16.11.24 –
Für eine Migrations- und Asylpolitik der humanitären Vernunft
Deutschland ist ein Einwanderungsland und das ist auch gut so. Wir wissen, dass unser Land auch so stark ist, weil viele Menschen in den letzten Jahrzehnten zu uns gekommen sind und hier mit anpacken.
Gleichzeitig suchen viele Menschen Schutz in Deutschland und Europa. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Auch der Konflikt im Nahen Osten hat Millionen Menschen in Israel, Gaza, der Westbank und dem Libanon vertrieben. Menschen fliehen aus Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan oder Syrien aufgrund von Terror, Krieg oder politischer Verfolgung. Bund, Länder und Kommunen haben in den zurückliegenden Jahren hart daran gearbeitet, den Menschen, die zu uns kommen, eine Unterkunft zu geben und sie zu versorgen. Insbesondere die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung der Kommunen von den Bürgermeister*innen bis zu den Sachbearbeiter*innen - sowie die vielen Freiwilligen haben dabei Unschätzbares geleistet. Ihnen allen gilt unser Dank.
Insbesondere dort, wo es schon bisher an bezahlbarem Wohnraum fehlte, an Personal bei der Kinderbetreuung und in Behörden, haben sich die Herausforderungen verstärkt. Die Situation ist für viele herausfordernd, für einige überfordernd. Integration wird in den Kommunen geleistet. Wir wollen uns gemeinsam der Aufgabe stellen, die Asyl- und Migrationspolitik so zu gestalten, dass Aufnahme und Integration vor Ort gelingt, das Asylrecht erhalten und der Zusammenhalt in der Gesellschaft wieder gestärkt wird.
Die realen Probleme in einem Teil der Kommunen aber auch eine hektische Migrationsdebatte, gezielte Stimmungsmache oder unrealistische Forderungen haben dazu geführt, dass die Ablehnung des Asylrechts, Diskriminierung und Spaltung zugenommen haben. Dabei wird "Migration" oft zu Unrecht als einfache Erklärung für komplizierte gesellschaftliche Probleme instrumentalisiert. Diese Erzählung wird von Rechten bewusst verbreitet und trifft besonders dort auf fruchtbaren Boden, wo Vertrauen in die Regierung verloren gegangen ist oder Angst vor einem sozialen Abstieg herrscht. Auch bei angespannter Haushaltslage muss der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft verteidigt und die Vorraussetzung für Integration geschaffen werden. Ausgrenzung, Hass und Desinformation stellen wir uns entgegen. Wir setzen auf Aufklärung, Unterstützung vor Ort, auf die Bekämpfung von Fluchtursachen und europäische Zusammenarbeit in der Asylpolitik. Aber für uns ist auch klar, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt auch auf Gerechtigkeit und Wohlstand in der Gesellschaft aufbauen muss.
Wir stellen uns den realen Herausforderungen ebenso wie der Angst und den Zweifeln vieler Menschen. Angst haben Menschen eben nicht nur, wenn sie aus anderen Ländern kommen und zweifeln, ob sie in Deutschland noch willkommen sind. Viele Menschen in unserem Land haben inzwischen auch Sorgen und Ängste, dass Fluchtmigration negative Konsequenzen für sie hat. Solche Vorurteile werden auch durch die grausamen islamistischen Terroranschläge Einzelner gezielt verstärkt. Dem Schüren dieser Ängste müssen wir uns entschlossen entgegenstellen.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht und zerfällt eben nicht nur in Maßnahmen, Zahlen und Durchschnittswerten, sondern auch in Gefühlen. Diese müssen wir anerkennen und beachten, sie dürfen jedoch nicht zu irrationaler Politik oder Scheinlösungen führen.
Allzu oft werden in letzter Zeit politische Erwartungen geweckt, die Politik gar nicht erfüllen kann. Wir wollen uns dem nicht anschließen, sondern Leid und Chaos einer Politik der Humanität, Ordnung und einem rechtsstaatlichen Umgang mit Fluchtmigration entgegensetzen, der verhindert, dass bereits marginalisierte Gruppen weiter benachteiligt und entrechtet werden. Das Asylrecht kann praktisch nicht einfach abgeschafft werden, ein Aufnahmestopp oder systematische Zurückweisungen sind weder rechtlich noch praktisch in einer Demokratie umsetzbar und schon deswegen nicht Ziel grüner Politik. Besonders aus deutscher Sicht ist eine Forderung nach der Abkehr vom individuellen Anspruch auf eine rechtsstaatliche Prüfung eine Schutzgesuches geschichtsvergessen.
Wir sind bereit, über die besten Lösungen zu diskutieren und stellen uns den schwierigen Fragen. Für Scheinlösungen stehen wir nicht zur Verfügung. Dabei sind manche Abwägungen nicht einfach zu entscheiden. Forderungen müssen stets rechtlich umsetzbar sein und tatsächliche Verbesserungen bringen. Wir stellen uns gegen reine Symbolpolitik und einen Kurs der Asylrechtsverschärfungen nur zu Lasten der schutzsuchenden Menschen, sondern treten für Humanität ein. In der Regierung haben wir dafür gekämpft, dass unser Einwanderungsland funktioniert: Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, mit dem Chancenaufenthaltsrecht oder dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz haben wir hier die Weichen gestellt. Auch mit dem Spurwechsel, der Ausweitung anwaltlichen Beistands in der Abschiebehaft oder bei der Finanzierung von Seenotrettung haben wir durch harte Kompromisse grüne Erfolge errungen, für die wir über Jahre hinweg gekämpft haben.
Bei unserem Eintritt in die Regierung haben wir Grundlagen der Visavergabe vorgefunden, die umständlich, langwierig und ineffizient waren. Das haben wir in der Regierung vom Kopf auf die Füße gestellt. Wir arbeiten mit Digitalisierung daran, Visaverfahren zu beschleunigen und Wartezeiten von teilweise weit über einem Jahr auf nahezu null zu setzen. Das ist uns beispielsweise in Indien bereits gelungen. Auf diesen Erfolgen wollen und können wir aufbauen und weiterhin für eine Migrationspolitik eintreten, die einem Einwanderungsland gerecht wird.
Doch in letzter Zeit befinden wir uns angesichts einer aufgeheizten gesellschaftlichen Debatte in der Defensive. Grüne Ideen zur Asyl- und Migrationspolitik sind an vielen Stellen noch nicht mehrheitsfähig.
Wir haben allen Grund selbstbewusst zu sein. Wir Grüne haben seit unserer Gründung für die Rechte von Geflüchteten und eine offene Einwanderungsgesellschaft gekämpft. Wir sind die Partei, die den Perspektiven von Geflüchteten und den Anliegen von Minderheiten unter den Einwander*innen eine Stimme gegeben hat. Differenzierte, sachliche Antworten in der Migrationspolitik sind nicht immer populär, aber heute dringender notwendig denn je. Kompromisse müssen immer im Rahmen der Menschenrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze geschlossen werden.
Die aktuelle Stimmung und Probleme entstanden nicht durch eine grüne Asyl- und Migrationspolitik - im Gegenteil: Die Innenpolitik in Bund und Land verantworten bisher nur Minister*innen aus anderen Partein. Seit inzwischen vielen Jahren werden in Europa teils nach immer gleichen Mustern härtere und oft dysfunktionale Maßnahmen gefordert und beschlossen, Deals mit schwierigen Partnern geschlossen und in Abschottungspolitik investiert. Das wurde immer wieder mit dem Versprechen verbunden, dass es bald geordneter zugeht und Rechtspopulismus an Rückhalt verliert.
Für uns ist klar: Abschottung löst keine Probleme. Die Übernahme von rechtsextremen oder populistischen Positionen löst keine Probleme. Im Gegenteil: Gerade Rechtsextreme profitieren davon, wenn man sich ihrem Populismus in Wortwahl oder Vorschlägen annähert, statt die Herausforderungen gut zu vermitteln, Probleme zu lösen und Empathie zu erzeugen. Das haben auch die letzten Wahlen gezeigt. Unser Weg ist ein anderer.
Hoffnung geben uns neben den vielen engagierten Haupt- und Ehrenamtlichen auch, dass Anfang des Jahres so viele Menschen wie nie zuvor in Deutschland auf die Straße gegangen sind, um ein Zeichen für eine offene, vielfältige Gesellschaft und gegen Rechtsextremismus zu setzen. Wir wissen: Aufnahme und Teilhabe funktionieren, wenn alle an einem Strang ziehen und der politische Wille vorhanden ist. Deshalb begegnen wir den derzeitigen Herausforderungen mit konstruktiven und praxisnahen Vorschlägen. Dafür setzen wir uns jetzt und auch zukünftig mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften ein – gerade auch auf kommunaler Ebene. Vorurteile können auch über Sprache und Begriffe verstärkt werden. Wir benennen die Dinge klar und verständlich, ohne damit Menschen zu diskriminieren oder falsche Eindrücke zu verstärken.
Vulnerable Personengruppen, wie etwa Menschen mit Behinderungen, Minderjährige und LGBTIQ* müssen besonders geschützt werden. Dazu gehört auch, dass z.B. Alleinerziehende, pflegende Angehörige und Menschen mit Behinderung endlich gleichberechtigten und unbürokratischen Zugang zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft erhalten.
Es ist Zeit für eine neue Asyl- und Migrationspolitik, eine die endlich funktioniert und Humanität und Ordnung verbindet. Eine, die sich Realitäten wie überforderten Kommunalverwaltungen stellt, die Menschenrechte als Vorteil begreift und die Würde der Menschen in und außerhalb Europas ins Zentrum stellt.
Zu oft wirkt Politik ratlos im Umgang mit Herausforderungen und versucht Symbole zu setzen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den diversen Problemen auf verschiedenen Ebenen wird so verhindert. Dabei gibt es in unserem Land so viel Expertise, auf die wir zurückgreifen könnten.
Wir wollen daher, dass am Kanzleramt, unter Einbeziehung aller relevanten Ressorts, ein Gremium mit Expert*innen aus Wissenschaft, Forschung, der kommunalen Praxis und Betroffenen eingerichtet wird. Das Gremium soll fortlaufend und vorausschauend beraten. So zeigen wir Antworten und Lösungswege für politische Prozesse auf. Mögliche Fragestellungen könnten sein: Was brauchen Kommunen konkret? Wo und wie gelingt Integration am besten? Welche Möglichkeit gibt es, Fluchtursachen zu bekämpfen, damit weniger Menschen zu uns fliehen müssen? Wie können wir sicherstellen, dass Menschen nicht mehr von Schleusern abhängig sind? Wie können wir die Europäische Verteilung verbessern? Woran hakt es bei der Arbeitsaufnahme noch? Andere Fragen sollten ergänzt werden, alles kann auf den Tisch.
Aber Politik wird nicht besser, wenn man der Wissenschaft immer schlechter zuhört. Es gibt viele Lehrstühle, Gremien und Institute und Räte, aber sie sollten endlich von der Politik gehört werden - ebenso wie die praktischen Erfahrungen vor Ort. Die Vorschläge des Gremiums sollen im parlamentarischen Prozess beraten und diskutiert werden. Ob sie am Ende umgesetzt werden, entscheidet natürlich die Politik. Wir können und sollten unterschiedlicher Meinung zu politischen Forderungen sein - aber die Forderungen sollten endlich wieder evidenzbasiert sein.
Wir wollen einen Pakt für gesellschaftlichen Zusammenhalt schließen. Dieser Pakt soll dafür sorgen, dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen sich zuhören und verstehen können. Denn auch das ist die Grundlage für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Außerdem müssen Gesetze auf ihre Folgen überprüft werden, damit sichergestellt ist, dass sie mit Grund- und Europarecht im Einklang stehen, nicht diskriminieren und die gewollten Ziele erreichen.
Wir wollen die komplexen Ursachen für Flucht und Migration in einem umfassenden Ansatz gemeinsam mit den Herkunfts- und Transitländern bearbeiten. Die wichtigsten Auslöser sind bewaffnete Konflikte und Verfolgung aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen. Eine Lehre aus den Jahren vor 2015 ist, dass Deutschland und die EU ihre internationale Verantwortung nicht nochmal verdrängen dürfen. Wir gehen gegen fehlende wirtschaftliche Perspektiven und unwürdige Arbeitsbedingungen vor, die ebenfalls Menschen zum Verlassen ihres Landes veranlassen. Deshalb haben wir uns erfolgreich für das deutsche und europäische Lieferkettengesetz eingesetzt, um Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsstandards in unseren Lieferketten zu verankern. Hinzu kommen die sich verschärfende Klimakrise sowie strukturelle Ursachen, die in wirtschaftlichen und sozialen, aber auch politischen Unsicherheiten liegen.
Die Klimakrise ist an vielen Orten längst Realität. Trotz all unserer Anstrengungen wird diese Krise Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Die EU sollte die betroffenen Staaten deshalb bei den notwendigen Anpassungsmaßnahmen unterstützen - gerade weil sie historisch eine besondere Verantwortung für klimaschädliche Treibhausemissionen tragen. Europa sollte zusammen mit anderen Industriestaaten vorangehen und über internationale Regulation im Rahmen des Völkerrechts zum Umgang mit klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung sowie zum Zugang zu internationalem Schutz beraten. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit, die Klimafinanzierung, und den Fonds gegen Klimaschäden wollen wir stärken.
Wir wollen keine Welt, in der Menschen erst nach Europa fliehen müssen, um in Sicherheit zu sein und Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu haben. Wir wollen vorher ansetzen. Deswegen treten wir dafür ein, Arbeitsmigration zu vereinfachen, Migrationspartnerschaften auf Augenhöhe zu schließen, Fluchtursachen zu bekämpfen und Geflüchtete in ihren Heimatregionen besser zu unterstützen. In der EU-Entwicklungszusammenarbeit setzen wir uns dafür ein, dass Gelder der Förderung nachhaltiger Entwicklungsziele dienen. Die vorgesehene Begrenzung für Ausgaben im Bereich von Migration soll eingehalten und für sichere Zugangswege eingesetzt werden. Krisenpräventation, humanitäre Hilfe und beispielsweise Wiederaufbau in Krisenregionen sind ein zentrales Element unserer Migrationspolitik. In den Maßnahmen und Abkommen muss zwischen Fluchtmigration und Arbeitsmigration unterschieden werden.
Deutschland und Europa sind auf Migration in den Arbeitsmarkt angewiesen. Ohne maßgebliche Migration würden unsere Sozialsysteme, die Renten, die Gesundheitsversorgung nicht zu erhalten sein. Freiheit, Demokratie und Wohlstand sind durch Abschottung in Gefahr. Gleichzeitig wollen wir Fluchtmigration besser ordnen und steuern, denn das Leid und Chaos durch lebensgefährliche Fluchtrouten ist nicht hinnehmbar. Wir wollen wissen, wer nach Europa kommt und wir wollen sichere Fluchtwege, damit niemand auf lebensgefährlichen Wegen nach Europa kommen muss, um Schutz zu finden.
Dazu setzen wir auch auf menschenrechtsorientierte und gerechte Migrationspartnerschaften. Mit Visaerleichterungen und Ausbildungspartnerschaften erhalten Partnerstaaten eine Aussicht auf sichere Migrationswege und garantieren im Gegenzug beispielsweise eine sichere Rückkehr ihrer Staatsangehörigen. Nur durch umfassende Abkommen kann die Akzeptanz für die Vereinbarungen, Rückführungen und geordnete und sichere Migration geschaffen werden. Sie dürfen nicht von finanzieller Unterstützung der Entwicklungszusammenarbeit abhängig gemacht werden. Internationale Zusammenarbeit, wirtschaftliche Vorteile oder Visaerleiterungen dürfen nicht einseitig migrationspolitischen Interessen untergeordnet werden. Mehr geregelte Migration ermöglicht weniger ungeregelte Migration und die dadurch lebensgefährliche Flucht. Das ist nicht nur im Interesse der Betroffenen, die zumeist keine Alternative zu den aktuellen Fluchtrouten haben, sondern auch in unserem Interesse. Wir bauen auf mehr Transparenz der Abkommen für Parlamente und Öffentlichkeit sowie auf Beteiligung der Zivilgesellschaft. Migrationspartnerschaften sollen die zwischenstaatliche Mobilität stärken. Dabei ist uns wichtig, dass auch Frauen endlich gleichberechtigten Zugang zu Mobilität erhalten, denn aktuell sind sie oft benachteiligt. Der Abschluss von Migrationsabkommen mit Herkunfts- und Transitstaaten muss auf Augenhöhe erfolgen. Die Abkommen sollen der Bevölkerung Perspektiven geben und keine autokratischen Regime stärken.
Bei funktionierenden Abkommen wie der Westbalkanregelung haben wir uns erfolgreich für eine Verstetigung ausgesprochen, aber einige der aktuellen Vereinbarungen erreichen ihre Ziele nicht oder erzeugen neue Fluchtursachen und Leid. Sie schützen Menschenrechte nicht, umgehen parlamentarische Verfahren, schaffen Abhängigkeiten von Diktatoren und erzeugen regelmäßig neue Fluchtursachen. Wenn Geflüchtete von Behörden misshandelt, vergewaltigt oder in die Wüste getrieben werden, ist das schockierend und muss entschiedene politische und strafrechtliche Konsequenzen haben.
Deswegen setzen wir uns für Alternativen zu den bestehenden “Abkommen” mit Ländern wie Tunesien oder Libyen ein. Bei Migrationsabkommen dürfen die Menschenrechte, das Völkerrecht, die Rechtstaatlichkeit und die Würde von Geflüchteten nicht auf dem Verhandlungstisch liegen. Das Ergebnis der zukünftigen Migrationspartnerschaften muss sein, dass sie die Lebenssituation vor Ort verbessern, sowie geordnete Wege in den Arbeitsmarkt und zur Bildungsmigration schaffen. Nur so werden wir die ungeordnete und oft lebensgefährliche Migration nach Europa wirksam und langfristig reduzieren können.
Es sollte beispielsweise eine nachhaltige Vereinbarung mit der Türkei geben. Das Ziel dieses Abkommens muss sein, die notwendige finanzielle und logistische Unterstützung für die Millionen syrischen und afghanischen Geflüchteten in der Türkei sicherzustellen und die unrechtmäßigen Abschiebungen in die Herkunftsländer zu unterbinden. Rechtsstaatlichkeit und die Achtung des Völkerrechts müssen dabei stets beachtet werden. Im Gegenzug könnte die geregelte humanitäre Aufnahme über Kontingente in Europa, eine Visa-Liberalisierung für Kurzzeitvisa und erleichterte Arbeitsmigration analog zur Westbalkanregelung sein - ohne die Türkei zum sicheren Herkunftsland oder sicherem Drittstaat zu erklären. Wenn türkische Staatsangehörige ohne Probleme im Schengenraum Urlaub machen oder einen Job suchen könnten, wäre der Freiheitsgewinn enorm. Gleichzeitig müsste sich die Türkei verpflichten, Bedingungen für die Visaliberalisierung zu akzeptieren. Dazu würden Fragen der Menschenrechtslage in der Türkei zählen, oder auch die sichere Rücknahme von türkischen Staatsangehörigen, die keinen Schutzstatus haben und nicht die Voraussetzungen für Arbeits- oder Bildungsmigration erfüllen. Dabei muss sichergestellt werden, dass der Zugang zu Schutz durch solche Abkommen für politisch Verfolgte und andere Schutzberechtigte einfacher und nicht schwerer werden soll.
Der Kriminalisierung der humanitären Hilfe für schutzsuchende Menschen an Land und der zivilen Seenotrettung stellt sich unsere Partei weiterhin geschlossen entgegen. Für diese Position wollen wir Rechtssicherheit schaffen. Deswegen setzen wir uns auf allen Ebenen dafür ein, dass ein eindeutiger Tatbestandsausschluss für alle Fälle humanitärer Unterstützung eingeführt wird, sodass humanitäre Hilfe und Flucht nicht kriminalisiert werden können.
Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern wollen wir zufriedenstellende Antworten auf Flucht und Migration nach Europa finden. Unser Leitgedanke bleibt, dass im Mittelpunkt europäischer Politik der Mensch in seiner Würde und Freiheit stehen muss. Wir wollen, dass Menschenrechte überall und jederzeit eingehalten werden - sie sind unverhandelbar. Wir verteidigen das Grundrecht auf Asyl und unsere internationalen Verpflichtungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention.
Wir setzen uns seit vielen Jahren für funktionierende und menschenwürdige EU-Asylpolitik ein, bei der alle EU-Staaten einen fairen Beitrag für einen solidarischen Umgang mit Fluchtmigration leisten müssen.
Unsere Haltung ist klar: Das Recht auf Einzelfallprüfung und das Nichtzurückweisungsgebot gelten immer und überall. Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, muss in der EU inhaltlich geprüft werden. Wir stellen uns der Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten entgegen, denn immer wieder hat sich gezeigt, dass diese Initiativen am Ende viel Steuergeld kosten, vor Gerichten scheitern und von tatsächlichen Lösungen ablenken. Erneute Haftlager wie Moria an den Grenzen, die die Würde und die Rechte von Schutzsuchenden verletzen, müssen verhindert werden. Kinder müssen kindgerecht untergebracht und versorgt werden. Haft ist mit dem Kindeswohl grundsätzlich nicht vereinbar.
Pushbacks verstoßen gegen europäisches und internationales Recht und müssen politisch und rechtlich scharf bekämpft werden. Solche Straftaten müssen Konsequenzen haben, womöglich auch vor deutschen Gerichten. Wer vor dem Kriegsdienst flieht, beispielsweise um nicht für Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu kämpfen, sollte entsprechend der EuGH-Rechtsprechung Schutz in Europa finden.
Uns eint der Wille, uns weiterhin mit aller Kraft für eine Verbesserung der Situation für Schutzsuchende und eine bessere Organisation von Migration einzusetzen. Wir wollen alles dafür tun, dass die neue EU-Asylreform nicht nur Fluchtmigration besser organisiert, sondern auch die Situation von Menschen auf der Flucht nach Europa nicht verschlechtert, sondern verbessert wird.
Mit dieser klaren Haltung und klaren Kriterien werden wir die beschlossenen Rechtsakte der EU-Asylreform, wie jedes Recht, umsetzen.
Wir wollen, dass die Überwachung der Einhaltung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland den Leitlinien der Agentur für Grundrechte der Europäischen Union (FRA) entsprechend gesetzlich geregelt wird. Der unabhängigen Nationalen Menschenrechtsinstitution Deutschlands müssen in diesem Zusammenhang dauerhaft zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Einzelne Mitgliedsstaaten versuchen bereits, sich durch nationale Alleingänge aus dem europäischen Konsens zu verabschieden oder das Asylrecht auszulagern. Wir kämpfen politisch für Verbesserungen und gegen eine Erosion des EU-Rechts. Leid und Chaos setzen wir Humanität, Ordnung und einen rechtsstaatlichen Umgang mit Fluchtmigration entgegen. Wir wollen eine solidarische und faire Verteilung von Schutzsuchenden in Europa.
Die Aufnahmebedingungen müssen europaweit auf ein menschenwürdiges Niveau angehoben werden, um Menschen nicht durch Armut, Obdachlosigkeit oder Diskriminierung zur Sekundärmigration zu zwingen. Die besonderen Bedürfnisse vulnerabler Gruppen wie beispielsweise Kinder, queerer Menschen oder Menschen mit Behinderung müssen im Aufnahme- und Asylverfahren berücksichtigt werden. Bei der Registrierung ist sicherzustellen, dass die entscheidende Bewertung der Vulnerabilität von geschultem Fachpersonal durchgeführt wird.
Schon jetzt sollte von den zuständigen Mitgliedstaaten eine systematische und rechtsstaatliche Registrierung der Schutzsuchenden eingefordert werden und Schutzsuchende nicht unter unzumutbaren Bedingungen oder unverhältnismäßigen Inhaftierungen in Grenzlagern festgehalten werden. Außerdem dürfen Menschen nicht inhaftiert werden, nur weil sie Asyl beantragen. Das GEAS-Anpassungsgesetz muss so ausgestaltet werden, dass jede Form der Inhaftierung von Kindern ausgeschlossen wird. Kinder sollen grundsätzlich immer außerhalb geschlossener Einrichtungen und unter Respekt der UN-Kinderrechtskonvention untergebracht werden. Dabei sind für uns die Forderungen der Kinderrechtsorganisationen zentral.
Im Gegenzug zur Registrierung sollte den Außengrenzstaaten Unterstützung bei der Aufnahme von Schutzsuchenden angeboten werden. Nur so werden wir dauerhaft eine bessere Verteilung in Europa und rechtsstaatlich kontrollierte Außengrenzen sicherstellen können. Deshalb sollte Deutschland gemeinsam mit anderen Staaten eine relevante Zusage zur Aufnahme schon im nächsten Jahr machen. Eine Aufnahmezusage kann beispielsweise daran gekoppelt werden, ob weiterhin unregistrierte Personen an der deutschen Grenze ankommen, die schon in anderen EU-Staaten waren. Für jede unregistrierte Person an der Binnengrenze könnte das Kontingent reduziert werden, um die Anreize zur Registrierung hoch zu halten. So könnte schon im nächsten Jahr für eine bessere Verteilung gesorgt und das Chaos an den Außengrenzen beendet werden. Hierfür ist keine weitere Änderung der Rechtslage notwendig.
Bei der Umsetzung der GEAS-Reform werden wir uns mit all unseren Möglichkeiten dafür einsetzen, dass Integration gefördert, rechtsstaatliche Verfahren möglichst umfassend gewährleistet und keine zusätzlichen, unnötigen Einschränkungen des Asylrechts stattfinden. Dazu zählt auch, dass die Einstufung von sicheren Herkunftsländern und sicheren Drittstaaten weiterhin nur parlamentarisch nach klaren grundrechts- und menschenrechtsorientierten Kriterien getroffen werden darf.
Die Menschenrechtslage an den Grenzen und bei den Asylverfahren muss engmaschig überwacht werden, besonders um vulnerable Gruppen zu schützen. Wir wollen sicherstellen, dass Schutzsuchende nicht unter unzumutbaren und menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern festgehalten werden.
Wir verteidigen unsere Demokratie und den Rechtsstaat gegen hybride Angriffe - dazu zählt auch die Verteidigung des individuellen Rechts auf Asyl. Putins Russland und Lukaschenkos Belarus missbrauchen das Leid von Geflüchteten für geopolitische Interessen. Wir werden alle rechtsstaatlichen und politischen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Instrumentalisierung von Schutzsuchenden insbesondere durch Staaten wie Russland und Belarus zu verhindern. Die Entrechtung von Menschen, die durch autoritäre Staaten instrumentalisiert werden, lehnen wir ab. Auch an der belarussischen Grenze verstoßen Pushbacks und die entwürdigende Behandlung von Geflüchteten gegen europäisches und internationales Recht. Wir werden auch die guten Beziehungen zu unseren europäischen Partnern nutzen, um Instrumentalisierung und Pushbacks entgegenzuwirken.
Grenzkontrollen an den Außengrenzen sind eine EU-Gemeinschaftsaufgabe, die zunehmend von europäischen Beamt*innen übernommen werden sollte. Deswegen wollen wir Frontex rechtsstaatlich weiterentwickeln. Dazu gehört, dass Frontex sich nicht an menschenrechtswidrigen Einsätzen beteiligen darf und solche Einsätze konsequent und zeitnah beenden muss, so wie es in der Frontex-Verordnung vorgesehen ist. Gleichzeitig bedarf es einer engmaschigen parlamentarischen Kontrolle von Frontex-Einsätzen. Es muss einfacher werden, Frontex und nationale Behörden für Rechtsverstöße zur Rechenschaft zu ziehen. Opfer solcher Rechtsverstöße, insbesondere an den Außengrenzen, brauchen juristische Unterstützung. Statt auf Abschottung und Frontex-unterstützte Pullbacks im Mittelmeer wie durch die libysche Küstenwache, setzen wir auf eine staatlich koordinierte EU-Seenotrettung und die Unterstützung von zivilen Seenotrettungsorganisationen.
Für uns steht fest, dass wir das Asylrecht als große Errungenschaft feiern und als historische Verantwortung verteidigen. Zu den grünen Grundsätzen gehört jedoch auch, dass nach einem erfolgreichen Asylantrag die großen Herausforderungen in unserem Einwanderungsland noch bevorstehen. Es reicht nicht, Menschen Schutz zu bieten, sie sollen auch Teil der Gesellschaft werden und werden können.
Um das Grundrecht auf Asyl zu schützen und die gesellschaftliche Akzeptanz zu stärken, müssen Aufnahme von Schutzbedürftigen, Steuerung und Ordnung von Migration, wirksame Integration sowie sichere Rückkehr bei abgelehnten Aslygesuchen zusammengedacht und durchgesetzt werden. Wir wollen Kapazitäten aufbauen, die soziale Infrastruktur stärken und tragfähige Strukturen schaffen. Wir treten dafür ein, dass die Möglichkeiten vor Ort überall wieder der Herausforderung entsprechen. Ziel ist es, dass diese Menschen in ihren Heimatländern eine sichere Perspektive haben und nicht auf der Suche nach einem besseren Leben ihr Land verlassen müssen. Eine Obergrenze ist weder machbar noch rechtens oder human.
Statt Länder politisch als sichere Dritt- oder Herkunftsstaaten einzustufen, braucht es rechtssichere, schnelle und faire Verfahren, also unvoreingenommene Asylverfahren und den Zugang zu einer unabhängigen Beratung während des gesamten Verfahrens. Staaten, in denen marginalisierte Gruppen wie queere Menschen systematisch verfolgt werden, sind nicht sicher. Die Situation in eingestuften Ländern muss fortlaufend beobachtet und Änderungen berücksichtigt werden.
Aus dem Genozid an den Jesid*innen durch den sogenannten „Islamischen Staat“ erwächst eine besondere Verantwortung. Abschiebungen von Jesid*innen in den Irak stellen wir uns darum konsequent entgegen. Wir stehen solidarisch an der Seite aller Menschen, die weltweit für Demokratie und Menschenrechte kämpfen. Wir fordern die Innenministerkonferenz (IMK) auf, dass der Abschiebestopp nach Iran verlängert wird. Wir treten dafür ein, die Einschränkungen beim Familiennachzug wieder aufzuheben.
Als Ergänzung des Asylsystems unterstützen wir humanitäre Aufnahmeprogramme und Resettlement, wie mit dem Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan. Für Ortskräfte und bedrohte Frauen- und Menschenrechtler*innen, die aus Afghanistan, nach Pakistan, Iran oder in die Türkei geflohen sind, müssen humanitäre Visa unbürokratisch von den Botschaften erteilt werden. Programme wie diese wollen wir aus unserer humanitären Pflicht fort- und umsetzen. Wir wollen sichere Fluchtwege aus Krisenregionen - auch im Nahen Osten. Wir stehen weiterhin zum Kirchenasyl.
Damit die Geschichte unseres Einwanderungslandes erfolgreich fortgeschrieben wird, wollen wir politisch Verantwortung übernehmen. Gleichzeitig gewährt Deutschland Schutzbedürftigen Schutz. Einwanderung in den Arbeitsmarkt und die Aufnahme von Schutzbedürftigen sind grundsätzlich getrennt zu betrachten, denn sie folgen unterschiedlichen Logiken. Arbeitsmigration folgt der Nachfrage nach Arbeitskräften, die Aufnahme von Schutzsuchenden den humanitären Verpflichtungen.
Migration braucht die entsprechende dauerhafte Infrastruktur in den Kommunen und den Ländern. Dazu gehören ausreichend Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, in denen Geflüchtete möglichst nicht länger als drei Monate untergebracht sein sollen und dauerhaften Wohnraum in den Kommunen. Die dezentrale Unterbringung ist zu bevorzugen. Geflüchtete sollten Möglichkeiten nutzen dürfen, aus einer Unterkunft auszuziehen. Familienbezüge und individuelle Anknüpfungspunkte müssen berücksichtigt werden.
Wir treten für ein ausreichendes Angebot an ausfinanzierten Sprachkursen ein, die direkt nach der Ankunft zugänglich sind. Bei diesen muss sichergestellt sein, dass Barrieren für Teilhabe abgebaut werden, insbesondere für Frauen mit Kindern, die beim Spracherwerb statistisch deutlich benachteiligt sind. Der Zugang zum Bildungssystem und in die Arbeitswelt muss durch ausreichend Mittel und Personal sichergestellt sein. Bessere Integration wird nur gelingen, wenn Integrationsmaßnahmen auch besser finanziert sind. Die Unterstützung von Eltern und insbesondere Müttern bei der Kinderbetreuung ist zentral für gelingende Integration - beispielsweise bei Sprachkursen.
Der Umgang mit Migration und Integration ist eine Aufgabe, die dauerhafte Strukturen braucht. Dabei muss es auch um Resilienz gehen, denn es wird immer wieder Jahre geben, in denen mehr Menschen kommen und Jahre, in denen weniger Menschen kommen. Die Strukturen eines Einwanderungslandes müssen für diese Dynamiken gerüstet sein. Die Ampel-Regierung hatte sich vorgenommen, 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen. Wir treten dafür ein, dass das auch endlich Praxis wird und damit auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum endlich angegangen wird. Die ausreichende Finanzierung von Zivilgesellschaft und staatlicher Infrastruktur wie Gerichten oder Behörden ist eine der Voraussetzungen für gelingende Integration. Eine stärkere und dauerhafte Finanzierung der Unterbringung und Versorgung in unseren Kommunen, die einen zentralen Teil der Integration leisten, sollte von Bund und Ländern durch einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen geregelt sein.
Wir stehen für soziale Teilhabe. Damit alle Menschen am Leben in unserer Gesellschaft teilhaben und Integration gelingen kann, müssen hierfür auch die Voraussetzungen geschaffen werden. Politische Maßnahmen dürfen nicht darauf abzielen, das Leben von Geflüchteten zu erschweren, sondern die Integration zu vereinfachen. Maßnahmen wie eine Bezahlkarte, müssen so ausgestaltet werden, dass sie Bürokratie verringern und Integration ermöglicht - das haben wir in Hannover erfolgreich vorgemacht - ganz ohne unangemessene Bargeldobergrenze.
Auch das EU-Recht legt fest, dass eine Leistungskürzung bei Dublin-Fällen in Deutschland nur dann erfolgen darf, wenn es den betroffenen Personen tatsächlich und rechtlich möglich ist, in einen anderen zuständigen EU-Mitgliedstaat zu gelangen und dort auch faktisch Zugang zu Leistungen besteht. Es muss immer sichergestellt werden, dass keine Kürzung unter das Existenzminimum erfolgt. "Bett, Brot, Seife" ist für uns keine Leitlinie. Stattdessen wollen wir die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchsetzen: Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.
Unser Ziel ist es, mehr Planbarkeit für die Kommunen zu schaffen. Wir setzen uns für rechtssichere, möglichst zügige und faire Verfahren ein, um damit Klarheit für Betroffene und Kommunen zu schaffen - unabhängig davon, aus welcher Region die Antragstellenden kommen. In der Bundesregierung haben wir uns für eine bessere Arbeitsmarktintegration und langfristige Bleibeperspektiven für berufstätige Schutzsuchende eingesetzt: Wir haben die Möglichkeit eines Spurwechsels für Geduldete aus der Asyl- in die Erwerbsmigration geschaffen und mit dem Chancenaufenthaltsgesetz sowie dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Wir haben die Beschäftigungsduldung deutlich erweitert, Arbeitsverbote gelockert und eine Genehmigungsfiktion bei Beschäftigungserlaubnissen auf den Weg gebracht, um die Verfahren stark zu beschleunigen. Damit sind wir bereits wichtige Schritte gegangen. Wir wollen, dass Arbeitsverbote abgeschafft werden. Wer arbeiten kann, soll arbeiten dürfen. Außerdem soll im Aufenthaltsrecht verankert werden, dass all jene, die hier arbeiten, eine Ausbildung machen oder studieren, eine langfristige Bleibeperspektive bekommen, statt abgeschoben zu werden. Damit schaffen wir Kapazitäten in den Ausländerbehörden, damit Rückführungen nicht die Falschen treffen. Es reicht nicht, Menschen Schutz zu bieten. Wir müssen Perspektiven und Teilhabe ermöglichen, damit Geflüchtete Teil der Gesellschaft werden und werden können - bis hin zur Staatsbürgerschaft. Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.
Das Asylrecht, die Grund- und Menschenrechte zu verteidigen, bedeutet im Kern, geltendes Recht durchzusetzen und Menschen Zugang zu diesem Recht zu ermöglichen. Das gilt an den Außengrenzen, in anderen EU-Staaten, es gilt aber eben auch in Deutschland. Auf europäischer Ebene halten sich verschiedene EU-Mitgliedsstaaten nicht an geltendes EU-Recht. Statt der vorgeschriebenen Durchführung rechtsstaatlicher Verfahren und rechtsstaatlicher Kontrolle der Außengrenzen werden tausendfach Pushbacks durchgeführt. Statt Asylsuchenden ordentliche Perspektiven zu bieten, sorgen unwürdige Bedingungen dafür, dass Menschen in Länder wie Deutschland, Frankreich oder Österreich weiterziehen müssen. Das darf nicht länger hingenommen werden. Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ist hier seit Jahren untätig, obwohl sie als Hüterin der Verträge für die Durchsetzung des Rechts verantwortlich ist Vertragsverletzungsverfahren zur Durchsetzung des Rechts werden allzu oft nicht angestoßen, obwohl Rechtsbrüche offensichtlich sind. Deswegen sollte bei fortlaufender Untätigkeit der EU-Kommission die Bundesregierung selbst ihre Möglichkeit nutzen, Vertragsverletzungsverfahren anzustoßen. Das würde dazu beitragen, dass Geflüchtete überall in Europa Perspektiven haben und sich die Verteilung verbessert.
Geltendes Recht umfasst aber eben auch, dass nicht jeder, der nach Deutschland kommt, bleiben kann. Wer nach individueller Prüfung auf asyl- und aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen sowie nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel kein Aufenthaltsrecht erhalten hat und bei dem keine Abschiebungshindernisse entgegenstehen, muss zügig wieder ausreisen. Hier stehen wir zum Vorrang der freiwilligen Ausreise. Die Rückkehrberatung sollte gestärkt und von pädagogisch geschultem Personal durchgeführt werden. Denn wer ohne eine Perspektive oder Idee der eigenen Zukunft anderswo abgeschoben wird, ist schneller wieder da, als viele denken. Kettenabschiebungen dürfen nicht dazu führen, dass Asylsuchende ohne Prüfung ihres Schutzgesuches in Staaten außerhalb der EU abgeschoben werden.
Für uns ist klar, dass Menschen nicht in Staaten abgeschoben werden dürfen, bei denen menschenrechtliche oder völkerrechtliche Gründe entgegenstehen. Dabei muss sichergestellt sein, dass diese Staaten rechtsstaatliche Prinzipien im Umgang mit Geflüchteten respektieren. Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete verbieten sich. Eine Rückführung darf nur stattfinden, wenn Widersprüche von Gerichten überprüft wurden. Damit sollen auch rechtswidrige Abschiebungen verhindert werden. Wir wollen Schutz vor Unrechtsregimen wie in Syrien oder den Taliban in Afghanistan bieten und sie nicht durch Rückführungsvereinbarungen politisch legitimieren.
Doch besonders bei Menschen, die schwere Straftaten begangen haben oder Gefährder sind, muss der Rechtsstaat durchgreifen. Ausreisepflichtige, die schwere Straftaten begangen haben, müssen nach Verbüßung ihrer Strafe prioritär zurückgeführt werden. Unser Rechtsstaat muss alle Möglichkeiten ausschöpfen, um zu verhindern, dass Menschen hier und anderswo gefährdet werden.
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Beschluss (vorläufig) der Bundesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 16.11.2024