LAG-Beschluss vom 19.02.2020: Für eine grüne Justizpolitik

05.04.20 –

Eine wirksame und verhältnismäßige Kriminalpolitik bedeutet unter anderem, dass nur Sachverhalte strafrechtlich verfolgt werden, bei denen dies unbedingt notwendig ist. Dies ist aktuell nicht der Fall, weswegen wir uns im Bundesrat dafür stark machen werden, dass das StGB und das BtMG entrümpeln werden, damit die Justiz die Bürger und Bürgerinnen effektiv vor Straftaten schützen kann. Wir begrüßen es, dass Berlin bereits bei der letzten Konferenz der Justizminister*innen beantragt hat, die Bundesjustizministerin möge prüfen, welche derzeit gültigen Normen im Strafgesetzbuch nicht mehr notwendig sind und aufgehoben werden sollten.

Die Verfolgung und Aburteilung von Bagatellkriminalität verbraucht unverhältnismäßig viele Ressourcen der Justiz. Wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Diebstahl geringwertiger Sachen und Drogenbesitzes werden jedes Jahr hunderttausende Verfahren geführt. Dadurch fehlen Ressourcen bei der Verfolgung schwerer Delikte, wie Wirtschaftskriminalität, organisierter Kriminalität und Umweltstraftaten.

Auch dauern Verfahren durch die unnötige Belastung der Justiz mitunter zu lange, sodass eine schnelle Reaktion auf Straftaten nicht immer erfolgen kann. Kriminologische Forschungen zeigen aber, dass es gerade im Bereich der Kriminalität von jungen Menschen essentiell ist, schnell auf strafbares Verhalten zu reagieren, um zukünftige Straftaten zu verhindern.

Eine Strafverfolgung von Kleinstkriminalität kann in vielen Fällen dazu noch sehr schädlich sein. Die Betroffenen werden unnötig kriminalisiert und dadurch aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Etwa verlieren viele Menschen durch eine strafrechtliche Verurteilung ihre berufliche Perspektive, wodurch die Wahrscheinlichkeit von weiteren Straftaten steigt. Daher sollte hier eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit erfolgen. Dies ist nicht nur weniger eingriffsintensiv, sondern ermöglicht auch eine schnellere Reaktion, entlastet die Justiz und schließt diese Menschen weniger aus der Gesellschaft aus.

Sofern sich die Bundesregierung bei der Frage der Entkriminalisierung nicht bewegen wird, werden wir in Berlin eigene Wege gehen. Sofern sich keine Mehrheiten dafür finden, den ÖPNV kostenfrei zur Verfügung zu stellen, wodurch sich das Problem des Erschleichens von Leistungen diesbezüglich  erledigt hätte, werden wir uns dafür einsetzen, dass Menschen, die immer wieder wegen entsprechender Delikte inhaftiert werden, ein kostenfreies Monatsticket erhalten. Davon können z. B. Menschen betroffen sein, die psychisch- oder suchtkrank oder obdachlos sind. Diese Menschen müssen durch kurzzeitige Inhaftierungen immer wieder Hilfsangebote abbrechen (wodurch diese irgendwann vollständig beendet werden), kosten das Land Berlin jeden Tag ca. 100 € für den Haftplatz, belasten die Strafvollzugsanstalten unnötig und kommen immer wieder, ohne dass im Gefängnis mit diesen Menschen irgendwas erreicht werden kann (dafür sind sie viel zu kurz da). Daher werden wir uns an dem Stadtticket Extra in Bremen orientieren, wobei wir dabei auf Berliner Besonderheiten eingehen werden, welches Menschen die immer wieder wegen dem Erschleichen von Leistungen inhaftiert werden, zur Verfügung gestellt wird. Das Land Bremen hat so nicht nur Geld gespart, sondern die sozialen Träger haben endlich wieder Kontakt zu diesen Menschen und können ihnen helfen.

Anstelle der Ersatzfreiheitsstrafe müssen Projekte wie Arbeit statt Strafe weiter ausgebaut werden. Auch sind neue Ansätze der Straffälligenhilfe zu stärken und Ideen aus anderen Ländern aufzugreifen. Das Land Berlin hat aufgrund des Projektes Arbeit statt Strafe 2018 elf Millionen Euro eingespart und es gibt noch weiteres Einsparpotenzial, wenn Gefängnisstrafen vermieden werden. Ein Tagessatz einer Geldstrafe, der nicht geleistet werden kann, in einen Tag der Ersatzfreiheitsstrafe umzurechnen, ist nicht nur eine unverhältnismäßig hohe Belastung für die Betroffenen. Der Freiheitsentzug trifft sie wesentlich härter als die Zahlung eines Geldbetrages. Gleichzeitig werden durch den Vollzug dieser Ersatzfreiheitsstrafe auch Ressourcen der Justiz verschwendet, die eigentlich für die Resozialisierung von Menschen zu Verfügung stehen sollten, die schwere Delikte begangen haben. Daher sollte ein Tag Haft zwei Arbeitstagen entsprechen. Die Haftstrafe und die Kosten wären damit halbiert.

Wir werden ferner dafür sorgen, dass die Resozialisierungsbedingungen in Berlin verbessert werden. Nur durch eine wirksame Resozialisierung ist die Bevölkerung effektiv vor Straftaten geschützt. Resozialisierung findet für uns nicht im Gefängnis statt, da die Strukturen im Strafvollzug einer wirksamen Resozialisierung oft entgegenstehen. Daher müssen alle Akteure wie die Straffälligen-, Bewährungshilfe, Jugendgerichtshilfe und Strafvollzugsanstalten besser vernetzt werden und gemeinsam ein Resozialisierungskonzept verfolgen. Dabei muss auf jeder Ebene geschaut werden, wie der Resozialisierungsprozess gefördert werden kann, möglichst unter der Vermeidung einer Haftstrafe. So lassen sich im Übrigen auch besser kriminelle Strukturen, wie etwa rechtsextreme Straftaten, erkennen. Dafür werden wir in Berlin ein Resozialisierungsgesetz vorlegen, welches alle Akteure wirksam vernetzt und ihre Zuständigkeiten klar regelt. Dabei werden wir uns an dem Resozialisierungsgesetzentwurf der Professoren Dünkel und Cornel orientierten. Insbesondere müssen dabei die Anstalten verpflichtet sein, so früh wie möglich mit Hilfseinrichtungen außerhalb des Gefängnisses, zumindest ein Jahr vor der Entlassung (diese muss im Regelfall nach 2/3 der Freiheitsstrafe erfolgen), Kontakt aufnehmen, um ein wirksames Übergangsmanagement sicherzustellen. Kriminologische Forschungen zeigen, dass gerade das im ersten Jahr nach der Entlassung das Rückfallrisiko hoch ist und die Gefangenen daher hier stärker unterstützt werden sollten.

Es muss zudem auch im Strafvollzug klargestellt werden, dass neben dem weiblichen und dem männlichen Geschlecht weitere Geschlechter existieren und daher Regelungen für Trans- und Intersexuelle vorgesehen werden, gerade diese Menschen müssen im Strafvollzug besonders geschützt werden.

Um die erfolgreiche Resozialisierung während der Haft sicherzustellen muss ferner Kontakt nach außen ermöglicht werden, damit die Gefangenen sich nach der Entlassung möglichst schnell wieder in die Gesellschaft eingliedern können. Daher ist das Telefonieren nach dem Strafvollzugsgesetz zu Preisen zu gewährleisten, die den Preisen in Freiheit entsprechen. Auch muss die Nutzung von Internet im Strafvollzug endlich gesetzlich geregelt werden, damit sichergestellt wird, dass die Gefangenen von denen kein Risiko ausgeht, dass über das Internet Straftaten begangen werden oder deren Resozialisierung gefährdet wird, das Internet unter möglichst ähnlichen Bedingungen wie in Freiheit nutzen können.