Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit an deutschen Außengrenzen

18.06.25 –

Vorläufiger Beschluss der Sonder-FLINTA-Konferenz:

Anfang Mai hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) verschärfte Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen angeordnet. Schutzsuchende Menschen werden dabei zurückgewiesen – häufig ohne Prüfung ihrer Asylgesuche. Migrationsrechtsexpert*innen warnen: Es handelt sich um rechtswidrige Zurückweisungen. Denn selbst wenn Asylsuchende über andere EU-Staaten eingereist sind, dürfen sie nicht ohne ein ordnungsgemäßes Dublin-Verfahren abgewiesen werden.

Am 02. Juni 2025 bestätigte die zuständige Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts diese Rechtsauffassung in einem Eilverfahren. Das Gericht stellte klar: Wer bei einer Grenzkontrolle auf deutschem Staatsgebiet ein Asylgesuch äußert, darf nicht ohne Durchführung des Dublin-Verfahrens zurückgewiesen werden. Die Zurückweisung von Asylsuchenden an der deutschen Grenze ist rechtswidrig und der Grenzübertritt zur Durchführung eines Asylverfahrens oder Dublin-Verfahrens muss gestattet werden. Die Bundesregierung kann sich nicht auf eine temporäre Ausnahme aufgrund einer Notlage berufen, die das Europarecht in besonderen Situationen vorsieht. Das Verwaltungsgericht benennt die Zuständigkeit zur Prüfung des weiteren Verfahrens klar bei der Bundesrepublik Deutschland. Eine Notlage wird ausdrücklich verneint, da schon alleine keine hinreichende Begründung für eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit dargelegt wurde.

Obwohl das Verwaltungsgericht formal nur über drei Einzelfälle entschieden hat, hat es klar gemacht, dass die Entscheidung grundsätzliche Bedeutung hat. Die Ausführungen zur Begründung sind allgemeingültig: Die Zurückweisung von Personen, die ein Asylgesuch äußern, verletzt die Garantie, dass in diesem Staat (wenigstens) ein Dublin-Verfahren durchgeführt werden muss - sie sind somit grundsätzlich unionsrechtswidrig. Damit ist klar: Wer in Deutschland Schutz sucht, hat Anspruch auf ein faires Verfahren.

Trotz dieser eindeutigen Rechtslage kündigte Alexander Dobrindt an, weiterhin an den Zurückweisungen festzuhalten. Damit überschreitet der Innenminister eine rote Linie: Er verweigert sich öffentlich der Einhaltung geltenden Rechts – und fordert Beamt*innen dazu auf, sich wissentlich daran zu beteiligen. Das ist ein massiver Angriff auf den Rechtsstaat und ein Frontalangriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Gleichzeitig diffamieren CDU, CSU und die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) zivilgesellschaftliche Organisationen wie Pro Asyl, die Geflüchteten rechtliche Unterstützung bieten. DPolG-Vorsitzender Heiko Teggatz hat sogar Strafanzeige gestellt und Pro Asyl angebliche Schleppertätigkeit vorgeworfen – ein beispielloser Versuch, legitimen Rechtsbeistand zu kriminalisieren und die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen zu delegitimieren.

Auch unabhängige Richter*innen geraten zunehmend ins Visier. Nachdem das Berliner Verwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit der Pushbacks festgestellt hatte, wurden die beteiligten Richter*innen durch die rechtspopulistische Plattform nius namentlich angegriffen. Einer von ihnen sieht sich inzwischen sogar Morddrohungen ausgesetzt. Diese Einschüchterungsversuche sind Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz und gefährden die Gewaltenteilung – das Herzstück unserer Demokratie.

Dobrindts Vorgehen steht exemplarisch für eine gefährliche Entwicklung: die schleichende Normalisierung rechter AfD-Positionen durch Regierungsverantwortliche. Was einst als Tabubruch galt, wird heute Regierungspraxis. Dadurch werden autoritäre Narrative legitimiert, rechtsstaatliche Prinzipien ausgehöhlt und das demokratische Koordinatensystem nach rechts verschoben.

Als Berliner Landesverband von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern wir Alexander Dobrindt auf, die rechtswidrigen Pushbacks unverzüglich zu beenden und zur Einhaltung von Recht und Verfassung zurückzukehren.

Wir verurteilen aufs Schärfste die Diffamierung und Bedrohung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich für Menschenrechte und das Grundrecht auf Asyl einsetzen.

Ebenso verurteilen wir die gezielten Angriffe auf Richter*innen, die mit ihrer unabhängigen Rechtsprechung das Fundament unseres demokratischen Rechtsstaats verteidigen. Es ist gut, dass Alexander Dobrindt sich öffentlich von dieser Verunglimpfung der Justiz distanziert hat - wir erwarten von ihm, dass er in Zukunft gerichtliche Entscheidungen uneingeschränkt respektiert.

Dobrindts Vorgehen gefährdet nicht nur den inneren Rechtsstaat, sondern auch den Zusammenhalt und die Integrität Europas. Es untergräbt das Fundament europäischer Solidarität und Rechtsgemeinschaft – ein Fundament, auf das wir in Zeiten globaler Krisen mehr denn je angewiesen sind.

Kategorie

Zusammenhalt sichern