OFFENER BRIEF an Winfried Kretschmann: Mit Sicherheit unsicher: Algerien, Marokko, Tunesien & Georgien - Kein Sonderweg von Baden-Württemberg

14.02.19 –

Mit Sicherheit unsicher: Algerien, Marokko, Tunesien & Georgien

Kein Sonderweg von Baden-Württemberg

 

Hallo Winfried,

hallo Sandra, hallo Oliver,

mit Bestürzung haben wir, die LAG Migration & Flucht und die LAG QueerGrün, deine Äußerungen vernommen, Winfried, du könntest dir vorstellen im Bundesrat für eine Einstufung der Maghreb-Staaten und Georgien als sichere Herkunftsländer zustimmen. Dabei lehnen wir Grünen laut Parteibeschluss das Konzept der sog. „sicheren“ Herkunftsländer ab. Und das aus guten Gründen:

  • Eine Einstufung als "sicherer Herkunftsstaat" hat gravierende Folgen für die Betroffenen: Es gilt die gesetzliche Vermutung, dass es keine politische Verfolgung oder grausame/erniedrigende Behandlung im Herkunftsstaat gibt. Damit tritt eine Beweislastumkehr ein, die es für Asylbewerber*innen sehr schwer macht, überhaupt einen Asylantrag durchzukriegen.
  • Die Klagemöglichkeit gegen Bescheide wird so eingeschränkt.
  • Es gilt ein Beschäftigungsverbot, das einen Wechsel in einen festeren Status über Ausbildung/Beschäftigung unmöglich macht.
  • Es steht nicht im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht, das klare Vorgaben für den Status „sicher“ gemacht hat. So deklarierte Staaten müssen dementsprechend vollkommen frei von Verfolgung sein.
  • Pauschalisierungen wie „sichere Herkunftsstaaten“ sind falsch und können zu deutschen Menschenrechtsverletzungen führen: Jeder Mensch muss aber das Recht auf eine Prüfung seines individuellen Fluchtgrundes haben.

Dein Angebot nun zuzustimmen, wenn beispielsweise Homosexuelle ausgenommen würden, trägt nicht weit. Denn das BAMF erkennt Homosexualität regelmäßig nicht an. Zudem ist es widersprüchlich einen Staat als "sicher" zu bezeichnen, in dem Minderheiten Verfolgung oder grausamer/erniedrigender Behandlung ausgesetzt sind. Menschenrechtsverletzungen an Oppositionellen und Journalist*innen sind zudem belegt. Wenn uns der arabische Frühling und die daraus folgenden politischen Umwälzungen eines gezeigt haben, dann doch wie problematisch die Menschenrechtslage in diesen Ländern ist und dass alle, die für Demokratie und Meinungsfreiheit kämpfen und/oder frei uns selbstbestimmt leben möchten, unsere Unterstützung brauchen. Gerade erst sind in Tunesien mehrere Männer wegen Homosexualität verurteilt worden – Folter von Homosexuellen ist dort gelebte Praxis.

Daher ist für verfolgte Minderheiten, Oppositionelle und Journalist*innen diese Einstufung ein Schlag ins Gesicht. Und eine unmittelbare Bedrohung ihres Lebens. Auch die zivilgesellschaftlichen Willkommensbündnisse, mit denen wir in Kontakt stehen, zeigen sich entsetzt. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist dieser Schritt ein massiver Rückschritt. 

Daher sind wir sehr glücklich, dass bspw. Hessen und Schleswig-Holstein gegen jeden Druck standhaft bleiben und keinen faulen Kompromiss in Betracht ziehen. Diese Standhaftigkeit bei fundamentalen Grünen Positionen rechnen wir ihnen hoch an und wünschen wir uns auch von euch in Baden-Württemberg.

Wir möchten dich, Winfried, daher eindringlich bitten deine Entscheidung und deren Auswirkungen zu überdenken. Die Folgen wären für die betroffenen Menschen fatal. Auch wir Grüne selbst würden massiv an Glaubwürdigkeit verlieren. Für Deutschland hat eine Ablehnung dieses Konzepts hingegen keine negativen Auswirkungen: Der Anteil der Schutzsuchenden aus diesen Ländern ist in Deutschland gering und sinkt stetig, die Abschiebungsrate hingegen steigt. Bei deiner geplanten Zustimmung gibt es viel zu verlieren, aber nichts zu gewinnen.

 

Svenja Borgschulte & Jian Omar                                                         Maria Meisterernst & Ulli Reichardt

(Sprecher*innen LAG Migration & Flucht Berlin)                            (Sprecher*innen LAG QueerGrün Berlin)