Berufsausbildung: Alarm für die Jugendlichen am Übergang – endlich den Schalter richtig umlegen!

26.05.21 –

Beschluss der LAG Bildung, Bündnis 90/Die Grünen Berlin

Forderungen:

1. Individuelle Begleitung und Beratung ist das A und O. Deshalb fordern wir den Senat auf, umgehend ein Patenschaftsprogramm aufzulegen mit dem Ziel, allen Jugendlichen, die am Übergang in eine Berufsausbildung stehen und die das wollen bzw. benötigen, eine Patin / einen Paten zu vermitteln. Dies können Freiwillige aus allen Bereichen der Gesellschaft, vor allem aber auch der unterbeschäftigten Berufsgruppen sowie Student*innen sein. Am Patenschaftsprogramm können sich außerdem Betriebe beteiligen, die durch Paten unterstützte Interessent*innen eine Einstiegsqualifizierung oder direkt eine Ausbildung ermöglichen wollen, um aktiv gegen ihren Fachkräftemangel vorzugehen.

  • Das Programm muss professionell koordiniert werden (Hauptamt stützt Ehrenamt), die Pat*innen/Mentor*innen sollten zumindest eine gute Aufwandsentschädigung erhalten. Die Finanzierung kann über die Corona-Rücklagen bezahlt werden, da es sich zweifellos um Corona bedingte Mehrausgaben handelt.

2. In den Sommerschulen soll es insbesondere für die Abschlussjahrgänge 9 und 10 (gerne auch 11-13); neben dem Schulstoff, auch berufsorientierende Angebote geben – ausprobieren, anpacken, anfassen ist das Motto!

  • Es gibt genug Träger, die hier mithelfen können, um zum einen den Senat bei der Koordination zu unterstützen und darüber hinaus auch eine gute Verknüpfung von Profis & Ehrenamtlichen zu gewährleisten (Paritäter fragen, Life e.V., Lernortagenten, Teach First, Mehr als Lernen etc. etc.)

3. Die Mitarbeiter*innen der Jugendberufsagenturen und die Berufsberater der Arbeitsagenturen werden verpflichtet, für den Rest des Schuljahres dauerhaft vor Ort an den OSZ und den ISS präsent zu sein, die einzelnen Klassen zu aufzusuchen und Jugendliche gezielt anzusprechen.

  • Die Schulen werden verpflichtet, den Berater*innen coronaverordnungskompatible Beratungsörtlichkeiten einzurichten und innerschulisch sicherzustellen, dass die Jugendlichen einzeln und in festgelegten Zeitfenstern beraten werden können. Eine Rückmeldung des Beratungsergebnisses an die jeweilige Schulleitung ist notwendig. Eine wöchentliche quantitative Evaluation dieses Beratungsangebotes ist sicherzustellen und gegenüber der JBA und SenBJF zu dokumentieren. Die für die Berufsorientierung zuständigen Verantwortlichen der Kammern, Verbände, größeren Betriebe und Gewerkschaften können sich nach Möglichkeit vor Ort an diesen Einzelberatungen beteiligen.
  • Damit soll auch die Ausweitung bisheriger Programme wie BAPP, BAM (mit weiteren Berufen!), AiS (Ausbildung in Sicht), AsA (assistierte Ausbildung), BaE (außerbetriebliche Ausbildung), BvB (berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme), AjE (Ausbildung jünger Erwachsene) stärker für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt werden.
  • Die Bildungsdienstleister, beruflichen Schulen und Unternehmen sollen verstärkt Qualifizierungsbausteine nach § 69 BBiG anbieten und zertifizieren, um die Jugendlichen durch die Teilqualifikationen interessanter für Unternehmen zu machen.

4. Das Land Berlin, die Bezirke und die Eigenbetriebe sollen zusätzliche Ausbildungsplätze einrichten. Auch dafür sollen Patenschaften eingerichtet werden.

  • Nach Jahren starken Personalabbaus bieten die Verwaltungen seit geraumer Zeit verstärkt Ausbildungsplätze an (z. B. Verwaltungsfachangestellte). Die Ausbildungen sollten so ausgerichtet sein, dass eine spätere Beschäftigung im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft möglich ist.  

5. Für Geflüchtete können die Oberstufenzentren die integrierte Berufsausbildungsvorberei­tung (IBA) für zwei Jahre vorsehen.

  • Die Erfahrungen zeigen, dass ein IBA-Jahr für etliche Geflüchtete zu kurz ist, um eine Ausbildungsfähigkeit zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, einen Ausbildungsplatz zu finden ist gering, die Wahrscheinlichkeit eines Ausbildungsabbruchs ist hoch. Diese Geflüchteten sollen die Möglichkeit erhalten, über zwei Jahre hinweg ihre Ausbildungsfähigkeit, z. B. ihre Deutschkompetenz und andere Basiskompetenzen, systematisch aufzubauen. Dies ist deutlich aussichtsreicher, als nach einem IBA-Jahr zu scheitern und dann das IBA-Jahr zu wiederholen.

Ziel muss sein, für jede*n Schüler*in ein Ausbildungsangebot zu machen, zumindest aber einen sinnvollen nächsten Schritt zu erarbeiten  

Hintergrund:

Das Ende des Schuljahres naht, JETZT beginnt die Zeit der Suche nach Ausbildungsplätzen und gleichzeitig der Anmeldungen an den beruflichen Schulen / OSZ.

Die Lage ist dramatisch.

Wir stehen vor dem 2. Corona-Ausbildungsjahrgang, und die Zahlen zeigen weiter abwärts. Nachdem schon im letzten Jahr ein starker Rückgang an Ausbildungsplätzen zu verzeichnen war, gehen diese Angebote für das am 1. September startende Ausbildungsjahr laut Stand Ende März 2021 nochmal um -11,4 % zurück, also um noch einmal rund 1000 Ausbildungsplätze. Die Zahl der Ausbildungsbewerber*innen geht ebenfalls zurück (-6,4%); dies bei seit Jahren steigenden Schüler*innenzahlen. Das zeigt, dass immer mehr Jugendliche pandemiebedingt verloren gehen. Die Leitungen der Oberstufenzentren schildern darüber hinaus sehr plastisch, dass große Teile der Jugendlichen, die überhaupt an ihren Schulen angekommen, deutlich schlechter orientiert sind, was sie eigentlich tun wollen.

Die Schulen mit ihren BSO-Teams für die Berufs- und Studienorientierung tun alles in ihrer Kraft Stehende, um den Schüler*innen trotz der Corona bedingten Einschränkungen zur Seite zu stehen. Die Arbeitsagentur hat diese Anstrengungen vor allem um neue digitale Beratungsangebote ergänzt und für ganz dringende Fälle stehen die Jugendberufsagenturen offen.

Die bisherigen Instrumente reichen aber bei weitem nicht aus. Insbesondere sind digitale Veranstaltungsformate nicht geeignet, die Jugendlichen abzuholen an dieser entscheidenden Schwelle, diesem schwierigen Schritt aus der Schule hinaus und in eine ungewisse Zukunft. Hier braucht es reale, physische Begegnungen, Beratung und teils individuelle Betreuung, will man erheblichen und nachhaltigen Schaden für die Jugendlichen, aber auch für uns alle als Gesellschaft, vermeiden. Pat*innen müssen nicht (sozial-) pädagogisch vorgebildet sein – jede Person, die bereit ist, eine Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen und ihre eigene Geschichte zu teilen, ist grundsätzlich geeignet.