Risikofaktor Berlin - Daniel Wesener im Duell mit Klaus Lederer in der Siegessäule

27.07.11 –

Daniel Wesener, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Berlin, und Klaus Lederer, Landeschef der Partei Die Linke, Berlin im Interview in der Siegessäule-Serie "Duelle zur Berliner Wahl 2011".

"Einerseits steht Berlin für gelebte Toleranz aller Vielfältigkeiten. Andererseits klagen Lesben, Schwule, Trans* über gewisse Sicherheitsmängel. Nicht überall und jederzeit lässt es sich offen queer leben. Wo klemmt die innerstädtische Kommunikation? Was muss politisch angepackt werden? Siegessäule-Autor Tim Schomann im Gespräch mit Klaus Lederer (Linke) und Daniel Wesener (Grüne).

Berlin wirbt mit Offenheit und der Akzeptanz queerer Lebensweisen. CSD, Straßenfeste, ein schwuler Bürgermeister und ein bundesweit einmaliger Aktionsplan gegen Homophobie sollen das beweisen. Wozu braucht diese Stadt noch Aufklärungs- und Antidiskriminierungskampagnen, wenn alles offenbar so wunderbar rund läuft?
Daniel Wesener: Wir brauchen solche Kampagnen, weil wir nach wie vor in dieser Stadt homo- und transphobe Übergriffe haben. Das ist kein Problem einer einzelnen Gruppe. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Und da gibt es auch in Berlin noch einiges zu tun.
Klaus Lederer: Berlin ist in der rechtlichen Gleichstellung so weit wie kein anderes Bundesland. Wenn aber „schwule Sau“ auf Schulhöfen immer noch als Schimpfwort gilt, wenn man Überfälle in U-Bahnen hat, dann zeigt sich, dass Diskriminierung in unserer Stadt noch immer Fakt ist. Das betrifft nicht nur Queers, das betrifft auch Migrantinnen und Migranten oder auch behinderte Menschen. Initiativen für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt kann man im Abgeordnetenhaus zwar beschließen, aber damit sind sie noch lange nicht umgesetzt. Wenn ich an das denke, was ich bei der Diskussion um die rechtliche Gleichstellung hier im Abgeordnetenhaus an Vorbehalten gehört habe, gerade von Menschen, die in der Politik sind, dann zeigt sich, dass Diskriminierung kein Randphänomen ist.

Hier im Parlament? Was haben Sie denn da gehört?
Lederer: Ich habe hier im Parlament gehört, die Gleichstellungsforderung zu Artikel 3 GG sei eine „Privilegierung für Pädophile“. Und aus der Justizverwaltung kam bei der landesrechtlichen Gleichstellung die Bemerkung, wir sollten doch mal zufrieden sein mit dem, was wir bekommen haben. Das zeigt, dass Diskriminierung auch in der Mitte der Gesellschaft bis in das politische Establishment durchaus verbreitet ist.
Wesener: Ich stimme Klaus zu. Parlamente repräsentieren in diesem Fall durchaus den gesellschaftlichen Mainstream. So kommen auch hier im Abgeordnetenhaus Vorurteile zum Tragen, auch hier fallen Äußerungen, an denen man merkt, dass es immer noch starke Vorbehalte gegen eine echte Gleichstellung von Schwulen, Lesben und Trans* gibt.

Wenn man in die queere Szene reinhört, kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass sich viele besonders von Menschen mit Migrationshintergrund bedroht und diskriminiert fühlen. Tatsache oder Einbildung?
Lederer: Man muss diese Debatte führen, ohne Ressentiments zu schüren. Es gibt ja auch innerhalb der Community Diskriminierungen. Es gibt beispielsweise transphobe Vorbehalte bei Schwulen und Lesben. Lesben und Schwule stehen nicht unter besonderem Naturschutz. Wir müssen uns mit Diskriminierungen aller Art auseinandersetzen. Und beispielsweise mal in den Blick nehmen, dass es auch migrantische Schwule, Lesben und Trans* gibt. Die sind quasi doppelt diskriminiert.

Weißer Homosexueller wird verfolgt von homophoben und gewaltbereiten Migranten. Das scheint oftmals das Bild in vielen Köpfen zu sein. Trifft das Bild zu oder nicht? Woher kommen diese Gräben?

Wesener: Es ist wichtig, dass man bei Diskriminierung und Stigmatisierung nicht den Fehler macht, in der Frage von Schuld und Verantwortung ebenfalls zu diskriminieren und auszugrenzen. Ich denke, homo- und transphobe Übergriffe müssen auch als solche benannt werden. Die kann man nicht einfach irgendwo in einer Statistik verstecken und so tun, als gäbe es sie nicht. Wir müssen über dieses Problem offen reden. Aber dann macht der Ton die Musik. Da sind besonders schwule und lesbische PolitikerInnen gefordert, wenn Leute über das Ziel hinausschießen, und selber Vorurteile bedienen. Außerdem: Die Beschimpfung als „schwule Sau” ist doch kein migrantisches Phänomen, sondern ist leider auch auf den Pausenhöfen in Zehlendorf oder Marzahn zu Hause.

Es gab in der Vergangenheit etwa die Simon-Studie, die meinte, einen Zusammenhang zwischen Homo- und Transphobie besonders bei Menschen mit Migrationshintergrund ausgemacht zu haben. Stimmen Sie zu?
Lederer: Ich halte die Simon-Studie für methodisch problematisch. Sie war auch nicht repräsentativ. Das ändert aber nichts daran, dass es in migrantischen Communitys Homophobie genauso gibt wie in anderen Teilen der Gesellschaft. Das kann man nicht wegreden. Ich würde es aber auch nicht besonders hervorheben, denn sonst erklärt es die Mehrheitsgesellschaft zum Problem anderer Leute. Das Thema gegen Migrantinnen und Migranten zu instrumentalisieren ist schäbig. Wenn die Communitys beginnen, sich auf solche Vorurteile gegen Migranten draufzusetzen, anstatt Diskriminierungen in all ihrer Breite wahrzunehmen, dann werden auch sie am Ende verlieren.
Wesener: Da habe ich auch die Erwartungshaltung gegenüber unserer queeren Community, dass sie sich aus der eigenen Diskriminierungserfahrung heraus sehr sensibel zeigt. Es wäre verheerend, wenn Minderheiten gegeneinander ausgespielt würden. Hier geht es auch stärker um ein soziales Problem, als um Integration oder Migration. Nicht die Herkunft, sondern soziale Benachteiligung und der Bildungshintergrund sind dabei entscheidend. Wenn man das alles ausblendet und die Probleme auf ein ethnisches Merkmal reduziert, dann landet man schnell bei Sarrazin.

Hier ist schon ein paarmal das Stichwort Initiative Sexuelle Vielfalt gefallen, die vom Abgeordnetenhaus 2009 beschlossen wurde. Sie läuft nun seit Februar 2010, allerdings gilt die Finanzierung erst mal nur bis zum Ende dieses Jahres. Wie erfolgreich ist dieses rot-rote Vorzeigeobjekt?

Wesener: Wenn ich mir anschaue, dass 350.000 Euro von der Initiative Sexuelle Vielfalt für eine missratene Werbekampagne „Berlin liebt“ ausgegeben werden, dann halte ich das für die falsche Akzentsetzung. 2010 wurden sogar Mittel der Initiative nicht für gute Projekte ausgegeben, sondern sind zurückgeflossen in den Landeshaushalt und damit in den Schuldenabbau. Wir brauchen also eine bessere Umsetzung der Kampagne durch die beteiligten Senatsverwaltungen. Da scheint zwar der Wille vorhanden zu sein, aber nicht die nötige Professionalität.
Lederer: Das ist jetzt wieder diese Grünen-Nummer: Wir können alles und das besser! Dieses Programm ist bundesweit einmalig, trotz aller Anlaufschwierigkeiten. Das größte Problem war, in der Bildungsverwaltung überhaupt eine Offenheit zu erzeugen, dass Homophobie an Schulen ein reales Problem ist. Viel schlimmer ist, dass die Weiterfinanzierung bisher durch den Finanzsenator geblockt wird. Es sollten jetzt endlich mal alle ein Bekenntnis abgeben, diese Initiative weiterzuführen.
Wesener: Da gibt es auch überhaupt keinen Dissens zwischen uns. Wobei ich mich immer frage: Wer hat’s erfunden? Natürlich waren wir Grünen diejenigen, die im Dezember 2008 mit dem Aktionsplan gegen Homophobie im Abgeordnetenhaus das Ganze überhaupt angeschoben haben.
Lederer: Ausgangspunkt war die Simon-Studie. Wir haben mit den Initiativen ein Programm entwickelt und es durch die Instanzen gekämpft. Die Repressionsfixierung eures Antrages wurde durch einen breiten Ansatz ersetzt. Ihr reklamiert für euch, was mit eurer DIN-A4-Seite wenig zu tun hat.

Na, aber das Gefühl kann man bei der Linken auch bekommen, dass sie die Initiative allein für sich reklamiert, oder? Die FDP, die Grünen haben der Initiative zugestimmt und Ihr Koalitionspartner, die SPD, trägt die Initiative ja auch mit. Oder musste sie zum Jagen getragen werden?

Lederer: Na ja, ein wenig schon ...
Wesener: Da wären wir beide uns in puncto SPD wahrscheinlich sogar einig...
Lederer: Beim Antrag habe ich von Susann Engert Unterstützung bekommen. Symbolisch bekennen sich natürlich alle dazu, zum Glück. Aber gerade beim Geld gab und gibt es noch viele Widerstände.

Interview: Tim Schomann"

Quelle: http://www.siegessaeule.de/uploads/img/printausgaben/SIS-aktuell.pdf