Für eine ausgewogene Reform des Urheberrechts

07.09.18 –

Beschluss vom 29. August 2018 - LAG Netzpolitik Bündnis 90/Die Grünen Berlin
Wir sind froh über die Entscheidung des europäischen Parlaments vom 5. Juli 2018, die Reform des europäischen Urheberrechts selbst in die Hand zu nehmen und Nachbesserungen am aktuellen Gesetzesentwurf vorzunehmen. Wir unterstützen nachdrücklich die Intention, einen fairen Interessenausgleich zwischen Kulturschaffenden, also Urheber*innen, und Kulturnutzenden zu erzielen, halten jedoch sowohl den ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission als auch den durch den Rechtsausschuss vorgelegten Entwurf für ungeeignet. Diese stärken in unverhältnismäßiger Weise die Position der Verlage und Verwerter*innen wie beispielsweise Tonträger-hersteller*innen oder Streaming-Plattformen und lassen die Interessen der Urheber*innen und Nutzer*innen außen vor. Sie enthalten zudem Rechtsinstrumente, welche die Onlinekommunikation der europäischen Bürger*innen grundlegend beeinträchtigten sowie einen ernsthaften Standortnachteil für die europäische Digitalwirtschaft darstellen. Gleichzeitig verfehlen sie den Anspruch, ein zeitgemäßes Urheberrecht zu etablieren, das die sich verändernden Nutzungsgewohnheiten und Produktionsumstände – beispielsweise Peer-Production-Modelle – im Internetzeitalter angemessen berücksichtigt.

Wir unterbreiten daher folgende Anpassungsvorschläge:

1) Ein zeitgemäßes Urheberrecht muss zunächst die Regelungen dazu, welche Nutzungen erlaubt sind, auf die neuen Nutzungsgewohnheiten im digitalen Umfeld anpassen. Daher bedarf es neuer Schranken-bestimmungen (Ausnahmeregelungen) für private und nutzergenerierte Inhalte zu den weit angelegten Verwertungsrechten. Es erscheint uns sinnvoll, die im EU-Recht schon bestehende Schranke für beiläufige Verwendungen, verpflichtend auszugestalten, da sie in der nationalen Praxis bisher keine größere Bedeutung erlangt hat. Generell muss eine flexible Lösung für Bagatellfälle ermöglicht werden, um Situationen Rechnung zu tragen, in denen der Verwendung von Inhalten nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt (Bagatellschranke).Außerdem wollen wir eine Schranke für kreative Auseinandersetzungsformen wie Remixes vorsehen (Remixschranke). Auch wenn Nutzer*innen Inhalte zu privaten Zwecken auf Plattformen in sozialverträglicher Weise verbreiten, ohne die normale Verwertung zu beeinträchtigen, muss dies erlaubt sein.

Kommerzielle Plattformen und andere Verwerter*innen, die basierend auf dieser Nutzung von Inhalten erhebliche Gewinne erwirtschaften, sollen als Gegenleistung eine Pauschalabgabe leisten, die den Urheber*innen mittels ihrer Verwertungsgesellschaften zugutekommt. Dieser Vorschlag lehnt sich an bestehende Pauschalabgabenmodelle – beispielsweise für Speichermedien wie CD-Rohlinge oder USB-Sticks und Kopiergeräte – an, bei welchen Urheber*innen gleichermaßen zur Abgeltung einer gesetzlich erlaubten Nutzungen eine pauschale Vergütung erhalten.

2) Art. 11 der beiden Entwürfe sieht vor, Presseverlage mit einem eigenständigen Leistungsschutzrecht auszustatten, welches neben den bisherigen Schutz der Urheber*innen tritt. Art. 11 schwächt somit die Position der Autor*innen, Fotograf*innen und anderen Urheber*innen, da sie sich die Rechtewahrnehmung mit den Presseverlagen teilen müssen. Wir erachten ein solches Leistungsschutzrecht für Presseverlage zudem als problematisch für den freien Fluss von Information, da sein Schutzumfang größer als beim bestehenden Urheberrecht ausfällt. Bereits kleinste Textausschnitte oder auch nur wenige Worte wären von der Regelung erfasst. Dies gefährdet den Zugang zu Informationen und schafft Unsicherheit darüber, unter welchen Bedingungen frei zugängliche Presseartikel geteilt werden dürfen. Dies dürfte zu einer Abnahme von Verlinkungen von Inhalten führen, was üblicherweise den Interessen der Urheber*innen zuwiderläuft. Bereits in Deutschland hat sich gezeigt, dass ein solches Leistungsschutzrecht für Presseverlage negative Auswirkungen auf den Markt hat: Große Unternehmen nutzen ihre starke Marktstellung, indem sie eine kostenlose Lizenz erwirken. Demgegenüber bedroht die Regelung die Entwicklung in innovativen Geschäftsbereichen – etwa bei neuartigen Medienbeobachtungsdiensten. Durch das Leistungsschutzrecht werden vor allem große Presseverlage gestärkt, sodass auch der Nachrichtenmarkt an Vielseitigkeit verlieren könnte. Wir plädieren daher dafür, Art. 11 ersatzlos zu streichen.

3) Art. 12 befasst sich mit der Beteiligung von Verlagen an bestimmten Erlösen von Verwertungs-gesellschaften. Verwertungsgesellschaften wie beispielsweise die GEMA oder die VG Wort nehmen Rechte von vielen Rechtsinhaber*innen gemeinschaftlich wahr, wo eine individuelle Durchsetzung nicht sinnvoll möglich ist. In der Vergangenheit haben einige Verwertungsgesellschaften rechtswidrig ihre Einnahmen an Urheber*innen und Verlage nach einer pauschalen Quote verteilt, was deutsche Gerichte als unzulässig erachtet haben. Art. 12 soll nun eine Beteiligung der Verlage legalisieren.

Der Vorschlag schwächt somit ebenfalls die Position der einzelnen Urheber*innen und verringert ihre Einnahmen aus den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften. Wir halten es für vorzugswürdig, dass das Urheberrecht den Kreativen zugutekommt und plädieren daher dafür, Art. 12 ersatzlos zu streichen.

4) Art. 13 regelt die Lizenzpflicht von bestimmten Onlineplattformen und verpflichtet diese unter Umständen auch zur Einführung von Upload-Filtern. Das Ziel der Regelung, die Urheber*innen an den Einnahmen kommerziell erfolgreicher Plattformen wie Facebook oder YouTube teilhaben zu lassen, verdient Unterstützung. In ihrer konkreten Ausgestaltung stellt die Regelung jedoch eine drastische Gefahr für Meinungsäußerung und Kulturproduktion im Internet dar. Automatische Filter sind nicht in der Lage, die zulässige Nutzung von geschützten Inhalten – zum Beispiel im Rahmen von Zitaten oder Parodien – von unzulässigen Nutzungsarten zu unterscheiden. Zwangsläufig würden sie daher zu einer überbordenden Sperrung zulässiger Verwendungen von Inhalten führen („overblocking“) und somit in unverhältnismäßiger Weise in den gesellschaftlichen Diskurs im Internet eingreifen und die Kommunikation beeinträchtigen. Die Regelung birgt zudem die Gefahr, dass einige wenige Dienstleister den Einsatz von Filtertechniken als Dienstleistung anbieten, was wiederum eine Konzentration des Marktes zur Folge haben kann. Es ist primär die Aufgabe des Staates, die Durchsetzbarkeit von Privatrechten zu ermöglichen, was mithilfe von Gerichten erfolgen muss. Die Auslagerung dieser Tätigkeit an privat organisierte Konzerne ist mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nur schwer vereinbar. Dabei hängt die Gewährleistung eines durch die genannten Plattformen zu leistenden finanziellen Ausgleichs nicht zwangsläufig von der Einführung von Filtern oder ähnlichen Maßnahmen ab. Wir plädieren dafür, eine Pflicht zum finanziellen Ausgleich einzuführen, ohne die Plattformen zur Einführung von Filtern oder ähnlichen Maßnahmen zu verpflichten.

Zusammenfassung:

Die Artikel 11, 12 und 13 richten sich sowohl gegen die Interessen der Urheber*innen als auch der Internetnutzer*innen. Sie stärken einseitig die Position der Verlage und Verwerter*innen und tragen zu einer Verkomplizierung des bestehenden Urheberrechts bei, anstatt konkrete Probleme anzugehen. Wir plädieren daher dafür, Art. 11 und 12 ersatzlos zu streichen und Art. 13 so zu ändern, dass Plattformen nicht zur Einführung von Filtern oder ähnlichen Maßnahmen verpflichtet werden. Stattdessen schlagen wir eine Pauschalabgabe für große kommerzielle Plattformen vor, die den Urheber*innen direkt zugutekommen soll und somit die Kulturproduktion im Internet nachhaltig absichert.