Berlin im Herzen Europas, Europa im Herzen Berlins

26.08.20 –

Beschluss auf dem Landesausschuss:

30 Jahre sind seit der Wiedervereinigung vergangen und in dieser Zeit ist Berlin als europäische Stadt zusammengewachsen. Die Berliner*innen erleben und gestalten diese Verbindung von Ost und West, Berlin und Europa heute alltäglich - sei es durch die Einbindung von Berlin in eine grenzüberschreitende Metropolregion oder die vielen Studierenden und Berufstätigen, die Berlin nach Europa tragen und Europa nach Berlin. Unsere Stadt bietet für viele europäische Projekte ein Zuhause und profitiert nicht zuletzt von EU-Förderprogrammen.

Um diese selbstverständliche Einbindung von Berlin in die EU dauerhaft zu festigen, bedarf es kontinuierlicher und anhaltender Arbeit. Die gegenwärtigen und anstehenden Auswirkungen des Brexit, sowie die COVID-Pandemie zeigen: Berlin und Deutschland können und werden ohne eine EU-Einbettung keine Zukunftsperspektive haben. Weder als offene demokratische Gesellschaft, noch als Wirtschaftsstandort werden wir unter dem Druck globaler Veränderungen bestehen können, wenn wir nicht auf Europa setzen und es gleichzeitig weiterentwickeln. Dies gilt für Klima-, Umwelt-, Verkehrsfragen und Digitalisierungsstrategien, genauso wie für Demokratie und Migration. Denn Europa zu verinnerlichen heißt Schubladendenken abzulegen und Europa stattdessen als Querschnittsthema in allen Bereichen der Landes- und Regionalpolitik zu begreifen.

Europäische Solidarität und Verantwortung

  • Unsere Stadt soll Zentrum europäischer Solidarität sein. Jedes politische Gestaltungsfeld muss alle Berliner*innen im Blick behalten und Europas Verantwortung für würdevolle Perspektiven für alle mitdenken. Auf Landesebene unterstützen wir die nationale Umsetzung der Säule sozialer  Rechte und stärken Berliner*innen aus ganz Europa mit unserem Einsatz für die Europäische Arbeitslosenrückversicherung den Rücken.
  • Wir wissen um unsere Verantwortung innerhalb der Europäischen Union und schauen nicht weg, wenn humanitäre Notlagen entstehen. Wir denken Solidarität praktisch. Das heißt, dass wir unsere Möglichkeiten nutzen und erweitern wollen, um auf humanitäre Notlagen im in- und  außereuropäischen Ausland zu reagieren und Schutzsuchenden eine würdige Perspektive zu ermöglichen.
  • Wir setzen uns dafür ein, dass die Möglichkeiten der Landesebene zu diesem Zweck ausgeweitet werden. Der Bund hat die Verantwortung, die Bedingungen für eine humane Asyl- und Migrationspolitik zu schaffen, doch er darf die Länder nicht länger in ihrem Bestreben zur Verbesserung von  humanitären Notlagen hindern können.
  • Die Hintergründe von Flucht und Migration bekommen in der öffentlichen Debatte in Europa nicht genügend Raum. Wir sehen es auch als unsere Aufgabe an, öffentliche Aufmerksamkeit für Menschen zu schaffen, die noch zu wenig gehört werden.

 

Umwelt, Klima, Wirtschaftsinnovation

  • Wir wollen mehr Europa in Berlin, aber wir wollen, dass unser Europa grün wird. Daher treten wir dafür ein, Klimaschutz als Kriterium für Verwendung von EU-Fördermitteln zu stärken.
  • In der Umwelt- und Klimapolitik setzt die Europäische Union mit ihren Richtlinien wichtige Maßstäbe. Wir wollen, dass Berlin diese Vorgaben nicht nur einhält, sondern sie auch ambitioniert umsetzt.
  • Wir können von unseren europäischen Nachbarstädten viel lernen, denn diese haben schon vor Jahrzehnten mit dem Umbau ihrer Stadt begonnen: Amsterdam zeigt als Schwammstadt, wie wir Wasser in der urbanen Landschaft halten können, und Kopenhagen ist seit Jahren ein Vorbild in  der Verkehrspolitik. Auch Ljubljana zeigt mit seiner zukunftsorientierten Zero-Waste-Politik, wo es langgeht. Auch wir bauen Berlin um, zu einer Schwammstadt, zu einer Zero-Waste-Stadt und haben die Verkehrswende eingeleitet. Dies werden wir mit aller Kraft weiter fortsetzen. Um Europa  im Bereich Umwelt und Klima voranzubringen, ist es deshalb wichtig, Städtepartnerschaften thematisch zu vertiefen und im Austausch gemeinsame Lösungen zu erarbeiten.
  • In Berliner Kiezen gibt es viele Betriebe, die gemeinwohlorientiert sind und für deren Erfolg Profit nicht das wichtigste Kriterium ist. Um diese zu erhalten und zu stärken, setzen wir uns dafür ein, dass Besonderheiten und Bedürfnisse von Projekten der solidarischen Ökonomie bei der Vergabe  von europäischen Fördermitteln berücksichtigt werden.
  • Wir wollen Berlin zum europäischen Zentrum von grünen und ethisch-geleiteten Innovationen weiterentwickeln. Dazu gehört verstärkte Förderung der europäischen Startups und KMUs in Bereichen Green Deal, Digitalisierung und KI. Wir arbeiten daran, dass zukunftsträchtige grüne Formen in  Forschungs- und Wirtschaftsförderung von den geplanten COVID-Wiederaufbaufonds verstärkt profitieren. Die EU muss sich weiterhin als Garant für eine innovationsfreundliche aber datenschutzund grundrechtsfeste Regulierung der neuen Technologien behaupten. Berlin wird davon als  Standort besonders profitieren und zugleich grüne und ethische Maßstäbe setzen können.

 

Demokratisches Europa im Herzen

  • Wir sind für unsere Nachbarregionen erreichbar und stärken so die Vernetzung der Zivilgesellschaft. Berlin ist perfekt gelegen, um ein Magnet für Menschen aus Mittelund Osteuropa zu sein. Daher unterstützen wir den Ausbau der Schienen-Schnellverbindungen nach Polen und Tschechien  und somit auch in die Slowakei und nach Ungarn. Für Menschen dort soll Berlin „um die Ecke“ sein!
  • Gerade in Zeiten, in denen Demokratien unter Druck stehen, ist dies nicht mehr nur eine Infrastrukturfrage, sondern auch eine Frage der demokratischen Solidarität und Offenheit. Deshalb stellen wir Foren für Austausch zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Akteur*innen –  besonders auch für unsere osteuropäischen Nachbar*innen – bereit. Aufenthalte für politische Aktivist*innen und Kulturschaffende aus Polen, Ungarn und weiteren Nachbarländern geben sichere Räume für ein Aufatmen und politisches Engagement. Diese Aufenthalte wollen wir erleichtern und dafür finanzielle, soziale und rechtliche Rahmenbedingungen schaffen.
  • Berlin kann sich auch in der Nachbarschaft inspirieren: So, wie es das Solidarnosc-Zentrum in Gdansk bereits tut, könnte auch ein Campus für Demokratie auf dem Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale der europäischen Zivilgesellschaft einen Ort für Entfaltung bieten und die nähere europäische Geschichte der Demokratisierung und des Zusammenwachsens erfahrbar machen.
  • Wir treten aktiv für die Schaffung eines europäischen Vereinsrechts ein, damit gerade in Berlin eine grenzüberschreitende Zivilgesellschaft endlich einen gesicherten europäischen Entfaltungsrahmen und Sicherheit bekommt.
  • Selbstverständlich stehen wir in Berlin auch dafür ein, das demokratischste Recht zu universalisieren: Das Wahlrecht! Wir wollen weiterhin dafür kämpfen und ggf. Verfassungsgrundlagen schaffen, damit alle EU-Bürger*innen und alle Menschen, die in Berlin ihren  Lebensmittelpunkt haben, an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den BVVen teilnehmen können.

 

Europäische Städte-Kooperationen und Städteperspektiven stärken

  • Wir wollen die transnationale und interregionale Zusammenarbeit stärken über den Austausch von Best Practices und vermehrte grenzüberschreitende Kooperationen zwischen Berlin und anderen europäischen Regionen und Städten im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative INTERREG des  Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Gleichzeitig wollen wir die Berliner Städtenetzwerke pflegen und stetig ausbauen und auch diese für den gemeinsamen Austausch und die Zusammenarbeit nutzen. Einen besonderen Fokus wollen wir hier auf Demokratieförderung, Klimaschutz und digitale Innovationen legen.
  • Auch europäische und internationale Städtepartnerschaften Berlins und die der Berliner Bezirke wollen wir ausbauen und mit Leben füllen. In diesem Rahmen wollen wir auch digitale Formate ausprobieren und mehr Menschen Zugang zu interkulturellem Austausch bieten.
  • Wir setzen auf die Stärkung der Städteperspektiven in der Europapolitik. Europa-Politik ist immer noch zu sehr „Flächenpolitik“, Städte-Bedürfnisse und städtische Perspektiven kommen zu kurz. Dies muss in Brüssel mit aktiver Einmischung aus Berlin geändert werden. Eine wichtige Rolle  hierbei spielt auch die EU-Städteagenda und die im Bereich Stadtentwicklung verankerte Leipzig- Charta, für deren konsequente Umsetzung und von grünen Werten geleitete Weiterentwicklung wir uns einsetzen.
  • Wir setzen uns für kommunale Entwicklungszusammenarbeit ein, in der die Zusammenarbeit von Kommunen über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg gestaltet wird. Dabei sind wir uns der von Deutschland begangenen Kolonialverbrechen bewusst und haben eine besondere Verantwortung  gegenüber den Menschen, die in Staaten leben oder aus Staaten kommen, die von deutschen und europäischen Kolonialverbrechen betroffen waren.

 

Europabildung und interkulturelle Verständigung

  • Für europaweite Austausch-, Kooperations- und Fortbildungsprojekte stehen den Schulen mit den Erasmus+ Leitaktionen 1 und 2 und mit dem EU-Programm eTwinning umfangreiche Möglichkeiten zur Verfügung. Für die Europabildung im Unterricht ist mit den Festlegungen im  Rahmenlehrplan Berlin Brandenburg (Teil B Fachübergreifende Kompetenzentwicklung) eine verbindliche Grundlage geschaffen worden. Die Nutzung dieser Möglichkeiten durch die einzelnen Schulen erfordert aber Unterstützung, Beratung, Vernetzung durch kompetente Beauftragte der  Bildungsverwaltung. Das von der Senatsverwaltung für Bildung, Familie und Jugend 2018 eingerichtete Zertifizierungsprogramm „Exzellente Europabildung“ ist ein geeignetes Instrument hierfür. Es muss proaktiv weitergeführt werden und allen Berliner Schulen zur Verfügung stehen.
  • Mehrsprachigkeit ist eine Grundbedingung, damit Menschen in einer multikulturellen Metropole wie Berlin an der Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse Teil haben sowie kooperativ und friedlich miteinander leben können. Herkunftssprachlicher Unterricht muss in möglichst vielen Sprachen  unter staatlicher Fachaufsicht von muttersprachlichen Lehrkräften angeboten werden.
  • Die Staatliche Europa-Schule Berlin (SESB) bietet umfassenden herkunftssprachlichen Unterricht und für deutschsprachige Kinder höchstmögliche fremdsprachliche Kompetenz. Neue Standorte, insbesondere auch im Ostteil des Landes Berlin sind für übernachgefragte Sprachkombinationen, aber auch neue Sprachkombinationen, wie Deutsch-Arabisch, dringend erforderlich.

 

Europa in der Verwaltung

  • Auch in der Verwaltung ist mehr Bedarf für Europa vorhanden. Um die Verwaltung weiter zu europäisieren, verstärken wir regelmäßige Aufenthalte für Beamt*innen in Brüssel und anderen europäischen Städten. An Senatssitzungen in Brüssel halten wir fest. Wir plädieren für mehr Bürger*innen  aus anderen EU-Ländern auf allen Ebenen der Landesverwaltung. Dafür müssen Rekrutierungs- und Fortbildungsmaßnahmen gestärkt werden.
  • Europakompetenz und Europäische Netzwerke in der Verwaltung sollen u.a. durch Europäischen Austausch auf Verwaltungsebene und Weiterbildungsangebote gefördert werden.
  • Durch gute Zusammenarbeit von Bezirks- und Landesebene wollen wir zudem die Europabeauftragten stärken und den Zugang zu Informationen und somit die Vergabe von EU-Fonds erleichtern.

 

Wir wollen, dass Berlin noch stärker zu einer europäischen Stadt wird und haben viele Ideen dafür skizziert. Es liegt an uns, als Berliner*innen und Europäer*innen diese Ideen mit Leben zu füllen.

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