Bettina Jarasch äußert sich in der Berliner Zeitung zum Papstbesuch

08.06.11 –

Zeit für kritische Fragen

Bettina Jarasch ist Landesvorsitzende der Grünen und Pfarrgemeinderatsvorsitzende der St. Marien-Liebfrauen/St. Michael-Gemeinde in Kreuzberg.

Das Gespräch führte Julia Haak.

Berlin - Etwa 320.000 Mitglieder hat die katholische Kirche in Berlin. Bettina Jarasch ist eines von ihnen. Die Landesvorsitzende der Grünen ist auch Pfarrgemeinderatsvorsitzende der St. Marien-Liebfrauen/St. Michael-Gemeinde in Kreuzberg.

Frau Jarasch, haben Sie sich schon für die Papstmesse angemeldet?

Nein, ich bin noch nicht sicher, ob ich wirklich hingehen will.

Aber Sie sind doch gläubig?

Ja, natürlich. Mir geht es aber um den Glauben selber und nicht um die Institution Kirche, und bei der Papstmesse hätte ich womöglich das ungute Gefühl, Teil einer Inszenierung zu sein und weniger Teilnehmerin an einem Gottesdienst.

Kann man denn gleichzeitig Grünen-Politikerin und Katholikin sein? Schließt sich das nicht aus?

Nein, überhaupt nicht. Wenn es ums Einsetzen für den Frieden, für Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung geht, gibt es große Schnittmengen. Ich habe allerdings Probleme mit Dogmen, die dazu führen, dass Menschen ausgegrenzt werden, und mit verkrusteten Strukturen. Aber die gibt es überall.

Besonders in der Kirche?

Auch dort.

Was erwarten Sie vom Besuch des Papstes in Berlin?

Als Katholikin hoffe ich, dass der Papst den Besuch nutzt, um in Richtung der eigenen Kirche ein paar offene Fragen anzusprechen, die in Berlin quasi auf der Straße liegen.

Warum gerade in Berlin?

Der Papst wird sich ins Goldene Buch der Stadt eintragen, das ihm ein schwuler katholischer Bürgermeister überreicht. Damit ist das Thema Homosexualität ja schon gesetzt. Homosexuelle warten sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche dringend auf ein Wort des Papstes, das die Diskriminierung beendet.

Dann liegt das Thema Umgang mit wieder verheirateten Geschiedenen nahe, schon weil der Papst den geschiedenen und wieder verheirateten Bundespräsidenten Christian Wulff trifft.

Und außerdem wäre ein Besuch im Canisius-Kolleg, von dem aus die Debatte über sexuellen Missbrauch durch Geistliche angestoßen wurde, eine Chance zu zeigen, dass sich die Kirche offensiv mit dem Thema auseinandersetzt.

Die Erwartungen an diesen Besuch sind groß.

Ja, sie sind riesengroß, aber ich fürchte, die Erwartungen von kritischen Katholikinnen und Katholiken werden enttäuscht.

Ist denn das Erzbistum offen für kritische Fragen?

Das ist sehr unterschiedlich. Bei manchen Berliner Katholiken herrscht noch Wagenburgmentalität vor, aber es gibt auch sehr offene Auseinandersetzungen.

Ein Beispiel: Der bisherige Rektor des Canisius-Kollegs Pater Klaus Mertes und ich haben Ostern einen Beitrag namens „Die-Themen-liegen-auf-der-Straße“ über unsere Erwartungen an den Papstbesuch ins Internet gestellt.

Als Pater Mertes diese Thesen auf einer Seelsorgekonferenz des Bistums vorgestellt hat, war erst die Empörung groß. Aber dadurch sind auch gute und sehr offene Gespräche zustande gekommen.