Gleichstellung ohne Wenn und Aber: Schluss mit der rechtlichen Diskriminierung von Lesben* und ihren Familien

16.12.20 –

Vorläufiger Beschluss auf dem Landesausschuss:

Als Teil der LSBTIQ*-Community haben wir Bündnisgrüne den jahrzehntelangen Kampf um die „Ehe für alle“ mit initiiert und getragen. Der daraus resultierende Beschluss über die Öffnung der Ehe durch den Deutschen Bundestag am 30. Juni 2017 war eine parlamentarische Sternstunde und ein historischer Erfolg der queeren Emanzipationsbewegung für die Gleichstellung von Lesben, Bisexuellen und Schwulen in Deutschland.

Doch der Jubel über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare kann bis heute nicht darüber hinwegtäuschen, dass an diesem Tag die zentrale Forderung – "Gleiche Rechte für gleiche Liebe!" –nur teilweise erfüllt wurde. Mit dem Beschluss der großkoalitionären Gesetzesvorlage wurden ungleiche Rechte weiter fortgeschrieben: die volle rechtliche Gleichstellung von lesbischen und bisexuellen Frauen* steht noch immer aus!

Aber auch jenseits der unvollständigen Umsetzung der "Ehe für alle" werden Lesben und lesbische Anliegen noch immer marginalisiert, abgewertet und unsichtbar gemacht. Lesbische Frauen* sind im besonderen Maße von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Und dies nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch in der LSBTIQ*-Community selbst, wo sie ebenfalls noch immer über einen geringeren Zugang zu politischen und finanziellen Ressourcen verfügen.

Mit dem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag haben wir als Gegenmaßnahme beschlossen, lesbische Sichtbarkeit in Berlin gezielt zu fördern. Diesen Auftrag nehmen wir sehr ernst: Dafür wurde zum Beispiel der „Preis für lesbische Sichtbarkeit" durch die Senatsverwaltung für Antidiskriminierung in diesem Jahr zum zweiten Mal an verdiente Aktivistinnen* verliehen. Zudem konnten wir die Mittel zur Stärkung und zum Ausbau lesbischer Strukturen im Doppelhaushalt 2020/21 deutlich erhöhen und auch unter dem Druck der Pandemie absichern. Außerdem ist es uns gelungen, die Errichtung des inklusiven Lesbenwohnprojekts und Kulturzentrumsvon „RuT – Rad und Tat" nicht nur mit einem Ort, sondern auch finanziell mit Projektmitteln auzustatten, und die Gründung eines zweiten Regenbogenfamilienzentrums in den östlichen Bezirken zu unterstützen.

Doch damit werden wir uns nicht zufriedengeben: Wir werden unser Engagement gegen Lesbenfeindlichkeit und für die Unterstützung lesbischer Strukturen nicht nur fortführen, sondern ausbauen. Dafür wollen wir im nächsten Schritt die volle rechtliche Gleichstellung von frauenliebenden Frauen* in Partner*innenschaft und Familie durchsetzen!

Wir fordern:

1. Rechtliche Gleichstellung von Co-Müttern

Bei der Geburt eines gemeinsamen Kindes muss für homo- und bisexuelle Frauen*paare gelten, was auch für heterosexuelle Paare gilt: beide Eheleute sind von Anfang an rechtlich vollwertige Elternteile. Derzeit ist für die nicht-leibliche Co-Mutter eine aufwendige, bevormundende und entwürdigende Stiefkindadoption erforderlich, die eine elterliche Eignungsprüfung durch die Ämter vorsieht. Das ist nicht nur absurd, sondern im höchsten Maße diskriminierend.

Die Bundesregierung plante diesen Sommer sogar eine weitere Verschärfung der Regularien für die Stiefkindadoption, womit die Ungleichbehandlung für Mütter-Paare weiter zementiert und die Diskriminierung verstärkt werden würde. Im Bundesrat haben wir Grüne diesen diskriminierenden Gesetzentwurf für das neue Adoptionshilfe-Gesetz daher erfolgreich gestoppt!Diese Diskriminierungspraxis der „Ehe für alle“ muss schnellstmöglich beendet werden. Das Kindeswohl steht für uns dabei im Mittelpunkt: Beide Mütter müssen von Geburt an gleichberechtigte Eltern ihres Kindes sein können. Solange die Bundesregierung nicht endlich aktiv wird und eine diskriminierungsfreie Novelle des Adoptionshilfe-Gesetzes vorlegt, fordern wir den Berliner Senat auf, hier mit einer eigenständigen Bundesratsinitiative zur Novellierung des Abstammungsrechts auf Bundesebene initiativ zu werden. Dabei soll auch die rechtliche Absicherung von Regenbogenfamilien in ihrer gesamten Vielfalt Eingang finden – etwa durch die Berücksichtigung von sozialer Elternschaft und Mehrelternkonstellationen, von präkonzeptionellen Elternschaftsvereinbarungen oder der rechtlichen Anerkennung von transgeschlechtlichen Eltern.

2. Reproduktive Rechte stärken

Auf Grundlage der Bundesinitiative „Hilfe und Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit“ bietet das Land Berlin heterosexuellen Paaren die Möglichkeit, einen Teil der Kosten für die Behandlung mit reproduktiven Maßnahmen durch Bundes- und Landesmittel zu finanzieren. Das Bundesprogramm richtet sich dabei ausschließlich an verheiratete heterosexuelle Paare. Wir begrüßen es, dass sich der Senat hier bereits ein Stück von einem antiquierten Familienbild gelöst hat und in Berlin zwischenzeitlich auch nichtverheiratete heterosexuelle Paare unterstützt werden. Dies reicht aber nicht aus!

Wir wollen eine finanzielle Unterstützung bei der Kinderwunschbehandlung aus den bestehenden Landesmitteln für alle in Berlin lebende Familien – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und ihrem Familienstand. Für Frauen*paare sowie alleinstehende Frauen* bzw. gebärfähige Menschen soll dies in einem ersten Schritt unkompliziert für die assistierte Reproduktion durch eine heterologe, anonyme Samenspende gemäß Samenspenderregistergesetz ermöglicht werden.

In einem in einem zweiten Schritt und nach Klärung bzw. Novellierung der bundesrechtlichen Voraussetzungen, müssen diese Unterstützungsmöglichkeiten für alle Formen von Regenbogenfamilien in Kinderwunschbehandlung gelten und auch von den Krankenkassen erstattet werden.

3. Unterstützung statt Ausgrenzung bei Pflegekindern

Berlin sucht seit vielen Jahren händeringend Familien für Pflegekinder, die temporär oder dauerhaft ein neues Zuhause benötigen. Die rechtlichen Vorrausetzungen sind dabei klar: als Pflegeeltern kommen nicht nur verheiratete heterosexuelle Paare in Frage, sondern gleichermaßen gesucht werden Singles, alleinerziehende Personen oder Patchwork- und Regenbogenfamilien. Schon seit vielen Jahren wirbt der Berliner Senat in Kooperation mit Community-Verbänden daher gezielt und mit öffentlichen Werbekampagnen um LSBTIQ* und Regenbogenfamilien als Pflegeeltern. Das begrüßen wir ausdrücklich!

In der Praxis kommt es aber für queere Pflegeeltern – und hierbei insbesondere für lesbische bzw. Frauen*paare – noch viel zu oft zu ganz spezifischen Hürden und zu Ungleichbehandlungen. Freie Träger, Ämter, Gutachter*innen, Sachverständige, Rechtsanwält*innen und Richter*innen sind vielfach nur bedingt auf die Realität von Regenbogenfamilien eingestellt und dafür sensibilisiert. Regenbogen-Pflegeeltern werden dabei LSBTIQ*-feindlichen Vorurteilen, heteronormativen Erziehungsvorstellungen und Misogynie ausgesetzt. Fester Bestandteil dieser diskriminierenden Einstellungen ist die Vorstellung, das „Wohle des Kindes“ bemesse sich ausschließlich an einem vermeintlichen Ideal der heterosexuellen Ehe.

Daher fordern wir, dass alle mit den Belangen von Pflegekindern befassten Träger, Stellen und Gerichte für den gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Umgang mit Regenbogen-Pflegeeltern und insbesondere lesbischen Paare durch geeignete Informationen sowie durch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen gezielt geschult bzw. sensibilisiert werden. Darüber hinaus fordern wir die Einrichtung eines spezifischen Beratungs- und Unterstützungsangebots für Regenbogen-Pflegefamilien als Anlaufstelle für u.a. rechtliche Fragen im Umgang mit Behörden und Gerichten.

Pflegefamilien sind die beste Unterbringungsmöglichkeit für Kinder in familiären Notlagen. Ein diskriminierungsfreier Umgang mit Regenbogen-Pflegeeltern würde die Bereitschaft von LSBTIQ* deutlich erhöhen, Kinder in Pflege zu nehmen. Angesichts des großen Bedarfs kann Berlin nicht auf dieses Angebot verzichten!

4. Aufarbeitung des Kindesentzugs lesbischer und bisexueller Mütter

Bis in die 1990er Jahre hinein wurde Frauen*, die in Beziehungen mit Frauen* lebten, immer wieder das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Begründet wurde das mit der Gefährdung des Kindeswohls. Derzeit wird dieses historische Unrecht ausschließlich in Rheinland-Pfalz mit einem wegweisenden, regionalen Gutachten aufgearbeitet. Für konkrete politische Schlussfolgerungen ist es noch zu früh. Umso wichtiger ist es, den historischen Erkenntnisstand zu verbreitern.

Dafür wollen wir eine bundesweite Studie zum Kindesentzug bei lesbischen und bisexuellen Müttern anstoßen und die Praxen in BRD und DDR aufarbeiten. Mit dem Neustart der „Initiative Geschlechtliche und Sexuelle Vielfalt“ (IGSV) wird sich der Berliner Senat für einen Bund-Länder-Forschungsfonds zu Fragen der Gleichbehandlung von LSBTIQ* einsetzen. Wir fordern, dass im Rahmen dieses Fonds eine bundesweite Studie initiiert und durchgeführt wird. Das aus dieser Studie generierte Wissen wird das Bewusstsein für historische lesbische Lebensrealitäten erhöhen und stellt eine notwendige Grundlage für weitere konkrete politische Schritte dar.

Wir Grüne stehen wie keine andere Partei für die volle rechtliche Gleichstellung von LSBTIQ* und ihre vielfältigen Familienformen. Die Attacken auf queere Menschen und ihre selbstgewählten Lebensweisen, die aggressive Propagierung eines antiquierten heterosexistischen Frauen*- und Familienbildes sind uns Ansporn, weiter progressiv und emanzipatorisch voranzugehen. Wir werden die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von lesbischen und bisexuellen Müttern und ihren Kindern nicht länger hinnehmen – wir kämpfen für gleiche Rechte für alle Familien! Denn bei der Sicherung der Gleichbehandlung von LSBTIQ* geht es um nichts anderes als die Verwirklichung ihrer verfassungsgemäßen Bürger*innenrechte. Nicht mehr und nicht weniger!

 

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