Menü
Das was aktuell die Defizite des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschreibt, ist kaum noch von der Politik zu lösen, ohne dass die verfassungsrechtlich garantierte Rundfunkfreiheit tangiert wird. Sprich: die anstehenden Probleme müssen weitgehend in den Häusern selbst angepackt werden.
Trotzdem kann die Politik hier eingreifen, in dem sie die die Probleme und Unzulänglichkeiten analysiert und zu Sprache bringt und damit die Sender in die Pflicht nimmt.
Auch sich selber muss die Politik in die Pflicht nehmen, und zwar ganz besonders in puncto Beitragsdebatte.
Zunächst einmal gilt es aber festzuhalten, welche Maßnahmen die Medienpolitik noch treffen müsste, um die Reform der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu flankieren.
Im Hinblick auf die Reformvorschläge sind vier Kategorien zu definieren:
Daraus ergibt sich, dass die Punkte 2 und 3 nur in äußerst eingeschränktem Umfang dem medienpolitischen Zugriff unterliegen, wie etwa bei der Definition des Auftrages.
Zu den aktuell ungelösten oder nur ansatzweise gelösten Aufgaben der Medienpolitik gehören die langfristige finanzielle Absicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Das BVerfG hat zuletzt in seinem Sachsen-Anhalt-Urteil noch einmal betont, dass die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „bedarfsgerecht“ erfolgen muss, das heißt, dass die Aufgaben den Finanzbedarf bedingen und nicht umgekehrt. Daran haben sich die Bundesländer zu halten, ohne das einzelne Ministerpräsident:innen aus wahltaktisch motivierten, populistischen Gründen die Finanzierung in Frage stellen können.
Um es klar zu sagen: die Rundfunkbeiträge sind in den letzten 23 Jahren (von 2005 bis zum Ende der kommenden Gebührenperiode 2028) im Durchschnitt real um 1,6 % p.a. gesunken. Von einer zusätzlichen Belastung der Beitragszahler:innen kann also keine Rede sein – im Gegenteil: der provozierte Kostendruck schlägt auf die größtenteils freien Produktionsfirmen und freien Mitarbeiter:innen durch.
Obwohl Rundfunkanstalten in ihren Verträgen von ihren Zulieferern Tariftreue verlangen, umgehen sowohl die Anstalten als auch die Zulieferer trickreich die Regelungen.
So werden inzwischen Ausnahmetatbestände in Tarifverträgen für Schauspieler:innen zunehmend als Regelbezahlung angewandt. (https://uebermedien.de/93352/wer-aufmuckt-wird-nicht-mehr-besetzt)
In diesem Sinne ist es sinnvoll, sich für eine Indexierung des Rundfunkbeitrages einzusetzen. Die Indexierung ist für die Nutzer:innen leichter nachzuvollziehen als ein regelmäßiger Streit um die Beitragserhöhung im Gegenwert eines Brötchens, den eine für den Normalbürger eher anonyme Kommission festgelegt hat und um deren Höhe sich dann Politiker:innen ohne ausreichende Sachgrundlage streiten. Wir stehen für mehr Akzeptanz des Rundfunkbeitrages.
Die KEK sollte als Regulativ beibehalten werden, insbesondere um eine branchenspezifische Indexierung zu begleiten. Allerdings fehlt bei der Besetzung der KEF kulturwirtschaftlicher Sachverstand. Die Zahl der Vertreter aus Rechnungshöfen kann von fünf auf drei reduziert werden zugunsten von Expert:innen, die sich mit den ökonomischen und sozialen Bedingungen der AV-Produktion auskennen.
Gleichzeitig sprechen wir uns gegen eine soziale Staffelung des Beitrages aus. Das ist in der Verwaltung zu bürokratisch (der Beitragsservice müsste praktisch von allen Beitragszahlern die Steuerbescheide prüfen) und in Sachen Beitragsakzeptanz wiederum kontraproduktiv, weil die Diskussion über die Einstufungsschwelle vehement geführt werden dürfte.
Stattdessen wäre eine Anhebung der Freibetragsgrenze für die Beitragsbefreiung zu diskutieren, ebenso wie über den Umstand, wie die Anstalten weniger rigoros ablehnend mit Befreiungsanträgen umgehen sollten.
Zur Frage der Finanzierung gehört auch, dass die Medienpolitik die Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Anstalten definiert und in Landesgesetzen und Staatsverträgen fixiert. Sie hat zuletzt die die Definition der Aufgaben der Sender an die Rundfunkräte delegiert und somit die Grundlage der „bedarfsgerechten Finanzierung“ aus der juristischen Verbindlichkeit entlassen.
Weitere medienpolitisch zu lösende Fragen betreffen die einschlägigen Medienstaatsverträge. Zwar bedürfen sie ohne Weiteres keine zusätzliche parlamentarische Zustimmung bei Kündigung durch einen Ministerpräsidenten. Aber angesichts der Gefahr des Mißbrauches dieser Regelung durch populistische Parteien, sollten Verfahren gefunden werden, den Parlamentsvorbehalt für eine Kündigung festzuschreiben. Zu denken wäre da an einen einschlägigen Passus im entsprechenden Staatsvertrag.
Bei der Aushandlung neuer oder überarbeiteter Staatsverträge ist regelmäßig zu beobachten, dass die Parlamente übergangen werden. Ihnen wird in der Regel nur noch ein Zustimmungsgesetz vorgelegt, womit sie nur in toto den kompletten Staatsvertrag akzeptieren oder verwerfen können. Hier wäre eine gesetzlich verankerte Verpflichtung zur frühzeitigen Vorabinformation und folgender Konsultation analog zur europäischen Gesetzgebung sinnvoll. Ein Beispiel dafür ist der § 67, Absatz 5 in der neuen Thüringischen Verfassung in dem die Rechte des dortigen Landtages im Rahmen der unionsrechtlichen Subsidiaritätsprüfung verankert wurde. (siehe auch: https://www.gruene-thl.de/media/12572).
Ad 2: Auf der Ebene der Kontrollgremien gibt es noch eine Reihe von Verbesserungsverfahren. So wollen wir die Autonomie der Verwaltungs- und Rundfunkräte durch die Schaffung von unabhängigen Gremiengeschäftsstellen und einer ebensolchen unabhängigen Compliance-Abteilung gestärkt wissen. Auch wären wissenschaftliche Beiräte und Publikumsbeiräte, die den Rundfunkräten beratend zur Seite stehen, denkbar.
Die Arbeit der Verwaltungsräte kann optimiert werden durch eine qualifizierte Suche nach geeigneten Mitgliedern mit definierten Mindestqualifikationen, wie es in einigen Staatsverträgen und Mediengesetzen schon vorgegeben ist (WDR, ZDF, DLF). Darüberhinaus sollten offene Ausschreibungen für weitere Positionen stattfinden analog zum DLF-Verfahren.
Wichtig ist nicht nur eine permanente Überprüfung der entsendeberechtigten Gruppen, sondern auch die Einbeziehung einer Bürgerbank. Die Medienpolitik sollte sich um eine Förderung von Bürgerinitiativen kümmern, die sich engagiert mit der Gestaltung der Medienzukunft befassen. Aus diesen Gruppen sollten verstärkt Vertreter in alle relevanten Gremien – auch in der Privatfunkaufsicht – rekrutiert werden.
Vertragsgestaltung in der Leitungsebene: Aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte heraus kann gesagt werden, dass das Leitungspersonal der öffentlich-rechtlich Anstalten fast nie aus der freien Wirtschaft stammte. Insofern ist es auch nicht notwendig, mit Vergütungsniveaus zu hantieren, die weit jenseits des Gefüges des öffentlichen Dienstes liegen und Ministergehälter überschreiten.
Ruhestandsregelungen sollten sich an den Regularien für Parlamentarier orientieren: die Amtszeit bestimmt die Dauer der Übergangsbezüge und diese fallen weg bei Antritt eines anderen Dienstverhältnisses oder der Aufnahme einer dauerhaften selbständigen Tätigkeit
Für Altersbezüge gilt: die Mitglieder der Leitungsebene kümmern sich um eine Eigenversicherung etwa in berufsständischen Versorgungskassen. Zuschüsse der Sender überschreiten nicht die Abgaben bis zur Beitragsbemessungsgrenze.
Weiter sollte zu den Aufgaben der Rundfunkräte in Zukunft gehören, über Programmqualität, Quotenhörigkeit, publizistische und kulturelle Aufgaben zu diskutieren und ggfs.in rundfunkrechtlich zulässiger Weise proaktiv Vorgaben zu formulieren.
Ad 3: Eine politisch nur beschränkt zu gestaltende Ebene ist die der Redaktions- und Hierarchiepolitik. Hier sind am ehesten die Rundfunkräte gefragt.
Derzeit haben sich in den öffentlich-rechtlichen Anstalten Hierarchien herausgebildet, wo Menschen mittleren Alters auf Karrieretrip Entscheidungen fällen, die redaktionell nicht sinnvoll sind. So wurde dem rbb verordnet, auf den Begriff „Kultur“ bei der Umwidmung seiner 3. Radiowelle zu verzichten. Andere Anstalten dagegen benutzen diesen Begriff gerade wieder neu. Der SWR hat zeitlich parallel zum rbb sein Programm SWR2 in „SWR Kultur“ umbenannt.
Modische Trends, eingeflüstert von mehr oder minder qualifizierten Beratern resultieren in abrupten programmstrategischen Volten. In der Hierarchie untergeordnete Redakteur:innen, egal ob jung oder im Dienstalter erfahrener als die Hierarchen, werden zunehmend in ihren redaktionellen Entscheidungen verunsichert.
Die Vorgabe „Mediathek first“ sorgt für Angebote, deren „Erfolg“ sich nach Abruf konkret messen lässt. Diese Quotenfixiertheit bringt eine Anpassung des Programms auf „middle-of-the-road“-Niveau. Für Experimentelles und Minderheitsinteressen bleibt immer weniger Platz.
Durch eine Stärkung von Redaktionsstatuten könnte die Autonomie von Redaktionen gestärkt werden gegenüber den Interessen von Hierarchen, sich mit Programmreformen zu verewigen. Hier kann Artikel 6 des jüngst in Kraft getretenen European Media Freedom Acts auch für öffentlich-rechtliche Medien ein Vorbild sein.
Gleichzeitig sorgt der Spardruck in den Redaktionen dafür, einerseits möglichst quotenstarke Programme zu produzieren und andererseits diese möglichst billig. Resultat: Aufträge werden zunehmend an größere Produktionsfirmen als Paket herausgegeben. Weniger leistungsfähige Produzenten – weil personell für die Fließbandproduktion nicht so gut ausgestattet – werden vernachlässigt. Ein Branchensterben ist absehbar – mit Auswirkungen auf die publizistische Vielfalt.
Ad 4: Zukünftige Debatten über die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden Debatten über die öffentliche Informationsinfrastruktur sein. Angriffe von rechts stellen die Öffentlich-Rechtlich insgesamt in Frage, vor allem dann, wenn es rechtspopulistischen Politikern gelingen sollte, als Ministerpräsidenten ohne Parlamentsbeschlüsse die Staatsverträge mit einem einzigen Federstrich zu kündigen und den Rundfunk wie vor Kurzem in Polen „auf Linie“ zu bringen zu können.
Das zunehmend eingeschränkte Angebot von Printmedien in der Fläche, resultierend aus immer schlechteren Bedingungen für die Aufrechterhaltung von Redaktionen und Vertrieb auf dem Land, wird uns spätestens Mitte der 30er Jahre vor die Frage stellen, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Subregionalen tätig werden muss.
Im Bereich der Sozialen Medien wird schon seit längerer Zeit die Frage gestellt, ob die Öffentlich-Rechtlichen nicht durch eine eigene Plattform den Fehlentwicklungen der algorithmengetriebenen Geschäftsmodelle außereuropäischer Konzerne entgegentreten sollten. Dies insbesondere, als dass sich diese Anbieter bewusst nicht als Medienanbieter verstehen wollen, um so der spezifischen Regulierung zu entgehen. Diese Diskussion ist ernst zu nehmen.
Des Weiteren stellt sich die Frage, wie mit den öffentlich-rechtlichen Programmarchiven umgegangen werden sollte. Als Gedächtnis der Gesellschaft sind sie auf Dauer ein Fall für die bundesweite Kulturpolitik. Unabhängig von urheberrechtlich zu klärenden Fragen muss die Gesellschaft Zugriff bekommen auf historisch, sozial und politisch wichtiges Material.
Auch eine zentrale Vermarktung der Archive analog zum französischen Institut National de l’Audiovisuel (INA), könnte in diesem Zusammenhang eine Aufgabe für die Bundespolitik sein.
Und schließlich gilt es sicherzustellen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner kulturpolitischen und publizistischen Aufgabe nachkommen wird. Aus dem Finanzmangel resultierende Gedankenspiele, wie eine individuelle Zusammenstellung von „Angeboten“ kombiniert mit Musik von Spotify, ist der publizistische Tod eines gemeinwohlorientierten Rundfunks. Stattdessen muss in den Mediatheken ein redaktionell kuratiertes Programm vorgehalten werden. „Programm“ heißt im Unterschied zu „Angebot“: hier wird die Relevanz von Ereignissen eingeordnet und für eine interessierte Gesellschaft die Debatte organisiert. Dies haben so einige Hierarchien in den Sendeanstalten allmählich aus dem Auge verloren.
LAG Medien Bündnis90/Die Grünen Berlin,
Mai 2024
Diese Website ist gemacht mit TYPO3 GRÜNE, einem kostenlosen TYPO3-Template für alle Gliederungen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
TYPO3 und sein Logo sind Marken der TYPO3 Association.