10.08.20 –
Neben der Arbeit von Justiz und Polizei ist die Prävention von Straftaten ein essentieller Baustein der Verbrechensbekämpfung. Gelungene Präventionsarbeit und die Resozialisierung straffällig gewordener Menschen schützen die Bevölkerung am effektivsten. Erfolgreiche Präventionsprojekte sind dauerhaft zu verstetigen und die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter*innen zu verbessern.
Schwerpunkte in der Strafverfolgung setzen
Die Verfolgung von Hasskriminalität, Straftaten gegen Frauen und demokratiefeindlichen Straftaten von Umwelt- und Cyberkriminalität sind weiter zu stärken. Es ist zu prüfen, wie Kompetenzen im LKA und bei der Staatsanwaltschaft besser gebündelt werden können. Ein besonderer Fokus ist auf die Verfolgung von organisierter Kriminalität zu legen. Dabei hat sich gerade die Vermögenseinziehung bei organisierter Kriminalität als sehr erfolgreich erwiesen und ist daher fortzuentwickeln.
Gleichwohl ist für uns bewusst, dass Strafrecht stets die letzte Möglichkeit und restriktiv einzusetzen ist, da durch den Einsatz des Strafrechts viel Schaden angerichtet werden kann, insbesondere durch eine Inhaftierung. Strafrecht ist ultima ratio. Vor diesem Hintergrund muss ebenfalls die Möglichkeit der Entkriminalisierung behandelt werden.
Entkriminalisierung vorantreiben
Entkriminalisierung ist ein Thema, das Kompetenz-bedingt vordergründig im Bundesrat verfolgt werden muss. Jedoch können wir auch in Berlin erste Schritte gehen, um die Verfolgung von Bagatellkriminalität zu reduzieren. Dies ist vor allem der Arbeitsfähig der Justiz zuträglich, da dieser somit mehr Ressourcen für die Verfolgung anderer Delikte zur Verfügung stehen, wie der Verfolgung schwerer Delikte, wie Wirtschaftskriminalität, organisierter Kriminalität und Umweltstraftaten. Wegen Erschleichens von Leistungen, Diebstahl geringwertiger Sachen und Drogenbesitzes werden jedes Jahr hunderttausende Verfahren geführt. Auch dauern Verfahren durch die unnötige Belastung der Justiz mitunter zu lange, sodass eine schnelle Reaktion auf Straftaten nicht immer erfolgen kann. Kriminologische Forschungen zeigen aber, dass es gerade im Bereich der Kriminalität von jungen Menschen essentiell ist, schnell auf strafbares Verhalten zu reagieren, um zukünftige Straftaten zu verhindern. Eine Strafverfolgung von Kleinstkriminalität kann dazu auch mittel- und langfristig negative Auswirkungen haben. Die Betroffenen werden unnötig kriminalisiert und eine strafrechtliche Verurteilung kann zu Verwerfungen im privaten und beruflichen Umfeld führen. Dies kann soweit gehen, dass Menschen durch eine strafrechtliche Verurteilung in ihrer beruflichen Perspektiveerheblich eingeschränkt werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit von weiteren Straftaten steigt. Daher sollte hier eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit erfolgen. Dies ist nicht nur weniger eingriffsintensiv, sondern ermöglicht auch eine schnellere Reaktion, entlastet die Justiz und schließt diese Menschen weniger aus der Gesellschaft aus.
Deshalb müssen wir prüfen, welches Verhalten wir überhaupt nicht mehr für sanktionswidrig halten, wie z.B. das sog. "Containern" und wo es ausreicht, strafwürdiges Verhalten als Ordnungswidrigkeit zu ahnden , wie beispielsweise bei vielen Straftaten im Zusammenhang mit Versammlungen. Wir wollen uns im Bundesrat dafür einsetzen, dass die entsprechenden Normen aus dem StGB bzw. dem Nebenstrafrecht gestrichen werden. Ebenso wollen wir strafrechtliche Überbleibsel wie die Tatbestände der Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung oder Täuschung auf den Prüfstand stellen und auf ihre aktuelle Notwendigkeit prüfen.
Menschen, die dauerhaft kein Entgelt bei der Nutzung des ÖPNV entrichten können, ist nicht geholfen, wenn sie dafür bestraft werden, da die Ursache hierfür meistens woanders liegt. Diese Delikte stehen häufig im Zusammenhang mit psychischen Krankheiten oder Suchtkrankheiten oder Obdachlosigkeit. Diese Menschen müssen durch kurzzeitige Inhaftierungen immer wieder Hilfsangebote abbrechen (wodurch diese irgendwann vollständig beendet werden) und kosten das Land Berlin jeden Tag ca. 100 € für den Haftplatz, belasten die Strafvollzugsanstalten unnötig und werden immer wieder inhaftiert, ohne dass während der kurzen Aufenthaltszeit im Gefängnis diesen Menschen zielführend weitergeholfen werden kann.
Ein erster Schritt hierfür auf Landesebene wäre somit, Menschen mit schwerwiegenden gesundheitlichen oder sozialen Problemen, die immer wieder wegen Delikten, wie dem Erschleichen von Leistungen aufgrund fehlender ÖPNV-Tickets inhaftiert werden, ein kostenfreies Monatsticket zur Verfügung zu stellen. Durch die regelmäßige Ausgabe des Tickets durch die Stadt oder soziale Träger kann zudem Kontakt zu den betroffenen Personen aufgebaut werden, um diesen nachhaltig zu helfen.
Dabei werden wir uns an dem Stadtticket Extra in Bremen orientieren, das Menschen, die immer wieder wegen dem Erschleichen von Leistungen inhaftiert werden, zur Verfügung gestellt wird und dabei auf Berliner Besonderheiten eingehen. Seit Einführung des Tickets hat das Land Bremen nicht nur Geld gespart; die sozialen Träger haben seither endlich wieder Kontakt zu den betroffenen Menschen und können ihnen helfen.
Wir setzen uns darüber hinaus für die ersatzlose Streichung des § 219a StGB "Werbung für den Abruch der Schwangerschaft" ein. Die Neuregelung des Tatbestandes löst keine Probleme, sondern schafft neue. Das wird nach der Reform vom Februar 2019 immer deutlicher. Ungewollt schwangere Frauen brauchen umfassenden und schnellen Zugang zu Informationen. Dies ist bis heute nicht gewährleistet. Ärzt*innen dürfen jetzt öffentlich darauf hinweisen, dass sie Abbrüche durchführen. Mit jeder weiteren Information – zum Beispiel mit welchen Methoden die Abbrüche durchgeführt werden – setzen sie sich weiterhin dem Risiko einer Strafverfolgung aus. Dass die Reform weder die Informationslage ungewollt Schwangerer noch die Rechtssicherheit für Ärzt*innen verbessert hat, zeigen auch die Verurteilungen der Berliner Ärztinnen Bettina Gaber und Verena Weyer und die zuletzt erfolgte Verurteilung Kristina Hänels. Sie alle wurden nach der Reform des § 219a StGB verurteilt.Statt dieses wackeligen und unklaren Kompromisses fordern wir die Aufhebung des § 219a StGB und damit Rechtssicherheit für Ärzt*innen und ausreichende Informationen für Frauen.
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