Digitalisierung zum Wohl der Menschen steuern! (Unser umfassendes Positionspapier zum Europawahlkampf)

16.05.19 –

Am 26. Mai ist Europawahl und eines zeichnet sich deutlich ab: Für das neugewählte Parlament werden netzpolitische Themen eine wichtige Rolle spielen. Der digitale Wandel verändert alle Lebensbereiche wie Arbeit, Wirtschaft, Sozialleben und Bildung.

Wir Grüne wollen die Digitalisierung nicht einfach passieren lassen, wir wollen sie politisch und gesellschaftlich gestalten – und zwar jetzt! Wir sind überzeugt, dass eine offene und moderne Gesellschaft die Chancen der Digitalisierung sinnvoll nutzen muss. Das heißt nicht nur Bürger*innenrechte zu verteidigen, sondern auch neue technische Möglichkeiten zu nutzen und dabei die Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Da das Internet nicht an Ländergrenzen Halt macht, wollen wir keine nationalen Alleingänge, sondern fordern für die wesentlichen netzpolitischen Fragen europäische Antworten.

Wir wollen jetzt die Chance nutzen, unsere Visionen für eine grüne europäische Netzpolitik Wirklichkeit werden zu lassen. Wir Grüne wollen den digitalen Wandel demokratisch, ökologisch, sozial und feministisch gestalten. Wir wollen Arbeit erleichtern, die Vereinbarkeit von Beruf und Care-Arbeit aber auch die medizinische Versorgung verbessern. Wir wollen Ressourcen sparen, Verkehrsunfälle verringern, Bildungschancen erhöhen und Innovationen fördern.

Mit einer Grünen Stimme bei der Europawahl setzt ihr euch für folgende 10 Punkte ein:

 

1)    Digitalen Wandel in Wirtschaft und Arbeit gestalten
Wir wollen, dass Arbeitnehmer*innen von den vielfältigen Vorteilen der Digitalisierung profitieren statt sich Sorgen über ihre Arbeitsplätze oder über Überwachung durch Unternehmen machen zu müssen. Arbeitnehmer*innen sollen durch angemessenen Arbeitsschutz vor den möglichen „Fallen“ der Digitalisierung, wie Rund-Um-Erreichbarkeit geschützt werden. Dienstleistungsplattformen müssen sich ihrer Verantwortung bei den Arbeitsbedingungen, der Mitbestimmung und der Entlohnung stellen. Wir wollen die Chancen ergreifen, mit der Digitalisierung Arbeit zu erleichtern und die Vereinbarkeit von Beruf und Care-Arbeit zu verbessern.

Die Digitalisierung trifft auf eine Wirtschaft, in der mit ökologischen Langzeitschäden, Investitions- und Nachfrageschwäche, zu starker Konzentration von Vermögen und zu großem Ressourcenhunger einiges im Argen liegt. Wir wollen Ordnung in dieses System bringen und mehr Investitionen tätigen, damit unsere Wirtschaft krisen fester und dynamischer wird. Unser Ziel ist eine nachhaltige Digitalökonomie. Dabei setzen wir vor allem auf kleine und mittlere Unternehmen, wir wollen, dass die EU diese bei der Digitalisierung mit unbürokratischen Beratungsangeboten oder Förderprogrammen unterstützt.

Wenn durch die Digitalisierung Menschen weniger arbeiten müssen, ist es an der Zeit, Grundsicherung für Menschen von Lohnarbeit entkoppeln. Digitalisierung als Gemeinwohl wird so zur Chance für neue menschliche Entfaltungsräume.

 

2)    Digitale Bildung fördern und ausbauen
Wir wollen Innovationen fördern und Bildungschancen erhöhen, mit grenz-überschreitenden Angeboten, online wie offline.
In zahlreichen Zukunftstechnologien – z.B. der künstlichen Intelligenz oder autonomen Systemen – muss Europa gemeinsam, mutig und visionär einen eigenen Weg gehen. Daher müssen EU-Forschungsprogramme in diesen Bereichen gestärkt werden, um bahnbrechende digitale Technologien zu entwickeln.

Digitale Bildung ist aber nicht nur für Forscher*innen wichtig. Wir wollen deshalb europäische Aus- und Weiterbildungsprogramme stärken, die allen Bürger*innen zu Gute kommen. Um Menschen eine Perspektive zu bieten, deren Arbeitsplatz sich im Zuge der Digitalisierung verändern, wollen wir europäische Aus- und Weiter-bildungsprogramme stärken. Dazu möchten wir das Recht auf Weiterbildung europäisch verankern. 

Digitale Angebote gestalten unser gesellschaftliches Zusammenleben und haben einen starken Einfluss auf Rollenbilder und Chancengleichheit. Mit speziellen Programmen und  sollen Mädchen und Frauen ermutigt werden, die Digitalisierung aktiv mitzugestalten.

 

3)    Digitalisierung ökologisch nutzen
Die Digitalisierung kann zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen. Dafür wollen wir ein spezielles EU-Förderprogramm, das sich dem ökologischen Potenzial der Digitalisierung widmet und die ökologische Effizienz in Unternehmen fördert. Mit intelligenten Stromnetzen und intelligent vernetzten Transportsystemen können wir unseren Energieverbrauch reduzieren und die Energiewende beschleunigen, mit einer intelligenten Mobilitätsplanung und -steuerung bringen wir die Verkehrswende voran.

Gleichzeitig wollen wir einen sparsamen Umgang mit Ressourcen und Energie ermöglichen und sicherstellen. Das sogenannte „Internet der Dinge“ eröffnet in vielzähligen Bereichen Möglichkeiten zum effizienten Einsatz von Ressourcen und zur Umwelteffizienz – zum Beispiel in der Landwirtschaft. Daneben wollen wir beispielsweise ein europäisches „Recht auf Reparatur“ schaffen, das Herstellern von Geräten verpflichtet, langfristig Ersatzteile anzubieten sowie Reparaturanleitungen zu veröffentlichen.

 

4)    „Soziale Medien“ wirklich sozial machen
Digitale Technologien sollen das alltägliche Leben aller Europäer*innen vereinfachen und den Menschen einen leichteren Zugang zu Informationen vermitteln können und den zwischenmenschlichen Austausch ermöglichen. Wir brauchen in Europa eine vielstimmige Öffentlichkeit, die einen lebendigen Eindruck von der gesellschaftlichen und kulturellen Vielfalt Europas vermittelt.

Auf „sozialen Netzwerken“ verbreiten sich aber auch Hass und Lügen so leicht und schnell wie nie zuvor. Das gefährdet auch die in der analogen Gesellschaft erreichten Fortschritte und somit die Demokratie. Um digitale Räume der Allgemeinheit offen zu halten, müssen wir dem entgegenwirken. Wir wollen den investigativen Journalismus genauso stärken wie die Medienbildung in Schule und Weiterbildung, damit sich Bürger*innen kritisch mit den Wirkungsweisen und Dynamiken sozialer Medien auseinandersetzen können.

Wie beim Datenschutz braucht es auch  für  die  von  uns  Verbraucher*innen genutzten Plattformen einen gesamteuropäischen Ordnungsrahmen, auch digitale Unternehmen können und müssen im Sinne der Nutzer*innen reguliert werden. Wir wollen, dass es möglich ist über unterschiedliche Messenger-Apps den selben Chat zu nutzen. Außerdem müssen Nutzer*innen, die die Plattform wechseln, künftig ihre Daten einfach „umziehen“ können.

 

5)    Menschen den Schutz ihrer Daten ermöglichen
Mit der von den europäischen GRÜNEN hart erkämpften Datenschutzgrundverordnung (DSVGO) hat die EU einen Meilenstein für modernen Datenschutz gesetzt. Sie sorgt dafür, dass die weltweiten Datenkonzerne in die Schranken gewiesen werden, und zeigt, dass wir als Europäische Union gemeinsam Standards setzen können, die weltweite Ausstrahlung haben. Ihre Umsetzung in der Praxis werden wir genau beobachten, sie wo nötig konkretisieren und weiter verbessern. Jetzt brauchen wir noch zeitgemäße Regelungen zum Schutz unserer elektronischen Kommunikation („E-Privacy“). So wollen wir den bestmöglichen Privatsphärenschutz garantieren, indem wir für mobile Endgeräte wie Smartphones, Tablets oder Sprachassistenzsystemen wie Alexa oder Siri die Grundsätze „Privacy by design“ und „Privacy by default“ fördern.

 

6)    Digitalisierung fair gestalten
Wir wollen jeglicher Diskriminierung durch algorithmische Entscheidungen vorbeugen und verhindern, dass bestehende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten durch selbstlernende Systeme verstetigt werden. Wenn beispielsweise Algorithmen darüber entscheiden, wer eine Stellenanzeige sehen soll, und dabei männliche Bewerber bevorzugen, ist diese Verzerrung („bias“) ein Missstand, der nicht geduldet werden kann. Genausowenig wie es sein darf, dass ein Sensor eine dunklere Hand nicht erkennt, weil der Algorithmus nur an Weißen trainiert wurde. Die Beispiele sind so vielseitig wie die Einsatzmöglichkeiten von Algorithmen. Wir wollen die ethischen Implikationen neuer Technologien stärker erforschen und politisch berücksichtigen. Zudem wollen wir rechtlich  verbindlich verankern, dass algorithmische Entscheidungssysteme generell überprüfbar, anfechtbar und entsprechend ihrer gesellschaftlichen Wirkung reguliert werden.

Wir wollen die ethischen Implikationen neuer Technologien stärker erforschen und politisch berücksichtigen, dies ist die Grundlage um eine eine europäische Digitalethik zu entwickeln. Wir wollen, dass die Europäische Union bei dieser Frage innovativ vorangeht und  Bürger*innen der EU auswählt, die die Fragen einer neuen Digitalethik diskutieren und Vorschläge für eine neue Digitalethik für das Europäische Parlament machen.

 

7)    Freiheit und Offenheit des Internets sicherstellen
Um eine nachhaltige Digitalökonomie zu erreichen, fordern wir echte Netzneutralität, freie und überprüfbare Software, offene Schnittstellen, Interoperabilität und eine vitale Entwickler*innencommunity, deren Bemühungen für ein offenes und innovations-freundliches Internet wir beispielsweise durch die Anerkennung der Gemeinnützigkeit unterstützen. Daher widersetzen wir uns auch globalen Trends nach massenhafter Überwachung, sondern betonen die freie Entfaltung und die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen. Zur Verteidigung unserer Freiheit und gegen Kriminalität und Terror brauchen wir auch im digitalen Bereich eine stärkere europäische Kooperation der Sicherheitsbehörden.

 

8)    Ein modernes und interessengerechtes Urheberrecht schaffen
In der aktuellen Reform haben wir uns gegen Uploadfilter und das Leistunggschutzrecht für Presseverlage ausgesprochen. Jetzt setzen wir uns weiterhin für ein modernes  Urheberrecht ein, das die Freiheit des Internets gewährleistet, den Interessen der Nutzer*innen Rechnung trägt und zugleich auch die finanzielle Absicherung von Künstler*innen sicherstellt. Wir fordern ein „Recht auf Remix“, also eine Urheberrechtsschranke für transformatorische Nutzungen. In einem vereinten Europa wollen wir einen offenen Zugang zu Angeboten und Inhalten einer vielfältigen Kultur sicherstellen und eine europäische Öffentlichkeit fördern.

 

9)    Digitalkonzerne in die Pflicht nehmen
Die Plattformökonomie schafft zunehmend Monopole und geschlossene Strukturen. Gegenüber marktmächtigen Plattformen und Anbietern brauchen wir ein Europa, das mit einer Stimme spricht, um für den Schutz von Verbraucher*innenrechten, fairen Wettbewerb und den Erhalt öffentlicher Güter zu sorgen.

Durch Digitalisierung ersparte Arbeit darf nicht Gewinn für die einen und Existenzvernichtung für die anderen bedeuten: Durch Digitalisierung ermöglichte Profite und Zeitkontingente müssen gerecht an alle verteilt werden.
Wir wollen eine am Umsatz orientierte europäische Digitalsteuer rasch einführen, um das Steuerdumping digitaler Konzerne zu unterbinden.

 

10)    Ausbau der digitalen Infrastruktur
Europa braucht eine flächendeckende digitale Infrastruktur. Den Investitionslücken bei Glasfaser und 5G-Mobilfunk werden wir mit einer Investitionsoffensive begegnen. 
Und natürlich wollen wir offene und freie WLAN-Netze fördern.

 

Das ausführliche Wahlprogramm findet ihr unter:

cms.gruene.de/uploads/documents/B90GRUENE_Europawahlprogramm_2019_barrierefrei.pdf

Weitere Informationen zum Wahlprogramm gibt es zum Beispiel hier:

www.gruene.de/artikel/gruenes-wahlprogramm-zur-europawahl-2019