Frühe Bildung und Fachkräfte stärken

30.11.24 –

Beschluss auf der Landesdelegiertenkonferenz:

Für uns als Bündnis 90/Die Grünen ist eine gute frühkindliche Bildung ein wichtiger Schlüssel zu einem bildungs- und, chancengerechtem Aufwachsen und Leben aller kleinen Kinder in unserer Stadt. Gute Bedingungen in den Familien der Kinder und in den Kitas und Tagespflegen sind die Grundlage für einen guten Start ins Leben.

Bildung erfolgt an vielen Orten: direkt in der Familie, durch das soziale Umfeld, in der Kindertagesbetreuung oder Kindertagesstätte (Kitas). Dass neben finanziellen, sozialen und gesundheitlichen Rahmenbedingungen qualitativ hochwertige öffentliche Bildungsangebote für die Entwicklung unserer Kinder zentral sind, zeigt sich nicht zuletzt im Bereich der sprachlichen Entwicklung. Nach Paragraph 55 Schulgesetz haben Kinder, die keine Kita besuchen, ein Recht auf Sprachtestung und bei Defiziten auf gezielte Sprachförderung. Leider haben wir hier ein großes Umsetzungsproblem. Nur grob die Hälfte der Kinder wird überhaupt getestet und bei Bedarf sind Kitaplätze rar. Der Zustand in den eigens eingerichteten Sprachlerngruppen ist oft nicht kindgerecht. Nicht nur deswegen bleibt der quantitative Ausbau der Betreuungsplätze wichtig, reicht jedoch allein nicht aus: Obwohl der Staat jedes Jahr mehr für Kinderbetreuung ausgibt, zeigen die Einschulungsuntersuchungen in unseren Bezirken, dass es vielen Kinder vor Schuleintritt an Basiskompetenzen mangelt.

Um die Berliner Kitas im Sinne ihres Bildungs- und Begleitauftrags beim Aufwachsen kleiner Kinder zu stärken, fordern Bündnis 90/Die Grünen vom Land Berlin:

  1. den Fokus bei der fachlichen Entwicklung der Betreuungseinrichtungen auf die Qualität der frühkindlichen Bildung und dabei eine bessere Vernetzung des fachlichen Diskurses und Austausches zwischen den Akteur*innen frühkindlicher und schulischer Bildung zu legen,
  2. eine verstärkte Sprachförderung, die Anerkennung und Förderung von Mehrsprachigkeit und der Erstsprachen der Kinder sowie eine konsequente und kindgerechte Umsetzung von Sprachförderangeboten für Kinder, die keine frühkindliche Bildungseinrichtung besuchen,
  3. mehr Kitasozialarbeit und Verzahnung mit Unterstützungsangeboten für Familien,
  4. einen niedrigschwelligen Zugang zu Kitaplätzen durch die Übersendung des Kitagutscheins zum ersten Geburtstag.

 

Fokus auf Qualitätsdimensionen und -bedingungen

Um die Wirksamkeit des Berliner Bildungsprogramms für frühkindliche Bildung zu erhöhen, wollen wir in Zukunft prüfen, ob das Berliner Bildungsprogramm im pädagogischen Konzept der jeweiligen Kindertageseinrichtung nicht nur aufgenommen, sondern tatsächlich umgesetzt wurde. Die Prüfung soll anhand von zentral vorgegebenen aussagekräftigen Kriterien erfolgen, wobei zu beachten ist, dass es in den Einrichtungen individuelle Konzepte geben kann und soll. Wir möchten rechtliche Rahmenbedingungen ausloten, ob bzw. wie weit die Umsetzung des Bildungsprogramms Voraussetzung für die öffentliche Förderung sein kann.

Wir wollen, dass ein Konzept zur besseren Vermittlung und des sozialräumlichen Austausch insbesondere zwischen Elementarbereich in der Kita und Primarstufe in der Grundstufe der Schulen erarbeitet und implementiert wird unter Prüfung, ob Änderungen von Landesgesetzen notwendig sind.

 

Vernetzung frühkindlicher und schulischer Bildung

Bündnis 90/Die Grünen versteht frühkindliche Bildung als elementaren Teil unseres Bildungssystems. Neben der Betreuung und Entlastung der Eltern erfüllen unsere Tageseinrichtungen die Aufgabe, die Kinder durch eine an dem Entwicklungsstand der Kinder orientierte Zusammenarbeit mit Schule beim Übergang in diese zu unterstützen. Dieser im Kitafördergesetz festgeschriebene Beistand ist essentiell und sollte in der Praxis konsequent umgesetzt werden. Die Anschlussfähigkeit der Bildungsprozesse muss hierbei von beiden Seiten, also sowohl vom Kindergarten als auch von Grundschule aus, gewährleistet werden.

 

Sprachförderung

Die Anwendung der Konzepte der kindlichen Sprachförderung in Kitas (wie Sprachkitas, Rucksack, Griffbereit und andere) sollten sowohl hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit als auch in Bezug auf den Umgang mit Mehrsprachigkeit wissenschaftlich evaluiert werden.

Auf Grundlage der Ergebnisse der Sprachstandsfeststellungen in den Kitas müssen die betroffenen Kinder wirksame Förderung und Unterstützung im Spracherwerb erhalten. Dafür muss für sie ein Sprachförderplan entwickelt und umgesetzt werden. Nach einem Jahr soll eine erneute Sprachstandsfeststellung erfolgen, um die Entwicklung beurteilen und die Förderung entsprechend anpassen zu können. Die Kitas sind personell so aufzustellen, dass Kinder, die mindestens drei Jahre die Kita besucht haben, beim Übergang in die Schule eine altersgemäße Sprachentwicklung erreicht haben.

Zu viele Kinder ohne Kitaplatz verfügen noch immer über deutliche Nachteile in ihren Sprachkenntnissen zum Schulbeginn gegenüber Kindern, die vorher eine Kita besucht haben. Das bestätigen viele Erhebungen. Die Abläufe von Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung müssen regelmäßig hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft werden.

Die von der Schwarzroten Koalition beschlossene Reform, die Zahl der Sprachförderstunden von fünf auf sieben zu erhöhen, ist hierfür bei weitem nicht ausreichend und verdient den Namen „Kitachancenjahr“ nicht. Um Kindern ohne Kitaplatz mit Sprachförderpotenzial einen frühen und inklusiven Zugang zur Sprachförderung zu ermöglichen, sind weitere Instrumente zu einer früheren Einschätzung des Sprachpotenzials zu prüfen, die anschließend einen erleichterten Zugang zu einem Kitaplatz gewährleisten sollen.

Migrant*innen-Communities sollen konzeptionell und praktisch an der Sprachförderung in den Kitas beteiligt werden. Die Sprachfördergruppen sind als Notlösung entstanden. Sie sollen durch Kitaplätze mit begleitender Sprachförderung ersetzt werden. Gemeinsam mit den Trägern der Fördergruppen sind Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Angebote beispielsweise als multifunktionale Ergänzung in bestehenden Kitas zu prüfen.

 

Förderung von Mehrsprachigkeit

Zur Förderung der Mehrsprachigkeit möchte Bündnis 90/DIE GRÜNEN Berlin, dass die Erstsprachen inkl. der Gebärdensprache in allen Berliner Kitas systematisch erfasst werden. Es braucht Methoden zur systematischen Förderung der Erstsprachen, z.B. Translanguaging, sowie die Anwendung der Fördermethoden der Sprach-Kitas auch für die nicht-deutschen Erstsprachen in der Kita-Praxis. Wir möchten die Zahl echter bilingualer Kitas in staatlicher Trägerschaft erweitern und dass die Sprachstandsfeststellungen auch für die nicht-deutschen Erstsprachen durchgeführt werden.

 

Mehr Kitasozialarbeit und Verzahnung frühkindlicher Bildung mit Förderungs- und Unterstützungsangeboten für Familien

Kita-Sozialarbeit und die Bündelung von familienfördernden und unterstützenden Angeboten und frühen Hilfen in den Sozialräumen um die Kitas im nutzen nutzen dessenRessourcen und fördern die Chancengerechtigkeit für alle Kinder. Wir fordern daher einen zielgerichteten Ausbau der Kita-Sozialarbeit, vor allem in den sozial herausfordernden Lagen und Kiezen der Stadt, sowie den Erhalt und Ausbau der Familienförderung wie z.B. der Familienzentren in allen Sozialräumen und die Errichtung von mehreren Familienservicebüros in allen Bezirken.

Die räumliche Bündelung von verschiedenen Familienförderungs- und Unterstützungsangeboten, wie der sozialen Beratung, der Erziehungsberatung, Gesundheitsangeboten und Angeboten der frühen Hilfen und der Stadtteilmütter in der Nähe oder gekoppelt an Kita-Standorte baut dabei Zugangshindernisse und Hemmschwellen ab und führt zu einer höheren Akzeptanz der Tagesbetreuungsangebote.

 

Niedrigschwellige Zugänge zu Kitaplätzen

Der quantitative Kitaplatzausbau und der Ausbau der Zahl der Fachkräfte der vergangenen Jahre, ist eine wichtige bildungs- und familienpolitische Errungenschaft und sorgt zusammen mit der zurückgehenden Geburtenrate in manchen Bezirken für einen allmählichen Rückgang des Platzmangels. Die freiwerdenen räumlichen und finanziellen Ressourcen und die Fachkräfte müssen dem Kitasystem erhalten bleiben. Sie sollen dazu genutzt werden, damit sich das stark gewachsene System stabilisieren und vor allem fachlich inhaltlich weiterentwickeln kann.

Um im Sinne des Kita-Entwicklungsplans einen niedrigschwelligen Zugang zu Kitaplätzen zu gewährleisten, müssen die bestehenden Hürden bei der Suche nach einem Kitaplatz gerade in den Kiezen, wo die Plätze noch knapp sind,weiter abgebaut werden. Dies gilt insbesondere für Familien in schwieriger Lage oder mit Sprachverständigungsschwierigkeiten. Die Unterstützung sollte durch die Jugendämter, durch Stadtteilmütter, frühe Hilfen, den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst sowie Angebote der Familienzentren und Familienservicebüros erfolgen und besser bekannt gemacht werden. Es muss sichergestellt werden, dass Familien auch in ihrer Herkunftssprache bei der Suche nach einem Kitaplatz beraten und begleitet werden.

Alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr haben einen Anspruch auf Ganztagsförderung, daher soll der Kitagutschein schon zum ersten Geburtstag jedem Kind zugesandt werden. Nach der Geburt eines Kindes sind die Eltern schriftlich über die Möglichkeiten der Kindertagesbetreuung, und weiterführende Beratungsangebote dazu, zu informieren. Alle Eltern sollen für jedes Kind zur Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes einen Bedarfsbescheid nach § 7 des Berliner KitaFöG zur Betreuung und Förderung in einer Einrichtung der Kindertagesbetreuung oder der Kindertagespflege, ohne ein vorhergehendes Antragsverfahren oder einer Bedarfsprüfung erhalten. Dabei ist ein Betreuungsumfang von 7 Stunden zu gewährleisten.

Insbesondere in Bezirken in herausfordernden sozialen Lagen müssen zudem Plätze weiter und die Fachkräfte dort besonders unterstützt werdenausgebaut werden. Es kann nicht sein, dass gerade in den Stadtteilen, in denen die meisten benachteiligten Eltern wohnen, die Kitaplätze am rarsten gesät sind.Nötig sind weitere Hilfen und spezielle Maßnahmen, um die Barrierefreiheit und die Verfügbarkeit von Plätzen für Kinder mit Behinderungen zu gewährleisten.

Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr gilt auch für Kinder, die nicht im Sommer geboren sind, sondern z.B. ab Januar einen Platz benötigen. Dafür müssen die einkalkulierten Vakanzen so festgelegt und gegenfinanziert werden, dass der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz auch bei unterjährigem Betreuungsbeginn gewährleistet ist.

 

Bessere Arbeitsbedingungen für Erzieher*innen

Erzieher*innen halten unserer Gesellschaft den Rücken frei. In den letzten Jahren haben Erzieher*innen in allen Einrichtungen eine entscheidende Rolle bei den Herausforderungen der Pandemie und der gesellschaftlichen Transformation gespielt. Das Fachpersonal in den Kitas ermöglicht es Familien, gleichberechtigt zu leben und zu arbeiten. Der aktuelle Kita-Streik in Berlin hat jedoch erneut eindrücklich auf die schwierigen Arbeitsbedingungen der Fachkräfte hingewiesen. Erzieher*innen aller Kitas – nicht nur der Eigenbetriebe – benötigen bessere Arbeitsbedingungen. Daher fordern wir:

  • Die Schaffung von multiprofessionellen Teams: Möglichkeiten des Einsatzes von Fachkräften anderer Professionen sollen ausgebaut und Anerkennungsverfahren für Nicht- Pädagogische Fachkräfte an den Kindertagesstätten vereinfacht werden. Randzeiten im Kitaalltag, die der Betreuung dienen, können flexibel von nicht-pädagogischen Fachkräften geleistet werden können, um die vorhandenen pädagogischen Ressourcen für die Angebote in der Kernzeit zu bündeln.
  • Konzeption und Umsetzung einer Qualifizierungsoffensive für pädagogische und nicht- pädagogische Fachkräfte soll konzipiert und umgesetzt werden.
  • Entbürokratisierung von Verwaltungsverfahren an und in Kindertagesstätten, die Overheadkosten reduzieren, und Mittel für die pädagogische Arbeit mit unseren Kindern freisetzen.
  • Anpassung des Personalschlüssels für Kinder bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres gemäß den wissenschaftlichen Empfehlungen auf 1:3
  • Es sind Möglichkeiten zu schaffen auch weiteres Personal auf den Personalschlüssel anrechnen lassen zu können. Wie dies gelingen kann, ist zu prüfen.
  • Vorhandene Räumlichkeiten in Kindertageseinrichtungen, die auf Grund der rückläufigen Kinderzahlen nicht genutzt werden, sollen zur Nutzung im sozialen Sektor gebunden und der Mehrfachnutzung durch Träger der sozialen Arbeit freigegeben werden.
  • Zeit für Teamsitzungen, Elterngespräche, Dokumentationen und Vorbereitungen (=mittelbare pädagogische Arbeit) soll neben der unmittelbaren pädagogischen Arbeit im Dienstplan abgebildet und umgesetzt werden können.
  • Der Berliner Senat sollein regelmäßiges Austauschformat zur kontinuierlichen Verbesserung der Arbeitssituation von Erzieher*innen, mit Vertreter*innen aus , Kita- Leitungsrunden und Erzieher*innen aller Trägerorganisationen, Jugendämtern, Bezirksstadträten und Gewerkschaften etablieren und regelhaft umsetzen.

Für uns ist daher klar: Die vorhandenen finanziellen Ressourcen müssen im System bleiben.

 

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