Antisemitismus in der Gesellschaft entgegentreten, jüdisches Leben ernstnehmen – für wirklich inklusive Hochschulen

04.05.24 –

Beschluss auf der Landesdelegiertenkonferenz:

Der 7. Oktober veränderte die Lebensrealität von Jüdinnen*Juden weltweit unwiderruflich. Das Aufflammen von antisemitischen Vorfällen seit Oktober ist besorgniserregend und erschütternd. Nach dem brutalen Angriff auf einen jüdischen FU-Studenten ist diese Situation präsenter denn je. Für jüdische Studierende hat es das aber nicht gebraucht, um den Ernst der Lage zu sehen. Jüdische Studierende haben sich noch im Oktober Urlaubssemester genommen und viele jüdische Menschen haben sich nicht mehr an die Hochschulen getraut.

Das ist nicht akzeptabel. Hochschulen müssen Orte sein an denen sich alle frei von Angst bewegen können. Antisemitismus ist eine Bedrohung für Jüdinnen*Juden, aber auch für unsere Gesellschaft und den akademischen Raum.

Jüdische Studierende, Mitarbeitende und Lehrende geben sich, wenn sie sich auf dem Campus bewegen, oft nicht als Jüdinnen*Juden bzw. als israelische Staatsbürger*innen zu erkennen.Auch wenn Antisemitismus seit dem 7. Oktober neu erstarkt war dieser auch vor dem 7. Oktober existent und tief in unserer Gesellschaft und so auch in unserer Wissenschafts- und Hochschullandschaft verwurzelt. Es braucht jetzt strukturelle Antworten, sowie eine kontinuierliche und proaktive Auseinandersetzung mit Antisemitismus an Hochschulen. Zum einen mit Antisemitismus, der in Institutionen verankert ist durch Einstellungen und Praktiken, subtil und offen die Diskriminierung von Jüdinnen*Juden stärkt, aber auch mit Antisemitismus der nicht immer offensichtlich direkt gegen Jüdinnen*Juden ausgeübt wird, jedoch aber Ressentiments in z.B. Sprache auch unbewusst stärkt.

Wir orientieren uns in diesem Kontext an der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die israelbezogenen Antisemitismus mit einschließt, als einer Arbeitsdefinition. Sie ist Grundlage für alle unsere kontinuierliche Arbeit im Bereich Antidiskriminierung zu Antisemitismus. Israel bezogener Antisemitismus ist erkennbar an Doppelstandards, Delegitimierung und Dämonisierung von Israel (z.B. die Aberkennung des Existenz- oder Selbstbestimmungsrechtes oder auch die Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus), aber auch wenn Jüdinnen*Juden aus aller Welt für das Regierungshandeln Israels verantwortlich gemacht werden oder Israelis mit antisemitischen Bildern, Symbolen oder Floskeln in Verbindung gesetzt werden.

Auf Grund dieser Definition verurteilen wir auch die Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ als antisemitisch, sowie deren aktive Unterstützung.

Vor diesen Hintergründen lehnen wir auch eine Verengung der Debatte auf reine Exmatrikulationsforderungen ab. Eine solche Debatte greift zu kurz. Der Fokus muss sowohl auf dem Schutz von Betroffenen liegen, aber darf einen klaren bildenden und präventiven Ansatz nicht aus dem Blick verlieren.

Der Kampf gegen Antisemitismus darf nicht missbraucht werden, um rassistische Diskurse zu schüren oder marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen.

Deshalb fordert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin , folgende Maßnahmen zum Schutz jüdischen Lebens, insbesondere an Hochschulen, schnellstmöglich zu leisten:

  • Eine klare Positionierung der Hochschulen gegen jede Form von Antisemitismus und zum Existenzrechts Israels.
  • Eine klare Haltung gegen antisemitische Gruppen und Organisationen. Keine Toleranz und keine Räume für Organisationen, die Hass und Diskriminierung auf dem Campus verbreiten.
  • Keine Unterstützung und Gelder für Veranstaltung, Organisationen oder Menschen, die die BDS-Kampagne aktiv unterstützen oder deren Ziele stärken.
  • Eine Evaluation zu Antisemitismus an Hochschulen, mit der Einbeziehung aller Statusgruppen. Diese soll Grundlage sein für die Entwicklung von Konzepten gegen Antisemitismus, sowie Schutzraumkonzepte sein. Diese müssen auch präventiv wirken und mit einem freiheitlichen Wissenschaftssystem vereinbar sein. Insbesondere sind auch Hilfs- und Meldestrukturen zu bedenken. Diese Konzepte müssen niedrigschwellig zugänglich und allen Mitgliedern der Hochschule aktiv bekannt gemacht werden.
  • Eine gesetzliche Verankerung von Antisemitismusbeauftragten oder analogen Funktionen mit dieser expliziten Zuständigkeit an allen Hochschulen, welche eng mit den Gremien der Selbstverwaltung und den Hochschulleitungen zusammenarbeiten. Sie müssen für ihre effiziente Arbeit mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet werden.
  • Das AGG muss effektiv umgesetzt werden, dazu gehören Schulungen und Sensibilisierungen der Beschäftigten, aber auch dass die AGG-Maßnahmen ihre Wirkungen entfalten können, auch bei verbeamteten Lehrpersonal. Neben Bildungsangeboten zählen hierzu auch konsequente Reaktionen von den Hochschulen selbst. Gleichzeitig müssen auch die AGG- Beschwerde- und Beratungsstellen im Umgang mit Antisemitismus weiter gebildet werden, so das sie ihre Rolle in der Beratung von Betroffenen und in der Prävention besser wahrnehmen können.
  • Die Stärkung von psychotherapeutischen Angeboten an Hochschulen und den Ausbau der psychosozialen Beratung des Studierendenwerks. Diese sollen eng verzahnt werden mit den Beratungs- und Therapieangeboten außerhalb von Hochschulen, die einen Fokus auf die Bewältigung von Diskriminierung legen.
  • Zugang zu Fortbildungsangeboten für alle Hochschulmitglieder, insbesondere aber für Menschen in Schlüsselpositionen, mit dem Fokus auf das Erkennen und den Umgang mit Antisemitismus, auch vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts.
  • Sicher zu stellen ist, dass die Finanzierung von drei Feldern die zwar verschränkt, aber niemals als eins gedacht werden müssen, langfristig finanziell durch einen stetigen Aufwuchs des entsprechenden Ansatzes im Haushalt abgesichert sind: 1. Die Finanzierungen für Projekte die jüdische Gegenwart beleuchten, Fördern und nahbar machen. 2. Die Finanzierungen für Projekte die Antisemitismus behandeln als Problem der Gegenwart mit historischen sowie gegenwärtigen Ursachen und Wirkungen. 3. Die Finanzierung für eine Erinnerungskultur, die "Erinnern heißt Handeln" in den Vordergrund stellt. Das bedeutet ein Fokus auf historische Verantwortung, Täter*innenschaft, die Abwesenheit jüdischen Lebens von damals und die Besonderheiten der heutigen jüdischen Community setzt.
  • Entsprechende Bundes- und EU-Fördermittel zur langfristigen finanziellen Unterstützung sind zu prüfen und ggf. mit einzubeziehen.
  • Bildungsprozesse, schulische- und außerschulische Bildung zu den drei oben genannten Feldern sind neben der gesicherten haushalterischen Fortschreibung in der Erweiterung der zivilgesellschaftlichen Projekte zu fördern. Rahmenlehrpläne der Berliner Schulen sind nach Möglichkeit um den Gedanken der Gegenwart und der Funktionsweise von Antisemitismus im hier und jetzt zu erweitern.
  • Für die kurzfristige Schutzwirkung für Betroffenen entfaltet Ordnungsrecht nur eine bedingte Wirkung es braucht viel mehr ein effektiv nutzbares Hausrecht, das auch konsequent genutzt wird. Ein Ordnungsrechtverfahren soll nur unter dem Aspekt der Verurteilung nach einer Gewalttat möglich sein, die die körperliche Unversehrtheit von anderen Mitgliedern der Hochschule gefährdet. Die Exmatrikulation kann nur die Ultima Ratio, nach einem Verfahren mit steigenden Eskalationsstufen sein, wenn auch eine weiter bestehende Gefährdung anderer Hochschulmitglieder besteht. Diese Beurteilung kann nur durch ein volldemokratisches Gremium erfolgen. Die Exmatrikulation darf nicht bundesweit unbegrenzt und nicht für alle Studiengänge Wirkung entfalten. Eine erneute Immatrikulation an einer anderen Hochschule kann als Maßnahme der Resozialisation dienen.
  • Nicht nur die Sicherheit von jüdischer Sichtbarkeit auf dem Campus ist zu gewährleisten, sondern auch religiöse Feiertage zu beachten und für Prüfungen und Urlaub entsprechende Regelungen zu schaffen.

Kategorie

Vielfalt Leben