Digitale Bildung – wie viele Bytes brauchen wir?

22.05.18 –

Von Jörg Staudemeyer

Wenn von digitaler Bildung die Rede ist, scheint oft das Motto „Viel hilft viel“ vorzuherrschen. Das ist sicher kein Wunder, denn Berlin ist auf diesem Feld weit zurück und die Versuchung ist groß, quasi in einer großen Hauruckaktion alles nachholen zu wollen, was in den letzten Jahren an Modernisierung von Bildungsinhalten und -methoden versäumt worden ist, zumal die Kassen jetzt voll sind (und sich dank DigitalPakt noch weiter füllen werden).

Wir sollten aber nicht versäumen, auch hier – wie Grüne es bei technischen Neuerungen eigentlich immer tun – Risiken und Nebenwirkungen zu betrachten. Die folgenden Fragen sollen die Aufmerksamkeit auf ein paar Aspekte lenken, die wir angesichts der verführerischen neuen technischen Möglichkeiten nicht aus den Augen verlieren sollten.

1. Über den pädagogischen Effekt des digitalisierten Lernens ist noch viel zu wenig bekannt. Es gibt kritische Stimmen, die an einer Verbesserung der Lernerfolge zweifeln und sogar negative Effekte auf die Entwicklung der Kinder befürchten lassen. Andererseits kann man nicht ohne Technikeinsatz Schüler*innen auf das Leben in einer digitalisierten Welt vorbereiten. Wie kommen wir zu den notwendigen Konzepten für die sinnvolle Nutzung und die Grenzen der digitalen Lehr- und Lernmittel, bevor Geräte und Software beschafft werden?

2. Die digitale Kompetenz der Lehrkräfte muss den neuen Anforderungen angepasst werden. Wenn digitale Bildung flächendeckend eingeführt werden soll, müssen die über 32.000 Lehrkräfte an Berliner öffentlichen allgemeinbildenden Schulen (plus Privat- und Berufsschulen) nicht nur mit den didaktischen, sondern auch mit den zum Teil komplexen technischen und rechtlichen Zusammenhängen vertraut sein, die sie benötigen, um die Geräte, die Software und die Netzinfrastruktur professionell und verantwortungsvoll nutzen zu können. Aufgrund des technischen Wandels werden permanente Auffrischungen erforderlich sein. Ist das mit den bestehenden Kapazitäten und Strukturen der Berliner Lehrer*innenfortbildung und unter den bestehenden Bedingungen (Freiwilligkeit der Fortbildung, keine Entlastung bzgl. der Unterrichtsverpflichtung) zu leisten?    

3. Geräte zum Lernen werden benötigt. Die alten Apparate im Computerraum reichen nicht mehr aus. Die Smartphones der Schüler*innen sind gut für die Kommunikation, aber keine Arbeitsgeräte. Es wird also eine geeignete Arbeitsausstattung benötigt, die sowohl in der Schule als auch zuhause verfügbar ist. Leistungsfähige mobile Geräte sind sehr teuer, veralten rasch, können leicht verloren gehen, gestohlen werden oder defekt sein und sind problematisch hinsichtlich des Datenschutzes (s.u.). Elternfinanzierte Geräte (wie in „Tabletklassen“) führen zu unerwünschter Segregation. Wie statten wir also die Schüler*innen in finanzierbarer Weise mit geeigneten Geräten aus, ohne den verlockenden Angeboten der kommerziellen, von eigenen Interessen getragenen Sponsoren zu erliegen?

4. Breitbandanschluss und WLAN für alle Schulen ist eine wichtige Forderung, um die Nutzung digitaler Mittel überhaupt zu ermöglichen. Aber welche Kapazitäten werden benötigt? Sollen alle Schüler*innen gleichzeitig Filme herunterladen können? Sind WLAN-Freie Räume erforderlich? Braucht es nicht ein Nutzungskonzept, um überhaupt die nötigen Bandbreiten bestimmen zu können? Und lassen sich die sicherheitsempfindlichen Funknetze gegen Einbrüche, Störungen von innen und außen, Missbräuche, Datendiebstahl, Identitätsdiebstahl usw. absichern?

5. Eine leistungsfähige Supportinfrastruktur muss die reibungslose Funktionsfähigkeit von Geräten, Netzen und Software gewährleisten und Schüler- und Lehrer*innen bei technischen oder anwendungsbezogenen Problemen unterstützen. Andernfalls kann die Technik nicht sinnvoll genutzt werden. Erfordert dies nicht neben den Techniker*innen vor Ort auch Hotlines, die bei akuten technischen Problemen in der Schule, zuhause oder unterwegs helfen können, wenn die Technik klemmt? Welche Kapazität müssen sie haben und wie müssen sie – auch außerhalb üblicher Bürozeiten – verfügbar sein?

6. Die Daten der Schüler*innen sind unantastbar. Ungeschützte Computer (insbesondere Smartphones) erlauben es, ihre Besitzer*innen auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Meinungen, Kontakte, Aufenthaltsorte, Bilder der Besitzer*in (und ihrer ungefragten Freunde) werden in ausländischen Rechenzentren gespeichert, verhökert, für Werbe (und andere?) Zwecke ausgewertet und unterliegen dem Zugriff auswärtiger Behörden. Wie unterstützen wir Schüler*innen und Eltern, die sich der Überwachung entziehen wollen? Wie vermeiden wir, dass Kinder, die nicht permanent online sein wollen, aus Schulkommunikation ausgeschlossen werden?

Die Digitalisierung in der Schule ist eine Mammutaufgabe mit noch viel mehr offenen Fragen, von denen wir manche gegenwärtig erst ahnen. Es ist Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. 

Jörg Staudemeyer ist Mitglied der LAG Bildung.

 

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