16.05.19 –
Beschluss des Landesausschusses am 15. Mai 2019
Mietenwahnsinn stoppen: Für eine Neuausrichtung des Berliner Wohnungsmarktes und eine starke gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft
Jede*r zweite Berliner*in hat Angst vor Verdrängung. Fast ein Viertel der Umzüge werden aufgrund von Verdrängung verursacht, durch Mieterhöhungen, Eigenbedarfskündigungen, teure Modernisierungen, fehlende Instandhaltung, Abrisse oder Druck von Eigentümer*innen. In Berlin sind die Grundstückswerte seit 2008 um 870 Prozent gestiegen. In diesem Zeitraum haben sich die Mieten hier mit 104 Prozent mehr als verdoppelt – während die Einkommen nur um 24,7 Prozent gestiegen sind. Die Mietpreise galoppieren der Einkommensentwicklung davon. Jeder sechste Haushalt bringt bereits über 40 Prozent des Nettoeinkommens für Wohnkosten auf. Während Berlin wächst, nimmt der Marktanteil von bezahlbarem Wohnraum kontinuierlich ab und ist immer ungleicher über die Stadt verteilt. Laut neuestem IBB-Bericht gibt es innerhalb des S-Bahnrings nur noch Neuvermietungen über 12 Euro/qm nettokalt. Und auch außerhalb des S-Bahnrings nehmen solche Miethöhen zu. In manchen Quartieren und Kiezen führt die Gentrifizierung zu einem fast vollständigen Bevölkerungsaustausch, während sie in anderen zu einer Konzentration von Armut führt. Es ist höchste Zeit, dies zu stoppen und mit aller Kraft für günstige Mieten und einen geregelten sozialen Wohnungsmarkt zu sorgen.
Ein wichtiger Grund für die Misere ist ganz einfach: Es fehlen Wohnungen. Berlin ist in den letzten Jahren rasant gewachsen, ohne dass das Wohnungsangebot mitgewachsen wäre. Seit 2008 stieg die Zahl der Einwohner um mehr als 10 Prozent – während die Zahl der Wohnungen nur um etwa 2 Prozent zunahm. In derselben Zeit ist die Leerstandsquote von über 3 Prozent auf unter 1 Prozent gesunken: ein klares Zeichen, dass der Wohnungsmarkt völlig aus dem Lot geraten ist. Durch diesen Mangel und dieses Ungleichgewicht sind die Mieter*innen den Vermieter*innen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Doch für einige Akteur*innen auf dem Berliner Wohnungsmarkt steht der Profit und nicht das Wohl der Berliner*innen im Vordergrund. Die globalen Finanzmärkte sind zum Taktgeber für die Immobilienpreise und Mieten in Berlin und anderen Städten geworden. Nach wie vor ist zwar ein Großteil des städtischen Grundeigentums in der Hand von privaten Kleineigentümer*innen, aber durch das weltweite Überangebot an Kapital treiben immer mehr Finanzinvestor*innen mit ihren Fonds, Aktiengesellschaften und Briefkastenfirmen Grundstückspreise in realwirtschaftlich unangemessene Höhen. Der Anteil der börsennotierten Wohnungsunternehmen ist mit 15 Prozent in Berlin der höchste im ganzen Land. Trotz der Umwandlungsverordnung wurde 2018 fast jede hundertste Mietwohnung in Wohneigentum umgewandelt, das ist knapp unter dem Niveau des Rekordhochs von 2015. Immer mehr Häuser werden zu überhöhten Preisen angekauft, um sie dann teuer zu sanieren und als Einzeleigentum weiter zu verkaufen. Der Berliner Wohnungsmarkt wird zunehmend zu einem Finanzmarkt.
Grundlegende wohnungspolitische Fehlentscheidungen haben zu der sozialen Schieflage der Wohnungsmarktentwicklung beigetragen. Die Wohnungsgemeinnützigkeit wurde auf Bundesebene zum 01.01.1990 von Schwarz-Gelb abgeschafft, was der Privatisierung vieler vormals gemeinnütziger Wohnungen durch Bund, Länder und einige Kommunen Tür und Tor öffnete. Heute rächt sich der Verkauf vieler städtischer Wohnungen durch die damalige rot-rote Landesregierung bitterlich. Dies war ein großer Fehler. Auch die Förderung des sozialen Wohnungsbaus wurde eingestellt. Die Sozialbindungen der meisten ehemaligen Sozialwohnungen sind ersatzlos ausgelaufen. Mit dem REIT-Gesetz hat der Bund 2007 auch das Recht eingeführt, Immobilienbesitz in Aktiengesellschaften zu bündeln.
Überteuerte Mieten sind nicht nur schädlich für den sozialen Frieden, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt. Immer mehr Fachkräfte fehlen, weil sie sich keinen Wohnraum mehr in der Stadt leisten können. Kleine und mittelständische Unternehmen können sich die Miete für ihr Ladengeschäft nicht mehr leisten und viele Dienstleistungen des alltäglichen Lebens verschwinden aus den Kiezen. Die Geschäftsmodelle überzogener Immobilienpreise und überhöhter Renditeerwartungen gefährden den Wirtschaftsstandort Berlin. Sie entziehen anderen Wirtschaftsbereichen Kaufkraft. Investitionen, die auf Maximalrenditen durch Verdrängung, überhöhte Mieten und Luxuswohnungsbau setzen, sind schädlich für unsere Stadt. Echte energetische klimaschützende Sanierung, die das Klima schützt und den Geldbeutel der Mieter*innen entlastet, findet dagegen kaum statt. Stattdessen werden mit vorgeblich energiesparenden Sanierungen die Mieten weiter nach oben getrieben.
Artikel 14 des Grundgesetzes sieht klar vor, dass „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Der rein profitorientierte Teil der Immobilienwirtschaft unterminiert also nicht nur die Grundregeln des ‚Ehrbaren Kaufmanns’, sondern auch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und damit insgesamt das Fundament der Sozialen Marktwirtschaft. Wir lehnen solche Geschäftsmodelle ab, denn Wohnen ist ein Grundrecht. Für den Umgang mit Wohnungen und Grundeigentum muss der Bundesgesetzgeber diesem Grundsatz endlich wieder Geltung und Wirksamkeit verschaffen. Wir sind für den Schutz des selbstgenutzten Grundeigentums. Aber der rein profitorientierte Teil der Immobilienwirtschaft ist in hohem Maße aufgefordert, seine Wirtschaftsweise an der grundgesetzlich geforderten Sozialpflichtigkeit des Eigentums auszurichten und den Prinzipien des ‚ehrbaren Kaufmanns’ Geltung zu verschaffen. Auch Wirtschaftsunternehmen haben gesellschaftliche Mitverantwortung. Sollten sie dieser nicht nach freien Stücken gerecht werden, ist die Politik gefordert, dem Einhalt zu gebieten.
Grüne Initiativen für mehr Gemeinwohl in Berlin
Bereits 2008 schlug der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz Alarm und forderte umfassende Maßnahmen zum Bestandsschutz der Mieter*innen und mehr Neubau von preiswerten Wohnungen. Wir Bündnisgrüne wollen der Sozialpflichtigkeit des Grund- und Wohnungseigentums Geltung verschaffen und die gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft neu beleben und stärken. Wir wollen eine gemeinwohlorientierte Ausrichtung des Berliner Wohnungsmarktes erreichen. Derzeit befinden sich gerade einmal 18,3 Prozent des Berliner Wohnungsbestandes in landeseigener Hand. Der Marktanteil der Genossenschaften liegt sogar nur bei 11,3 Prozent. Unser Ziel ist es, den Anteil des gemeinwohlorientierten Wohnungssektors deutlich zu erhöhen. Langfristig gilt es nach dem Vorbild von Wien, Basel oder Amsterdam 40 Prozent und mehr der Wohnungsbestände gemeinnützig auszurichten. Nur so können wir nachhaltig preisdämpfend einwirken und wirklichen Einfluss auf den Berliner Wohnungsmarkt nehmen.
Dabei gibt es nicht das eine allheilbringende Instrument. Bündnis 90/Die Grünen Berlin setzt daher auf ein Bündel von Maßnahmen, die nur gemeinsam wirken können. Wir setzen dabei auf den Dreiklang: Bauen, Erwerben, Regulieren. Gefordert ist sowohl das Land als auch der Bund. Wir gehen hier in Berlin schon lange voran. Den Milieuschutz und das kommunale Vorkaufsrecht haben wir aus den Bezirken heraus in der Landespolitik etabliert, als diese Instrumente von den meisten in der Stadt noch abgelehnt wurden. Über 855.000 Menschen leben heute bereits in Milieuschutzgebieten und unser Ziel ist es, bis zum Ende der Legislatur mit diesem Instrument mindestens 1,5 Millionen Menschen besser zu schützen. Durch das Vorkaufsrecht und die Abwendungsvereinbarungen haben wir bis heute über 3.800 Haushalte geschützt. Wir haben das Zweckentfremdungsverbotsgesetz geschärft. Insgesamt wurden damit fast 9.000 Wohnungen wieder als Wohnraum vermietet.
Dies reicht jedoch bei weitem nicht aus. Auf Berliner Ebene setzen wir daher auf ein Bündel von Maßnahmen, um Mieter*innen dauerhaft besser zu schützen.
Weckruf ernst nehmen – jetzt in den Dialog treten!
Der Volksentscheid ist ein Weckruf an die Politik, dass dem im Grundgesetz festgeschriebenen Leitsatz „Eigentum verpflichtet“ auch im Bereich Wohnen und Boden Geltung verschafft werden muss. Wir unterstützen die Ziele des Volksbegehrens. Zentral dabei ist, die Mieter*innen zu schützen, Spekulationen Einhalt zu gebieten und den gemeinwohlorientierten Wohnungsbestand zu erhöhen. Wichtig ist für uns die Einbettung in ein Gesamtkonzept, welches tatsächlich schnell möglichst vielen Mieter*innen hilft. Hierzu haben wir bereits Vorschläge formuliert.
Wir wollen, dass der Staat wieder auf Augenhöhe mit Wohnungsunternehmen verhandeln und agieren kann. Wir würden uns wünschen, dass die Umstände uns nicht zwingen, die Vergesellschaftung als letztes Mittel anzuwenden, um den verfassungsgemäßen Auftrag erfüllen zu können. Wenn Wohnungsunternehmen sich jedoch weigern, ihrer sozialen Verantwortung nachzukommen, wird die öffentliche Hand, auch durch ein Volksbegehren gestützt, diesen Schritt gehen.
Wenn es um die Durchsetzung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums geht, müssen qualitative Kriterien zur Bewertung kommen, die Diskussion um rein quantitative Obergrenzen sehen wir kritisch. Zu den qualitativen Kriterien zählen aus unserer Sicht insbesondere die Einhaltung des Berliner Mietspiegels, die Erfüllung der Instandhaltungspflichten anstelle des Herausmodernisierens, kein spekulativer Wohnungsleerstand, regelgerechte und transparente Betriebskostenabrechnungen, ein Moratorium für Mietsteigerungen, keine Beteiligung an Share-Deals und an der Umgehung des kommunalen Vorkaufsrechts sowie ein Mitbestimmungsrecht der Mieter*innen.
Da die erste Stufe des Volksbegehrens höchstwahrscheinlich binnen kürzester Zeit erfolgreich erreicht wird, sehen wir den Zeitpunkt erreicht, in einen Dialog einzutreten. Deshalb sehen wir dann Abgeordnetenhaus und Senat in der Pflicht, mit den Initiator*innen des Volksbegehrens in Verhandlungen zu treten, die auch in einem Gesetz münden können. Darüber hinaus soll ein Runder Tisch, an dem alle beteiligten Akteur*innen von den Initiativen bis hin zu profitorientierten Wohnungsunternehmen beteiligt sind, weitgehende Maßnahmen zum Schutz der Mieter*innen erarbeiten.
Der Bund ist gefordert!
Wohnungsnot und massiv steigende Spekulation sind nicht nur ein Berliner Phänomen. In allen wachsenden Regionen und Städten sind ähnliche Probleme zu beobachten. Hätten wir ein faires Miet-, Bau- und Bodenrecht, müssten wir über den Weg der Vergesellschaftung gar nicht diskutieren. Der dringende Handlungsbedarf auf Bundesebene ist seit Jahren bekannt, doch auch die unterschiedlichen Interessen zwischen Stadt und Land führen zum Nichthandeln der Bundespolitik. Wir treten daher dafür ein, den Ländern und Kommunen deutlich mehr Handlungsspielräume zu geben, damit diese dauerhaft handlungsfähiger werden. Doch jetzt müssen auch Bundestag und Bundesregierung endlich handeln und der Sozialpflichtigkeit des Grundeigentums wirksam Geltung verschaffen.
Dies sind wichtige Maßnahmen, die die Bundesregierung schon lange umsetzen könnte, um die Städte zu unterstützen.
Den Mietenwahnsinn in Berlin zu stoppen, ist die zentrale soziale Aufgabe der Politik dieser Stadt. Hierfür mit aller Kraft an allen Stellschrauben zu drehen, ist unerlässlich. Wer sich lediglich auf eine oder wenige ausgewählte Maßnahmen konzentriert, verkennt die Dramatik der aktuellen Situation. Alle uns zur Verfügung stehenden Mittel wollen wir nutzen. Wir sind bereit, sie für die Berliner*innen einzusetzen.
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