Unsere Tagung "Bürgerrecht 0.0"

13.07.11 –

 

Uh, es ist schon einige Tage her, aber die LAG Demokratische Rechte hat 2008 eine supertolle Tagung organisiert. Was auf der Tagesordnung stand und was geschah, könnt ihr, nun, hier, in dieser Reihenfolge durch eifriges scrollen lesen:

das Programm

der Bericht

die Hintergrundinformationen

 

Bürgerrechte 0.0

Das BKA-Gesetz und die Grundrechte

 

Freitag, 31. Oktober 2008

Abgeordnetenhaus von Berlin

14.30 – 19.30 Uhr

 

Die Grundrechte als wesentlicher Baustein einer freiheitlichen Demokratie wurden seit dem 11. Sep­tember 2001 von den Regierungen zugunsten eines Versprechens auf Sicherheit vor terroris­tischen Anschlägen abgebaut.

 

Durch eine Flut von neu eingeführten Polizei-Instrumenten - zuletzt im BKA-Gesetzentwurf sollen die Grundrechte noch stärker einge­schränkt werden.

 

Die Notwendigkeit ihrer Einschränkung wird dabei stets nur pauschal mit der Verteidigung der inne­ren Sicherheit begründet. Aber kann dies bei der herausragenden Bedeutung der Grundrechte  als Rechtfertigung ausreichen?

 

Die Tagung soll einen Beitrag zur Klärung dieser Frage leisten. Insbesondere soll es dabei um fol­gende Fragen gehen:

 

·         Sind die neuen Polizeiinstrumente über­haupt technisch umsetzbar?

 

·         Was ist aus Sicht der Polizei notwendig und sinnvoll?

 

·         Sind die neuen Instrumente vor diesem Hintergrund noch grundrechtskonform?

 

Die Ergebnisse der Tagung "Bürgerrechte 0.0" werden in die künftige Politik von Bündnis 90/Die Grünen einfließen.

 

 

14.30

Begrüßung

Benedikt Lux, MdA Bündnis 90/Die Grünen

Einführung

Bürgerrechte 0.0 – Paradigma der Innenpolitik unter Schäuble

Wolfgang Wieland,  MdB Bündnis 90/Die Grünen

 

Fachvorträge (mit Diskussion)

 

14.50

Technischer Fortschritt – Was ist möglich?

Markus Hansen, Experte des unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig Holstein (ULD)

 

15.40

Die Polizeiinstrumente des neuen BKA-Gesetzes - Was ist polizeilich sinnvoll?

Klaus Jansen, Bundesvorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BdK)

 

16.30

Sind die neuen Polizeiinstrumente grund­rechtskonform?

Prof. Dr. Rosemarie Will, Bundesvorsitzende der Humanistischen Union (HU)

 

17.20 Kaffeepause

 

18.00

Streitgespräch

Wie viele Grundrechtseinschränkungen verträgt die deutsche Demokratie?

mit

Prof. Dr. Rosemarie Will, HU

Wolfgang Wieland,  MdB

Markus Hansen, ULD

Klaus Jansen, BdK

N.N., MdB CDU

Moderation: Felix Lee, Die Tageszeitung

 

19.30 Kleiner Empfang

 

Veranstalter: MdA Benedikt Lux und LAG Demokratische Rechte

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DER TAGUNGSBERICHT

Nach der Begrüßung durch Benedikt Lux (MdA) hat Wolfgang Wieland (MdB) einen Überblick über drei Jahre Innenpolitik unter Bundesminister Wolfgang Schäuble gegeben.

Für den Abgeordneten fällt die Bilanz negativ aus, weil Schäuble sich nur als Polizeiminister geriere und sein Amt als Verfassungsminister vernachlässige. Wiederholt seien die Gesetzesinitiativen des Ministers in hohem Maße verfassungsrechtlich bedenklich gewesen. Dies gelte sowohl für den Vorschlag, dass der Abschuss von entführten Flugzeugen durch den übergesetzlichen Notstand zu rechtfertigen sei, als auch für den aktuellen Entwurf des Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (im Folgenden nur als BKAG-E abgekürzt). Wieland  warnte vor dem Plan, im BKAG-E die Kompetenzen des BKA erheblich zu erweitern, weil dies zu einer Entgrenzung der polizeilichen Arbeit führen würde. Die Folge wäre das Entstehen eines deutschen FBI, in dem das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei aufgehoben wäre.

Zudem verabschiede sich der Minister mit der Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr mit militärischen Mitteln im Inland von dem jahrzehntealten Konsens der Demokraten in Deutschland, dass auf Grund der Erfahrungen aus der NS-Zeit  ausschließlich die Polizei im Inland eingesetzt werden solle.

Daher stellt sich für Wolfgang Wieland die Arbeit des Bundesinnenministers insgesamt als eine noch weitergehende Verschärfung der Sicherheitspolitik bezüglich der Grundrechtseinschränkungen dar.

 

Als erster Fachreferent erläuterte Markus Hansen vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig Holsteins die vielfältigen Ausspähmöglichkeiten.  Dabei unterschied er Methoden, bei denen die Hardware (durch einen physischen Zugriff) oder die Software (beispielsweise durch eine Onlinedurchsuchung) manipuliert wird und solchen Methoden, bei denen die optischen, akustischen oder auch elektromagnetischen Abstrahlungen des Computers aufgefangen und ausgewertet werden.

Markus Hansen gab die Empfehlung an die Politik, auf eingebaute Hintertüren in der Hard- oder Software zu verzichten. Der Nutzer müsse wenigstens beim Kauf von Hard- oder Software darauf vertrauen können, dass in diese noch keine Ausspähtechnologie eingebaut ist. Nur so sei die Vertraulichkeit und Integrität als Grundlage für die Informationsgesellschaft zu erhalten. Auch eine Infiltration über Kommunikationsnetze oder per Software lehnte Hansen ab, weil die Kontrollierbarkeit bei diesen Methoden mangelhaft sei. Der Staat solle sich auf optische, akustische oder auch elektromagnetische Methoden  beschränken und in unverzichtbaren Fällen die Hardware durch einen physischen Zugriff, für den die Wohnung des Verdächtigen betreten werden müsse, infiltrieren.

 

Der zweite Referent war der Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamten Klaus Jansen. Er wies darauf hin, dass die Online-Kriminalität in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen habe. Der dadurch entstandene Schaden ginge in die Milliarden. Zwar kenne die Strafprozessordnung ausreichend Ermittlungsmethoden um konventionelle Straftaten zu verfolgen, aber im Bereich des Internets ständen den Verfolgungsbehörden nichts Vergleichbares zur Verfügung. Daher hält er die Online-Durchsuchung auch in Zukunft für ein unverzichtbares Mittel der Verbrechensbekämpfung.

Er stimmte Wolfgang Wieland zu, dass die von Schäuble vorgelegte Evaluation zu den Antiterrorgesetzen aus der letzten Legislaturperiode - auch Otto-Kataloge genannt - unzureichend sei. Zudem forderten beide die Einführung eines „Bürgeranwalts“, der die Interessen von abgehörten Personen gegenüber den Behörden in dem Zeitraum vertritt, während die Betroffenen selbst noch nicht über die Abhöraktion informiert seien. Wolfgang Wieland kündigte an, diese neu gefundenen Gemeinsamkeiten im politischen Leben offensiv zu vertreten.

 

Die dritte Fachreferentin war Prof. Dr. Rosemarie Will, die Bundesvorsitzende der Humanistischen Union. Sie äußerte Bedenken hinsichtlich der Gewährleistung eines effektiven prozessualen Grundrechtsschutzes, weil die Ausnahmen vom Vorbehalt einer richterlichen Anordnung (Richtervorbehalt) für Maßnahmen nach dem BKAG-E zu weitreichend seien. 

Des Weiteren kritisierte sie die Weitergabe von Daten an andere staatliche Stellen, wie sie im § 20v BKAG-E geplant sei. Die mit der Weitergabe verbundene Zweckänderung der Daten stelle einen weiteren eigenständigen Grundrechtseingriff dar. Laut Rosemarie Will habe der Gesetzgeber diesen eigenständigen Grundrechtseingriff nicht ausreichend gewürdigt.  Zudem bestehe die Möglichkeit der Weitergabe  der Daten an solche staatlichen Stellen, die selber nicht die Ermächtigungsbefugnisse zur Erhebung solcher Daten hätten. Hierdurch könnten Ermittlungsmethoden wie die Onlinedurchsuchung indirekt für staatliche Zwecke eingesetzt werden, deren geringere Bedeutung für das öffentliche Gemeinwesen niemals den Einsatz von so gravierenden Grundrechtseingriffen wie die Onlinedurchsuchung rechtfertigen würden.

Wolfgang Wieland teilte in weiten Teilen die Kritik am Entwurf des BKAG-E von Prof. Dr. Will.

 

Im Laufe des Streitgesprächs wurde auch der Entwurf zur Ergänzung des Grundgesetzes von der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen diskutiert. Der Entwurf sieht unter anderem die Aufnahme eines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung in einem neu einzufügenden Art. 2aGG vor. Prof. Dr. Will hielt es für bedenklich, dass kein qualifizierter Gesetzesvorbehalt für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vorgesehen sei, sondern lediglich ein einfacher Gesetzesvorbehalt.

Wolfgang Wieland erklärte stellvertretend für die Bundestagsfraktion von Bündnis90/ Die Grünen seine Gesprächsbereitschaft bezüglich eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts  für Art. 2a GG.

 

Die Ergebnisse der Tagung werden in die zukünftige Arbeit von Bündnis 90/Die Grünen einfließen. Des Weiteren kündigten Bündnis 90/ Die Grünen und die Humanistische Union bereits auf der Tagung „Bürgerrechte 0.0“ eine Verfassungsbeschwerde gegen das BKAG-E, das am 12. November 2008 in namentlicher Abstimmung vom Bundestag verabschiedet wurde, an.

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DIE HINTERGRUNDINFORMATIONEN

 

Das geplante BKA-Gesetz

 

Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt - Der Gesetzesentwurf der CDU/CSU- und der SPD-Bundestagsfraktion vom 17. Juni 2008 (Bundestag-Drucksache 16/9588)

 

Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt - Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 13. August 2008 (Bundestag-Drucksache 16/10121)

 

 

Meinungen zum geplanten BKA-Gesetz

Die Regierung

 

Bundesministerium des Innern (BMI) zum BKA-Gesetz

 

Deutschlandfunk: Interview mit Innenminister Wolfgang Schäuble zum BKA-Gesetz (20. Juni 2008)

 

Die Opposition

 

Rede von Wolfgang Wieland im Bundestag zum BKA-Gesetz

 

Wolfgang Wieland zu einzelnen Regeln des BKA-Gesetzes und seine Gesamtbewertung (Mai 2008)

 

Datenschutz ist Bürgerrecht - Seite von Bündnis 90/Die Grünen

 

Bündnis 90/Die Grünen: Bürgerrechtsschutz im digitalen Zeitalter (Dokumentation der Tagung vom 26. März 2007 in Berlin)

 

Die Nichtregierungsorganisationen

 

Seite der Humanistischen Union zum BKA-Gesetz

 

Stellungnahme der Humanistischen Union vom 27. August 2008 zum BKA-Gesetz (Entwurf der CDU/CSU- und SPD-Fraktion)

 

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

 

Und was darf das BKA heute? Das derzeit gültige BKA-Gesetz.

Kategorie

Solides Fundament