderung. Die Möglichkeiten zur Flexibilisierung sind in der Industrie immens. Schon heute kommen zunehmend Lastmanagement-Systeme zum Einsatz. Sie begrenzen derzeit die Lastspitze des Strombezugs durch Abschaltung sekundärer Prozesse wie Druckluft- oder Kälteerzeugung, die speicherbar und/oder zeitlich verschiebbar sind. Solche Lastmanagement-Systeme könneng auch systemdienlich gesteuert werden. Auch hier spiegelt eine Kombination aus Preisanreizen und Verpflichtungen für die Systemsicherheit wider, dass große Verbraucher einen großen Effekt im System haben und damit auch eine größere Verantwortung tragen.

Stadtwerke sind wichtige, und potenzielle sogar Kernakteure bei der Umsetzung der Energiewende vor Ort. Ihr Bekanntheitsgrad ist hoch und die Orientierung ihrer Aktivitäten am regionalen Gemeinwohl in der Regel hoch. Gleichzeitig sind die Stadtwerke sehr verschieden in Bezug auf Größe, bereits realisierte Projekte und Maßnahmen, angebotene Dienstleistungen und dem Grad der bereits implementierten Sektorenkopplung. Stadtwerke können in der kurz- und mittelfristigen Umsetzung von Maßnahmen und Projekten zur Emissionsminderung eine Schlüsselrolle einnehmen, bspw. bei der Gebäudesanierung und beim EE-Ausbau im Gebäudebereich, Beteiligungsmodellen an EE-Anlagen u.v.m. Stadtwerke sollen Peer-to-Peer-Modelle ermöglichen und regionalen Ausgleich über Energieträger und Sektoren vorantreiben. Sie brauchen eine klare Investitionsstrategie und einen verlässlichen Rahmen, denn viele Gemeindehaushalte sind stark abhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Stadtwerke.

In den unteren Netzebenen sind über 90% der EE und perspektivisch auch neue, dezentrale elektrische Verbraucher angeschlossen. Daher wird die Rolle der Verteilnetzbetreiber an Bedeutung deutlich zunehmen. Sie werden zum Dreh- und Angelpunkt der (technischen) Interaktion von regionalen Erzeugern und Verbrauchern und können die Übertragungsnetzbetreiber bei der Bereitstellung von Systemdienstleistungen mehr und mehr unterstützen. Die Übertragungsnetzbetreiber ermöglichen einen europäischen Energieaustausch und -transport im Sinne der Energieunion und gewährleisten ebenfalls notwendige Systemsicherheit. Die Regulierung der Netzbetreiber passen wir auf diese Gegebenheiten an.

Übergreifend sind natürlich auch die Bundesregierung und die EU gefragt, die passenden Rahmenbedingungen für die notwendigen Veränderungen des Energiesystems zu schaffen.

 

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[1] Dieser Wert ergibt sich rechnerisch, wenn Deutschland einen angemessenen Beitrag zum Erreichen des 1,75 °C-Ziels leistet. Siehe auch: Rahmstorf (2019): Wie viel CO2 kann Deutschland noch ausstoßen?

[2] vgl. UBA 2019 “Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen

 

[3] vgl. UBA 2019 “Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen“

[4] Agora Energiewende (2014): Positive Effekte von Energieeffizienz auf den deutschen Stromsektor

[5] https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/publikationen/18-91-Die_neue_Wärmewelt_Innenteil_komplett_webvariante-neutral.pdf, S.14

[6] https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/emissionen-von-waermekraftwerken-anderen

[7] https://www.zfk.de/energie/gas/artikel/europaeische-gasturbinen-industrie-verpflichtet-sich-fuer-das-erneuerbare-zeitalter-2019-01-24/https://www.presseportal.de/pm/134252/4241105

[8] VDE (2019): Zellulares Energiesystem