28.11.22 –
Am 3.November haben die Agentur für Arbeit, die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, sowie die Kammern und die Sozialpartner, UVB und DGB die vorläufige Bilanz des Berliner Ausbildungsjahres 2022 veröffentlicht. Die positive Nachricht ist, dass der pandemiebedingte Einbruch der Ausbildungsverträge (2020: -14,2%) inzwischen wieder kompensiert werden konnte. Berlin bleibt aber weiter, und das ist die Kehrseite, bundesweites Schlusslicht bei der dualen Ausbildung. Ca. 15.000 betrieblichen Ausbildungsstellen standen mehr als 20.000 junge Menschen gegenüber, die einen Ausbildungsplatz gesucht haben.
Ein entsprechendes Angebot von über 20.000 Ausbildungsplätzen stand zuletzt 2006 zur Verfügung. Selbst in den Boomjahren der Berliner Wirtschaft vor der Pandemie nahm die Zahl der Ausbildungsverträge ab. Trotz zahlreicher Appelle (Ausbildungsoffensiven) an die Unternehmen, mehr auszubilden, vertrauten diese offenbar darauf, ihren Personalbedarf aus bereits ausgebildeten Neu-Berliner:innen decken zu können. Mit Berücksichtigung der ca. 1.000 überbetrieblichen Lehrstellen besteht auch 2022 wieder ein rechnerische Lücke von ca. 4.000 Ausbildungsstellen. Das heißt 4.000 junge Menschen, die in Berlin gerne eine betriebliche Berufsausbildung machen würden, haben dazu keine Chance.
Insgesamt sind es noch mehr, denn von den angebotenen Stellen sind ca. 1.500 unbesetzt, weil die Unternehmen angeben, keine passenden Bewerber:innen gefunden zu haben. Die Gründe dafür sind umstritten. Für die Wirtschaftsverbände sind in erster Linie die Jugendlichen bzw. das Bildungssystem schuld, weil die Jugendlichen nicht "ausbildungsfähig" seien, die Gewerkschaften verweisen dagegen eher auf die Ausbildungsbedingungen in den Betrieben. Wenn, laut aktuellem Ausbildungsreport der DGB-Jugend (jährliche repräsentative Befragung von Auszbildenden, 2022 siehe Der Ausbildungsreport 2022 (dgb.de)), weniger als die Hälfte der Auszubildenden ihren Ausbildungsbetrieb anderen Jugendlichen empfehlen würden, sei das zum einen keine Werbung für die duale Ausbildung und zum anderen eher die Frage auf, wie "ausbildungsfähig" die Betriebe seien?
Ausbildungsumlage - ein Beitrag zur Stärkung der Dualen Ausbildung?
Obwohl bereits seit Jahrzehnten über die demografische Entwicklung und ihre bedrohlichen Auswirkungen für den Fachkräftebedarf diskutiert wird, stand lange Zeit bei der Ausbildungsdebatte die gesellschaftliche Verantwortung für die beruflichen Perspektiven von Jugendlichen im Vordergrund. Das hat sich inzwischen deutlich gewandelt. Der Fachkräftemangel steht inzwischen bei Unternehmensbefragungen als wichtigstes Problem ganz oben. Demenstprechend ist der Stellenwert der Ausbildung deutlich gestiegen.
Nachdem bereits im rot-grün-roten Koalitionsvertrag von 2016 ein Prüfauftrag für die Schaffung einer Ausbildungsumlage stand, haben die Koalitionsparteien 2021 klar darauf verständigt: Eine Umlage soll eingeführt werden. Sie soll branchenspezifische Aspekte berücksichtigen. Die zuständige Senatsverwaltung (Integration, Arbeit, Soziales) soll innerhalb eines Jahres Eckpunkte zur Einführung erarbeiten.
Nicht zuletzt aus GRÜNER Perspektive spielt dabei zunehmend die Frage eine Rolle, ob die ökologische Transformation durch fehlende Fachkräfte gebremst wird? Und wenn ja, kann eine Ausbildungsumlage einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten.
GewerkschaftsGrün Berlin hat sich daher in den letzten Monaten intensiv mit dem Thema Fachkräftesicherung und duale Berufsausbildung beschäftigt. Gemeinsam mit der Fokusgruppe Berufsausbildung (Teil der LAG Bildung) haben wir zwei Fachgespräche organisiert, eins im Rahmen der LAG-Konferenz am 10. September (Fachkräfte in klimarelevanten Berufen) und ein weiteres am 11.Oktober zur Ausbildungsumlage, sowie eine weitere Veranstaltung zur Umlage am 7. November, zusammen mit den Arbeitnehmer:innen-Organisationen der Berliner Koalitionsparteien (AfA, SPD und Betrieb&Gewerkschaft, LINKE). Zudem sind wir mit der GRÜNEN Jugend im Austausch.
Aus unserer Sicht haben die Veranstaltungen deutlich gemacht, dass eine Ausbildungsumlage für Berlin zwar kein Allheilmittel ist, jedoch einen Beitrag zur Problemlösung bieten kann:
1. Die Debatte um die Einführung einer Umlage ist nicht neu, auch nicht bei Bündnis 90/DIE GRÜNEN. Bereits 1998 hat eine LDK einen entsprechenden Beschluss gefasst. Letztlich sind die verschiedenen Gesetzesinitiativen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene immer wieder am Widerstand von CDU/CSU und FDP bzw. von den Wirtschaftsverbänden (in Berlin v.a. IHK) gescheitert. Stattdessen wurde auf Appelle und Anreizprogramme für Unternehmen gesetzt, die aber bis heute den Rückgang der betrieblichen Ausbildungsplätze nicht stoppen konnten. Auch immer neue Maßnahmen im Übergangssystem Schule-Beruf haben keine signifikante Besserung gebracht. Das Problem ist durch immer neue "Ausbildungsoffensiven" nicht zu lösen.
2. Einzelne Branchen, insbesondere die Baubranche, haben bereits eine Ausbildungsumlage. Die Erfahrungen sind positiv. In der Bauwirtschaft wurde sie 1976 auf Basis eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags zwischen Arbeitgeberverbänden und der Baugewerkschaft im DGB (heute IG BAU) eingeführt. Anlass war ein eklatanter Fachkräftemangel. Insbesondere Handwerksbetriebe hatten damit zu kämpfen, dass die von ihnen ausgebildeten Fachkräfte nach der Ausbildung abgeworben wurden, sie also die Kosten tragen mussten, ohne den Nutzen zu haben. Durch die Umlage wurden die Kosten solidarisch von der gesamten Branche getragen. Mit der gemeinsamen Einrichtung der Sozialkasse (SoKa Bau) war gewährleistet, dass die Mittel effizient eingesetzt wurden, weil Arbeitgeber und Gewerkschaft jeweils konkret am Bedarf orientiert über die Verwendung entschieden. Neben der Quantität (zunächst Anhebung der Ausbildungsquote, später ihre Sicherung) spielt die Qualität eine entscheidende Rolle. Dazu gehört auch die Vermeidung von Abbrüchen (verlorene Investition).
3. Seit 2020 wurde im Rahmen des Pflegeberufegesetzes erstmalig eine gesetzliche Umlage eingeführt. Die Mittel werden zwar von einer staatlichen Institution (in Berlin LaGeSo) eingezogen und verwaltet, aber auch hier sind die Sozialpartner an der Bedarfsermittlung und Verwendung beteiligt. Trotz der hohen Belastung im Pflegebereich, denen oftmals auch Auszubildende ausgesetzt sind, sind die Ausbildungszahlen gestiegen.
4. Aus Sicht der Wirtschaftsverbände ist die wesentliche Ursache für zu geringe Ausbildung das fehlende Interesse vieler Jugendlicher sowie Defizite in der schulischen Ausbildung. In der Tat war die Corona-Pandemie für viele Kinder und Jugendliche eine dramatische Belastung mit erheblichen Konsequenzen für die psychische Gesundheit. Darunter haben auch die schulischen Leistungen gelitten, zudem sind viele Jugendliche in Bezug auf ihre Berufswahl verunsichert. Die Folgen sind aller Voraussicht nach nicht auf die Abschlussjahrgänge seit 2020 beschränkt, sondern werden sich möglicherweise noch durch viele Jahrgänge ziehen, zumal andere Belastungsfaktoren (Ängste vor Krieg und Klimawandel) hinzukommen. Es wird eine gesellschaftliche Aufgabe sein, mit den Folgen umzugehen und damit auch eine Aufgabe für die Wirtschaft, für Unternehmen. Betriebliche Ausbildung wird aus verschiedenen Gründen anspruchsvoller und damit auch kostenintensiver. Umso mehr spricht dafür, die Kosten solidarisch zu tragen und ausbildende Betriebe zu entlasten.
5. Das zurecht hochgelobte System der dualen Berufsausbildung beinhaltet eine Aufgaben- und Lastenteilung zwischen Staat und Wirtschaft. Der Staat ist im Wesentlichen dafür verantwortlich, sowohl an den allgemeinbildenden, als auch an den beruflichen Schulen die Voraussetzungen für eine gute Vorbereitung auf die Arbeitswelt zu sorgen. Das betrifft sowohl die Vermittlung von fachlichem Wissen als auch eine gute Berufsorientierung. Hier ist noch einiges zu tun. Gleichzeitig sind aber auch die Betriebe gefordert, eine qualitativ hohe Ausbildung mit guten Ausbildungsbedingungen zu gewährleisten. Eine Ausbildungsumlage ist keine "Strafabgabe", wie gelegentlich zu hören, sondern ein solidarischer Beitrag zur Unterstützung ausbildender Betriebe. Eine Personalpolitik, die darauf setzt, gut ausgebildete Fachkräfte nicht selber auszubilden sondern durch Abwerbung zu bekommen, ist unsolidarisch.
Aus Sicht von GewerkschaftsGrün spricht vieles für die Idee einer Ausbildungsumlage. Allerdings sind viele Fragen zur konkreten Umsetzung noch offen. Mit der Koalitionsvereinbarung haben SPD, Grüne und Linke den wichtigen Schritt getan, diese Fragen konkret beantworten und ein schlüssiges Konzept entwickeln zu wollen. Sie haben damit auch den Druck auf wirtschafts-, arbeits- und bildungspolitische Akteure der Stadtgesellschaft erhöht, sich konstruktiv an dieser Debatte zu beteiligen. Auch in den Berliner GRÜNEN ist deutlich Schwung in die Debatte gekommen. Gemeinsam mit der Fokusgruppe Berufliche Bildung, der GRÜNEN Jugend und den berufsbildungs- und arbeitsmarktpolitischen Sprecher:innen der Agh-Fraktion haben wir unseren Beitrag dazu geleistet. Ein erfreuliches Ergebnis dieser Debatte ist das klare Bekenntnis zur Ausbildungsumlage im LA-Beschluss vom 19.Oktober. Für den weiteren Fortgang der Diskussion warten wir gespannt auf das für Dezember angekündigte Eckpunktepapier der Senatsverwaltung Integration, Arbeit und Soziales.
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