Nein zum Backlash – Was auf Corona folgen muss

25.09.20 –

Vorläufiger Beschluss auf der Frauen*Konferenz:

Die Coronakrise hat unsere Gesellschaft als Ganzes getroffen und in so manchen Grundfesten erschüttert. Nahezu von heute auf morgen fuhren die Menschen ihre sozialen Kontakte zurück. Urlaubsreisen und Familientreffen fielen aus, Fußballstadien wurden für die Öffentlichkeit geschlossen. Clubs,  Konzertsäle und Theaterbühnen, Schulen und Kitas – alles geschlossen. Für viele Arbeitgeber*innen war Home Office plötzlich das Gebot der Stunde. Der Bundesfinanzminister kippte das Mantra der schwarzen Null und die Europäische Union nahm erstmals gemeinsam Schulden auf.

In einem aber hat sich unsere Gesellschaft als stabil erwiesen. Den Frauen in diesem Land wurde die klassische, fast schon überholt geglaubte Rolle der Mutter und Kümmerin zugewiesen. Gleichzeitig wurde das, was gemeinhin als Privatleben gilt, praktisch unsichtbar gemacht: Das bisschen Kinderbetreuung? Das werden die Frauen schon richten. Arbeiten können sie ja nebenbei oder wenn die Kinder im Bett sind! Ja, die Jobs der Frauen sind systemrelevant. Aber sie deshalb besser bezahlen? Wir müssen doch ganze Branchen retten! Häusliche Gewalt? Wieso sollte das jetzt Thema sein?

Wir stellen fest: Frauen waren und sind von der Coronakrise in besonderer Weise, aber durchaus unterschiedlich betroffen. Zwar sind viele ihrer Berufe nun offiziell systemrelevant, sie bleiben aber schlecht bezahlt. Ihr größerer Anteil in menschennahen Berufen – zum Beispiel als Verkäuferin, Sprechstundenhilfe oder als Krankenpflegerin – führt  dazu, dass sie deutlich häufiger an Covid-19 erkranken als Männer. Das Ausmaß der häuslichen Gewalt gegenüber Frauen (und ihren Kindern) ist in der Krise und insbesondere während des Lockdowns deutlich gestiegen. Und hatten Frauen schon vor der Coronakrise einen größeren Teil der Care-Arbeit  zu leisten, so hat sich dieses Ungleichgewicht während der Krise noch verstärkt.

Diese Entwicklungen sind nicht unvorhersehbar aufgetreten. Sie lassen vielmehr einen klareren Blick auf die schon lange bekannten strukturellen Probleme zu. Wenn wir Antworten auf diese Ungerechtigkeiten finden wollen, dürfen wir nicht nur die akute Krise kritisch betrachten. Natürlich müssen wir daraus Schlüsse für die Möglichkeit einer zweiten Welle ziehen und dafür Sorge tragen, dass Frauen nicht erneut die Verliererinnen der Krise werden. Aber wir müssen die Strukturen grundlegend ändern – über die Krise hinaus. Die Coronakrise zeigt uns nicht nur überdeutlich, wo die Sollbruchstellen unserer  Gesellschaft liegen – sie mahnt uns auch zur Dringlichkeit, strukturelle Diskriminierungen zielgerichtet zu bekämpfen.

Politik in Zeiten der Pandemie oder: Die Pflicht zur Gender-Brille

Was viele von uns im Jahr 2020 nicht für möglich gehalten hätten, ist im Zuge der Corona-Pandemie überraschend reibungslos geschehen. Kaum war die Krise da, erklärten uns überwiegend Männer die Welt. Überall traten sie öffentlichkeitswirksam als Experten und Krisenmanager in Erscheinung. Und im engsten Krisenstab der Kanzlerin saß zwar die Verteidigungsministerin, nicht aber die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Der Blick auf Frauen und ihre unterschiedlichen Lebenslagen: In der Hochphase der Coronakrise fehlte er nahezu komplett. Die Folge: Bei akuten Entscheidungen  wurden Frauen und die Auswirkungen dieser Entscheidungen auf Frauen nicht berücksichtigt. Das Risiko der häuslichen Gewalt wurde ebenso ausgeblendet wie die Frage des Zugangs zur Schwangerschaftskonfliktberatung. Schulen und Kitas wurden monatelang fast komplett geschlossen, Care- und  Bildungsarbeit weitgehend privatisiert und damit stillschweigend überwiegend Frauen aufgebürdet. Frauen, die öffentlich einen finanziellen Ausgleich für ihre teils existenzbedrohenden Einkommensverluste forderten, erlebten einen wahren Shitstorm.

Diese Erfahrung muss uns eine Lehre sein. Denn auch  enn wir die Leistung einzelner männlicher Entscheidungsträger und Experten schätzen und dankbar für ihren Einsatz sind: Ein derart männerdominiertes und geschlechterblindes Krisenmanagement, das uns gleichstellungspolitisch um Jahrzehnte zurückwirft, darf sich nicht wiederholen. Für eine mögliche zweite oder gar dritte Welle müssen wir sicherstellen, dass Frauen an den relevanten Entscheidungen angemessen beteiligt werden – als Politikerinnen, als Wissenschaftlerinnen, als Vertreterinnen klassisch weiblicher Berufsbranchen sowie der einschlägigen Hilfe- und Beratungsstrukturen. Denn zukünftiges Krisenmanagement muss zwingend die – durchaus unterschiedlichen – Perspektiven und Lebenslagen von Frauen berücksichtigen. Damit Frauen nicht erneut Verliererinnen der Krise werden.

Hier ist zunächst die Bundesregierung gefragt. Denn auch wenn zentrale Bereiche wie Gesundheit und Bildung am Ende Ländersache sind: Der Bund kann Leitlinien vorgeben und Empfehlungen aussprechen. Er kann Prioritäten neu setzen. Und er kann mit gutem Beispiel vorangehen. Für den weiteren Pandemieverlauf fordern wir paritätisch besetzte Krisenstäbe, den Einbezug vielfältiger Expertisen und Stimmen und einen knallharten Geschlechtergerechtigkeitscheck: Nur wenn Frauen von Hilfemaßnahmen gleichermaßen profitieren wie alle anderen, werden diese Hilfemaßnahmen auch finanziert.

Kein Pandemieplan ohne Gewaltschutzkonzept und verlässliche Beratungsangebote

Häusliche Gewalt ist in Berlin während der ersten Coronawelle um circa 30 Prozent angestiegen. Ärztinnen berichten nicht nur von höheren Fallzahlen, sondern auch von zunehmender Schwere der Verletzungen. Betroffen sind in erste Linie Frauen und Kinder. Damit bestätigt sich, was Expert*innen von  Beginn an befürchtet hatten: Wenn Menschen in zu kleinen Wohnungen zu lange zu Hause sind, wenn Existenzängste auftreten oder zunehmen: Dann steigt das Aggressionspotenzial. Hinzu kommt, dass eine mögliche soziale Kontrolle durch außerhäusliche Kontakte weitgehend wegfiel und  professionelle Hilfestrukturen nur eingeschränkt zugänglich waren. Unter diesen Bedingungen blieben betroffene Frauen, insbesondere Frauen mit Behinderung und ältere Frauen, weitgehend sich selbst überlassen.

Um Frauen und Kinder während einer zweiten Welle mit Kontaktbeschränkungen besser vor häuslicher Gewalt zu schützen, müssen wir Gewaltschutz als essentiellen Teil in den Pandemieplänen verankern. Konkret heißt das: Die Hilfestrukturen müssen kurzfristig mit zusätzlichen finanziellen Mitteln  ausgestattet werden. Nur so können sie professionell auf steigende Fallzahlen reagieren; nur so können sie wegbrechende physische Anlaufstellen durch telefonische und digitale Informations- und Beratungsangebote auffangen. Gleichzeitig müssen die Menschen, die in den Schutz- und Beratungsstrukturen arbeiten, als systemrelevant eingestuft werden. Kampagnen, die einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit dienen sollen, müssen weitgehend vorbereitet sein, so dass sie in Zeiten der Pandemie kurzfristig angepasst und umgesetzt werden können.

Außerdem müssen Präventionsmaßnahmen, wie sie in der Istanbul Konvention benannt sind, zeitnah eingeleitet, budgetär berücksichtigt und umgesetzt werden, besonders in den Bereichen Prävention und Schulungen der Exekutive, Judikative und den Hilfsorganisationen. Generell, aber eben auch in  Zeiten einer Pandemie müssen Gewaltschutzkonzepte die vielfältigen Lebenslagen von Frauen und Mädchen berücksichtigen. Frauen und Mädchen mit Behinderung gehören schon in normalen Zeiten zu einer besonders vulnerablen Gruppe. Das Gleiche gilt für Frauen und Mädchen in eng bewohnten  Geflüchtetenunterkünften. Und auch für lesbische, bi-, trans- und intersexuelle Frauen steigt in Krisenzeiten das Risiko für Diskriminierung und Gewalt. Junge Frauen im Coming-Out sind zum Beispiel auf familiäre Kontexte zurückgeworfen, die sie an ihren Lebensentscheidungen hindern wollen. Hier  raucht es jeweils konkrete, direkte und verstärkte Hilfs- und Beratungsangebote wie zum Beispiel flächendeckende Besuchsdienste für ältere Frauen und Frauen mit Behinderung, dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten für geflüchtete Frauen oder zusätzliche Zufluchtswohnungen für lesbische, bi-, trans-  und intersexuelle Frauen. Telefonische Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebote sind ebenso notwendig wie digitale.

Letzteres gilt für alle Beratungsangebote wie beispielsweise psychiatrische Vor- und Nachsorge und im Besonderen auch für die Schwangerschaftskonfliktberatung. Gerade hier, wo Frauen nicht wochenlang auf einen Termin warten können, muss gewährleistet sein, dass Beratung schnell stattfinden kann.  Und wenn Frauen sich für den Abbruch einer Schwangerschaft entscheiden, muss sichergestellt sein, dass dieser schnellstmöglich vorgenommen werden kann. Auch deshalb fordern wir, dass der medikamentöse Abbruch zu Hause erleichtert wird.

Einkommensverluste abfedern: Corona-Elterngeld und -pflegegeld

Sollte es sich nicht vermeiden lassen, dass Schulen und/oder Kitas erneut zumindest teilweise geschlossen werden müssen, braucht es ein besseres Konzept als während der ersten Coronawelle. Denn wenn Schulen und Kitas schließen, übernehmen in der Regel die Frauen die Betreuung der Kinder.  Das hat vor allem finanzielle Gründe, die strukturell geändert werden müssen (siehe unten). Da diese Änderungen aber nicht von heute auf morgen wirken werden, müssen wir insbesondere die konkrete Situation von Frauen in der Krise in den Blick nehmen. Wir müssen also den akuten Wegfall ihrer Lohnarbeit ausgleichen. Dazu braucht es zum einen ein echtes Corona-Elterngeld, das Eltern beantragen können, deren Kinder das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für Familien mit Kindern mit Behinderung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs. Das Coronaelterngeld soll im Umfang grundsätzlich dem üblichen Elterngeld entsprechen (67 Prozent des wegfallenden Netto-Einkommens bis maximal 1800 Euro), allerdings durch eine Härtefallregelung ergänzt, so dass Familien, bei denen diese 67 Prozent bedeuten würden, dass sie unter das Existenzminimum fallen, auch über die  Leistung Coronaelterngeld mehr gezahlt werden kann, ohne dass ALG II beantragt werden muss. Diese Elterngeld soll für die gesamte Dauer des notwendigen Wegfalls der Erwerbsarbeit gezahlt werden. Wir wollen auch in der Krise die partnerschaftliche Aufteilung von Carearbeit fördern, deshalb soll das  Coronaelterngeld auch einen Partnerschaftsbonus enthalten: Wenn beide Eltern einen Teil der Carearbeit übernehmen, erhöht sich die Leistung auf 75 Prozent des wegfallenden Nettoeinkommens. Da Alleinerziehende die zusätzlichen Kosten, die durch zu Hause bleibende Kinder entstehen (wie beispielsweise Mittagessen, das es sonst in Kita oder Schule gegeben hätte), in der Regel allein tragen müssen, weil die Unterhaltszahlungen nicht angepasst werden, bekommen auch sie 75 Prozent ihres Nettoeinkommens.

Analog zum Coronaelterngeld wollen wir auch ein Coronapflegegeld für pflegende Angehörige, wenn die professionelle Pflegeunterstützung nicht aufrechterhalten werden kann und somit Lohn wegfällt.

Das Coronaelterngeld kann auch von Eltern beantragt werden, die theoretisch im Homeoffice arbeiten könnten. Damit füllen wir die Lücke, die das Infektionsschutzgesetz lässt und das Lohnfortzahlungen nur für Menschen vorsieht, die nicht von zu Hause arbeiten können. Denn die Erfahrungen der ersten Welle haben gezeigt: Homeoffice und Kinderbetreuung geht nicht zusammen. Kinder haben ein Recht auf eine gute Betreuung und Förderung, sie haben das Recht, dass sich jemand ihnen zuwendet und ihre Bedürfnisse ernst nimmt – gerade mit kleinen Kindern ist das nicht mit dem Homeoffice
zu vereinbaren. Aber auch wenn ältere Kinder im Haushalt leben, denen Eltern bei den Schulaufgaben helfen sollen, ist dies nicht zu leisten. Wir erwarten für eine zweite Welle jedoch auch, dass Kinder, die schulpflichtig sind, zu Hause nicht mehr von ihren Eltern beschult werden müssen, sondern dass ein echter Fernunterricht stattfindet, also dass Lehrer*innen die Schüler*innen zu Hause anleiten und begleiten. Dazu braucht es sowohl die notwendigen Kompetenzen bei den Lehrkräften und den Schüler*innen als auch die notwendigen Voraussetzungen wie z.B. technische Ausstattung,  Internetverbindung und einen ruhigen Platz zum Lernen. Die Tablets, die an Berliner Schüler*innen ausgegeben wurden, waren dabei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es fehlt nach wie vor ein Konzept, das Fern- und Präsenzunterricht vernünftig verbindet. Hier sind die Sommerferien verstrichen, ohne wirklich genutzt zu werden. Lehrkräfte hätten fortgebildet und Infrastruktur geschaffen werden müssen. Dies den Schulen und Familien allein zu überlassen, kann nicht funktionieren. Hier muss die zuständige Senatsverwaltung dringend nachbessern. Darüber hinaus fordern wir effiziente und langfristig ausgelegte Hygienekonzepte, die Lehrer*innen, Erzieher*innen sowie Kinder und Schüler*innen effizient schützen. Das bedeutet zum Beispiel Einbauten von Belüftungsanlagen, Verkleinerung der Gruppen oder Klassen und den Ausbau von sanitären Anlagen.

Damit wissenschaftliche Erkenntnisse gebündelt in politische Entscheidungen einfließen können, fordern wir einen Bund-Länder-Gipfel, der sich mit dem Thema Bildung und Kita befasst. Natürlich müssen die regionalen Bedingungen vor Ort immer dafür mit entscheidend sein, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden. Aber ob bzw. unter welchen Bedingungen z.B. Masken in Schulen oder gar im Unterricht Sinn machen, sollte einmal grundlegend geklärt werden und dann müssen diese Grundlagenentscheidungen entsprechend der örtlichen Gegebenheiten und des allgemeinen Infektionsgeschehens vor Ort angewendet werden. Genauso könnte hier ein grundsätzliches Konzept erarbeitet werden, wie analoger und digitaler Unterricht verknüpft werden kann und das beschreibt, unter welchen Umständen wie viel Präsenzunterricht stattfinden kann. Dies wäre dann den Bedingungen vor Ort anzupassen. Es kann nicht sein, dass Schulen und Lehrkräfte damit komplett allein gelassen werden.

Notbetreuungsanspruch für Alleinerziehende und Ausweitung der Kind-Krank-Tage

Die Notbetreuung von Kindern, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, hat während der ersten Coronawelle in Berlin in den meisten Einrichtungen gut funktioniert. Unser Dank gilt insbesondere den Erzieher*innen, Lehrkräften und Sozialarbeiter*innen, die hier weiterhin für die Kinder vor Ort waren und sie auch in dieser schwierigen Situation unterstützt haben. Dennoch können wir Lehren für eine mögliche zweite Welle ziehen: Gerade Alleinerziehende waren durch die strikten Kontaktbeschränkungen erneut vor besondere Herausforderungen gestellt. Mit dem plötzlichen Wegfall außerhäuslicher
Betreuungsangebote wurde es für sie noch schwerer als sonst erwerbstätig zu sein. Bei einer möglichen zweiten Welle müssen Alleinerziehende deshalb von Beginn an Anspruch auf Notbetreuung haben.

Es ist davon auszugehen, dass Kinder im bevorstehenden Herbst häufiger zu Hause bleiben werden müssen, als normalerweise üblich. Weil Schulen und Kitas Kinder mit Erkältungssymptomen nicht beschulen oder betreuen, müssen Eltern in die Lage versetzt werden, sich um ihre Kinder zu kümmern. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie die so genannten Kind-Krank-Tage ausweitet. Derzeit haben Eltern pro Kind und Elternteil einen Anspruch auf zehn Kind-Krank-Tage im Jahr, Alleinerziehende haben Anspruch auf 20 Tage. Dies wird in vielen Familien und gerade in solchen mit kleinen Kindern, die sehr schnell eine Schniefnase oder einen leichten Husten haben, bei weitem nicht ausreichen.

Erwerbsarbeit aller Frauen mitdenken

Eine weitere Gruppe von Frauen, die insbesondere finanziell unter den Kontaktbeschränkungen gelitten haben, waren Sexarbeiter*innen und Prostituierte. Es darf nicht sein, dass eine ohnehin marginalisierte Gruppe hier überhaupt nicht mitgedacht wird. Gerade Frauen, die keine große Lobby haben, müssen sich darauf verlassen können, dass die Politik sie nicht vergisst. Für eine zweite Welle muss deshalb rechtzeitig sichergestellt werden, dass auch für diese Berufsgruppe ein Zugang zu finanziellen Hilfen gewährleistet ist.

Über die Krise hinaus: Für die Hälfte der Macht braucht es strukturelle Veränderungen

Die Ursachen dafür, dass viele Frauen so stark unter der Coronakrise gelitten haben, liegen tief in unserer gesellschaftlichen Struktur verankert. „Typisch weibliche“ Berufe wie zum Beispiel Kranken- und Altenpflegerin, Verkäuferin oder Erzieherin sind immer noch schlechter bezahlt als „typisch männliche“ Berufe. Dass ausgerechnet in diesen Berufsgruppen das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, höher ist, scheint wie eine Ironie des Schicksals. Darüber hinaus fördert unser Steuersystem nach wie vor die Alleinverdienerehe, in der das zweite Gehalt lediglich ein Zuverdienst ist. Aufgrund des besser bezahlten Jobs ist in den meisten Familien der Mann Hauptverdiener, während die Frau Teilzeit arbeitet und den Großteil der Carearbeit übernimmt.

Um hier strukturell anzusetzen, müssen wir die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen ebenso fördern wie eine gleichmäßigere Verteilung von Carearbeit. Die systemrelevanten, meist von Frauen ausgeübten Berufe, müssen endlich aufgewertet werden – und zwar vor allem finanziell. Darüber hinaus brauchen wir ein echtes, konsequentes Entgeltgleichheitsgesetz, damit Frauen nicht weniger verdienen als ihre Kollegen mit den gleichen Qualifikationen, Erfahrungen und Aufgaben. Ebenso überfällig ist die Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer Kindergrundsicherung. Nur so können wir den Gender Pay Gap verringern. Zudem muss die steuerliche Schlechterstellung von Frauen bei Lohnersatzleistung ein Ende haben, indem diese Leistungen  grundsätzlich nach Steuerklasse IV berechnet werden.

Wir müssen beim Elterngeld und den Teilzeitregelungen nachsteuern. Denn leider wird Carearbeit zwischen den Elternteilen oft nur dann gleichmäßiger aufgeteilt, wenn die Familien dadurch keine finanziellen Verluste haben. Eine partnerschaftliche Aufteilung von Carearbeit darf aber kein Luxus sein. Deshalb müssen wir gerade in Familien, die auf das Einkommen des Mannes in voller Höhe angewiesen sind, höhere Elterngeldsätze prüfen. Auch könnte Paaren, die sich die Elternzeit gleichmäßig aufteilen, ein höherer Elterngeldsatz gezahlt werden. Über die erste Zeit mit kleinen Kindern hinaus muss es möglich sein, dass Eltern paritätisch in Teilzeit arbeiten, ohne dadurch finanzielle Nachteile zu erfahren. Ein Ausgleich für die Rentenkassen könnte hier helfen.

Und dann bleibt immer noch einiges zu tun. In Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sind Frauen nach wie vor zu wenig vertreten – und zu selten in vorderster Reihe. Deshalb brauchen wir Parité-Gesetze und Frauenquoten in Führungspositionen. Gender Mainstreaming muss endlich konsequent umgesetzt werden, Gender Budgeting in jedem Haushalt verankert sein. Wir brauchen eine progressive ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie in Bund und Ländern und nicht zuletzt eine effektive Bundesstiftung für Gleichstellung.

Viele dieser Forderungen können wir nicht allein in Berlin durchsetzen – unsere Grüne Bundestagsfraktion fordert hier zurecht das Handeln der Bundesregierung ein. Doch Berlin ist eins der progressivsten Bundesländer, deshalb braucht es auch unsere laute Stimme, um diese Ziele auf Bundesebene durchzusetzen.

Die Zukunft ist weiblich

Die Coronakrise hat viele Probleme wie durch ein Brennglas sichtbar werden lassen. Vieles, was vorher unter der Decke gebrodelt hat, ließ sich nun nicht mehr verstecken und spätestens jetzt wissen wir, was wir schon lange geahnt hatten: Wirkliche Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht. Doch genau deshalb hat Corona auch den Widerstand der Frauen wachsen lassen. Krankenpflegerinnen, Ärztinnen, Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen, Lehrerinnen und Verkäuferinnen – genauso wie Mütter, die in allen möglichen Berufen arbeiten: Sie alle wurden laut, haben auf ihre unterschiedlichen Lebensrealitäten aufmerksam gemacht und wollen diese Ungerechtigkeit nicht länger auf sich sitzen lassen. Wir Bündnisgrüne stehen an ihrer Seite und kämpfen für eine geschlechtergerechte Zukunft!

Download vorläufiger Beschluss