Erstes Webinar im April: Grundrechte in Zeiten von Corona

10.04.20 –

Am 2. April haben wir zum ersten Mal gemeinsam digital diskutiert. „Grundrechte in Zeiten von Corona“ war das Auftakt-Thema unserer Webinar-Reihe.

Mit Lea Beckmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF - https://freiheitsrechte.org) hatten wir eine ausgewiesene Verfassungsrechtsexpertin zu Gast. Lea stellte uns zunächst die Arbeit der GFF vor – eine Nichtregierungsorganisation, die sich durch strategische Prozessführung für die Menschenrechte einsetzt. In der Corona-Krise sei eine Klagewelle aber der falsche Weg. Stattdessen stellt die GFF beispielsweise ein vielzitiertes FAQ „Corona und Grundrechte“ auf ihrer Webseite zur Verfügung (https://freiheitsrechte.org/corona-und-grundrechte/), um die Vielfalt staatlicher Grundrechtseingriffe sachlich, aber kritisch zu begleiten. 

Esra und Lara haben das sehr gut besuchte Webinar im Anschluss durch drei Themenblöcke moderiert: 1. (Grund-) Rechtliche Aspekte der Corona-Krise und Entscheidungsprozesse am Beispiel der Kontaktbeschränkungen, 2. Schutzpflichten des Staates gegenüber besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen und 3. Verfassungsrechtliche Bewertung der Triage.

Im ersten Block ging es vor allem um die von den Schutzmaßnahmen betroffenen Grundrechte: Versammlungsfreiheit, Berufsfreiheit, körperliche Unversehrtheit und Unversehrtheit der Wohnung. Darüber hinaus haben wir uns mit den Entscheidungsprozessen in der Corona-Krise auseinandergesetzt und dabei die Aufteilung zwischen Bund und Ländern, sowie Gesetzgebung und Verwaltung besonders betrachtet. Diskutiert haben wir vor allem das Kontaktverbot. Ein zentrales Ergebnis der Diskussion war, dass alle Eingriffe erklärbar und vor allem verhältnismäßig sein müssen. Die Menschen müssten die Notwendigkeit der Eingriffe nachvollziehen können und mitgenommen werden – eine Durchsetzung der Regelungen gegen den Willen der Bevölkerung sei wenig vielversprechend.

Im zweiten Block wurde deutlich, dass wir zwischen zwei Arten besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen unterscheiden müssen: Denen, die durch die Verbreitung des Virus selbst besonders gefährdet sind und jenen, die von den dagegen ergriffenen Schutzmaßnahmen besonders belastet werden. Zur ersten Gruppe zählen insbesondere ältere Menschen und solche, mit relevanten Vorerkrankungen. In der zweiten Gruppen finden sich u.a. Betroffene von häuslicher Gewalt, Geflüchtete, Wohnungslose und Illegalisierte. So greifen beispielsweise Schutzmaßnahmen für Opfer häuslicher Gewalt nicht mehr ohne weiteres, das Risiko der Ansteckung ist in Sammelunterkünften für Geflüchtete besonders hoch und für Obdachlose brechen teilweise Einnahmequellen fast vollkommen weg. Besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen müssen wir deshalb bei allen Schutzmaßnahmen besonders im Blick behalten und positive staatliche Maßnahmen können geboten sein.

Beim Thema Triage geht es darum, dass bei einer Überforderung des Gesundheitssystems entschieden werden muss, wer eine überlebenswichtige Behandlung erhält und wer nicht. Dabei gilt: Richtlinien zu dieser Frage müssen sich an der Menschenwürde und dem Diskriminierungsverbot orientieren. Denn jede einzelne Person hat einen Wert, der sich nicht abwägen lässt. Absolut unzulässige Abwägungsgründe für die Entscheidung über eine Behandlung wären das Geschlecht, der soziale Status oder die Ethnie. Aber auch das Alter selbst dürfe aufgrund des Diskriminierungsverbotes jedenfalls kein unmittelbarer Anknüpfungspunkt sein. Das deutsche Verfassungsrecht macht keine klaren positiven Vorgaben für Entscheidungen, sondern zieht lediglich Grenzen. Im Zentrum der deutschen verfassungsrechtlichen Diskussion stehen eine Entscheidung anhand von Überlebenswahrscheinlichkeit oder nach zeitlicher Reihenfolge bzw. Zufall. Lea plädierte aus persönlicher Überzeugung für chancengleiche Kriterien wie die Zufallsentscheidung oder eine Behandlung nach zeitlicher Reihenfolge. Denn bei Entscheidungen aufgrund der Überlebenswahrscheinlichkeit können Alter oder eine Behinderung mittelbar doch zu einer verschlechterten Aussicht auf Behandlung führen.