07.12.19 –
Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 7. Dezember 2019:
Unsere Stadt und unsere Gesellschaft stehen vor großen Herausforderungen. Bei der Lösung der sozialen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen haben unsere Hochschulen eine Schlüsselrolle: Sie tragen das Wissen der Welt in die Stadt und das Wissen der Stadt in die Welt. Sie forschen und lehren, damit wir Antworten und Expert*innen für die wichtigen Fragen unserer Zeit haben.
Unsere Grüne Vision sind Universitäten und Hochschulen, die neben der Weiterentwicklung von Forschung und Lehre sowohl die inhaltliche Demokratisierung als auch die sozial-ökologischen und ethischen Fragestellungen unserer Zeit als zentrales Thema auf der Agenda haben. Wir sehen die Notwendigkeit der transdisziplinären und diskriminierungskritischen Forschung und Lehre.
Dafür brauchen sie ein modernes, partizipatives Hochschulgesetz, das den Anforderungen an gute wissenschaftliche Praxis, gute Arbeitsbedingungen und gute Lehre gerecht wird. Als Land Berlin brauchen wir ein Hochschulgesetz, das die nachhaltige Entwicklung unserer Hochschulen unterstützt und ihre soziale und diversitätsorientierte Öffnung vorantreibt. Wir brauchen ein Hochschulgesetz, das mit der veralteten Tradition der prekären Beschäftigung in der Wissenschaft bricht und dafür Gleichstellung, Diversität, Nachhaltigkeit und wissenschaftliche Teamarbeit in der Breite stützt. Wir brauchen nicht nur Exzellenz, wir brauchen genauso Wissenschaft, die in Vielfalt denkt und lebt und sich der Stadtgesellschaft gegenüber öffnet.
Als Bündnis 90/Die Grünen Berlin bekennen wir uns zum Grundsatz der wissenschaftlichen Freiheit und zum Recht auf freie Berufswahl. Wir wollen deswegen den diskriminierungsfreien Zugang zum Studium sowie Freiräume für ein selbstbestimmtes Studium schaffen. Die Vereinbarkeit von Studium, Lehre und Forschung mit familiären und weiteren Verpflichtungen ist für uns ein Muss, ebenso wie ein reger Austausch zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Die Finanzierung von Wissenschaft muss transparent sein, egal ob es sich um Landesmittel oder Drittmittel handelt. Nur so kann eine verlässliche Abwägung von Aufgaben und Finanzierung der Hochschulen erfolgen und nur so können prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft wirksam bekämpft werden. Die Freiheit von Lehre und Forschung kann in der Fortsetzung der strukturellen Unterfinanzierung nicht bestehen.
In den Verhandlungen zur Novellierung des seit 30 Jahren geltenden Hochschulgesetzes (BerlHG) setzen wir uns deswegen für folgende Grundsätze ein, um den Hochschul- und Wissenschaftsstandort Berlin heute für die Zukunft zu stärken:
1. Das Verhältnis zwischen Land und Hochschulen transparent, verbindlich und planungssicher regeln
Dafür brauchen wir:
2. Hochschulen als treibende Kraft für nachhaltige Entwicklung stärken
Dafür werden wir:
3. Partizipation durch transparente Finanzierungswege verbessern
Unser Ziel ist:
4. Nachhaltige Personalentwicklung und teamorientierte Personalstruktur für Lehre und Forschung etablieren
Dafür werden wir insbesondere:
5. Mehr Selbstbestimmung, Flexibilität und Mobilität im Studium schaffen
Dafür wollen wir:
6. Die Kompetenzen der akademischen Selbstverwaltung stärken und Partizipation aller Hochschulmitglieder verbessern
Wir wollen dafür:
7. Unsere Hochschulen müssen die Diversität in ihren Institutionen fördern sowie für alle Personen ein diskriminierungsfreies Studium bzw. eine berufliche und wissenschaftliche Tätigkeit sicherstellen.
Dafür werden wir:
Unterstützer*innen:
Brigitte Reich, Heidi Degethoff de Campos, Wera Pustlauk, Lucas Höwner, Martin Scheuch, Michael Greiner, Mattis Körber (alle LAG Wissenschaft), Eva Marie Plonske (Abt. Wissenschaft), Catherina Pieroth (KV Tempelhof-Schöneberg), Antje Kapek (KV Friedrichshain-Kreuzberg), Nicole Ludwig (KV Charlottenburg-Wilmersdorf), Stefanie Remlinger (LAG Bildung), Daniel Wesener (KV Friedrichshain-Kreuzberg), Anja Schillhaneck (Abt. Wissenschaft), Bernd Schwarz (KV Reinickendorf)
Begründung:
Das Berliner Hochschulgesetz ist in seiner Grundstruktur von den Fraktionen der rot-grünen Koalition im Jahr 1989/90 geschrieben und in Kraft gesetzt worden. Es galt mit der Einführung der Kuratorien, der Institutionalisierung der Frauenbeauftragten und weitgehender demokratischer Mitbestimmungsrechte als eines der fortschrittlichsten Hochschulgesetze in Deutschland. Seitdem folgten zahlreiche „Anpassungsnovellen“ unter schwarz-rot, rot-rot, rot-schwarz. Mit der Einführung der Hochschulverträge zur Abfederung der Haushaltskürzungen an den Hochschulen, zur Anpassung an den Bologna-Prozess und zur Qualitätsentwicklung durch Akkreditierungsverfahren wurden verschiedene Eingriffe in die Grundsystematik vorgenommen, die zu strukturellen Verwerfungen geführt haben, die dringend korrigiert werden müssen.
Gleichzeitig hat sich die Rolle von Hochschulen in der Gesellschaft in den letzten 30 Jahren stark gewandelt. Unter dem Einfluss öffentlicher Debatten wie zum Klimawandel und zur Nachhaltigkeit, dem Anzweifeln wissenschaftlicher Erkenntnisse, einem Trend zur Wissenschaftsfeindlichkeit sowie der Auseinandersetzung mit sogenannten Fake News, müssen sich Hochschulen heute zunehmend als gesellschaftliche Akteurinnen begreifen und neu ausrichten. Auch die Implementierung sozial-ökologischer Forschung, transdisziplinärer Arbeitsweisen und die strukturelle Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten braucht ein Umdenken und -steuern in den Hochschulen. Ein Prozess, der demokratische Partizipation und Weitblick in den Institutionen selber und ihrer Verfasstheit erfordert (vgl. AG Demokratische Hochschule: www.berlin.de › _assets › abschlussbericht-demokratische-hochschule).
Als Grüne fordern wird seit Jahren ein modernisiertes Hochschulgesetz, um die Hochschulen besser in die Lage zu versetzen ihren Aufgaben gerecht zu werden. Wir wollen nicht länger warten, sondern werden diesen wichtigen Schritt energisch vorantreiben.
Seit dem Sommer 2018 haben sich deshalb Mitglieder der für Wissenschaft zuständigen Fachausschüsse der Koalitionsparteien und die zuständigen Fraktionär*innen auf eine Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes verständigt. In einem transparenten Prozess von öffentlichen Anhörungen wurden die Interessen der auf allen Ebenen an Hochschule Beteiligten – von den Hochschulleitungen, Professor*innen, akademischen Mitarbeitenden, Studierenden, Gremienmitgliedern u.a.m. – abgefragt und zusammengetragen.
Zwischen den drei Koalitionsparteien sind hochschulpolitische Leitlinien für die Novellierung des BerlHG in einem weitgehenden Konsens zusammengeführt worden (vgl. Hochschulpolitische Leitlinien für die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes: /file/7914/download?token=hQlb6g0w ). Dennoch gibt es in wichtigen Detailfragen, wie z.B. bei der uns wichtigen Demokratisierung der Hochschulen und der Streichung der Erprobungsklausel, Dissens mit Teilen der SPD, die eine entschiedene Positionierung von Bündnis 90/Die Grünen im Rahmen eines Parteitagsbeschlusses sinnvoll erscheinen lässt. Wir wollen eine große BerlHG-Novelle und kein weiteres Flickwerk. Denn eine gute Grüne BerlHG-Novelle ist Grundlage für viele weitere Grüne Projekte in unserer Stadt, die von vielfältiger, nachhaltiger und fairer Wissenschaft profitieren.
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