08.06.12 –
Im Rahmen der regulären Mai-Sitzung der LAG QueerGrün wollten wir erfahren, wie es mit LSBTI* in der Schule aussieht: (k)ein Thema? Daher luden wir zwei Expertinnen ein, die mit uns gemeinsam einen Ist-Stand aufnahmen sowie Chancen, Hürden und Grenzen im Schulalltag diskutierten...
LSBTI*, ist doch eigentlich klar, was das bedeutet! Oder? Nun, die Lücke zwischen Realität und Ideal ist mal wieder groß! Noch immer scheinen die Begrifflichkeiten und Konstruktionen um sexuelle Identität und vielfältige Lebensentwürfe für nicht wenige Menschen fremd zu sein. So auch für Autor_innen verschiedener Schulbuchverlage. Zumindest kommt Melanie Bittner, Soziologin und Autorin der Studie „Geschlechterkonstruktionen und die Darstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* (LSBTI) in Schulbüchern“, zu dieser Erkenntnis. In dieser exemplarischen Studie untersuchte sie verschiedene Schulbücher für die Fächer Englisch, Biologie und Geschichte, die in der Sekundarstufe I an unterschiedlichen Schulformen u.a. in den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin und Rheinland-Pfalz eingesetzt werden. Melanie Bittner kommt zu dem Schluss, dass bezüglich aller Aspekte von LSBTI*, sexueller Identität und Gender im schulischen Bereich Handlungsbedarf bestehe. Machtverhältnisse und Diskriminierung werden nicht angemessen thematisiert und seien verbreitet noch immer ein Tabuthema. Auch verschiedene Gendertheorien, die von der Binarität des Geschlechtersystem – also der ausschließlichen Zweigeschlechtlichkeit – abweichen und Geschlecht als Konstrukt behandeln, fänden kaum Einzug in die untersuchten Schulbücher. Es liege nahe, dass dies nicht selten auch im Unterricht selbst der Fall ist. Bedeutend sei die Schulbuchanalyse aber auch deshalb, da Schulbücher ein reaktives Medium darstellen, die vor allem die Meinung der Mehrheitsgesellschaft sowie der medialen Diskussionen repräsentieren. Eine zentrale Rolle komme deshalb den jeweiligen Lehrkräften zu. Inwiefern diese jedoch die in Schulbüchern enthaltenen Meinungen weitertragen, kritisch hinterfragen und/oder gar vollkommen verwerfen, könne durch die Studie selbst nicht beantwortet werden.
Die den einzelnen Lehrkräften aller Schulstufen zukommende Verantwortung wird auch von Conny Kempe-Schälicke, Koordinatorin der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft bestätigt. Sie bezeichnet die Fortführung der Initiative unter der rot-schwarzen Regierung selbst als ein „kleines Wunder“, das es regelrecht auf Händen zu tragen gilt. In ihrem Diskussionsbeitrag betonte sie, dass LSBTI* in der Schule viele Facetten habe und ein wichtiges bildungspolitisches Thema sei. Denn schließlich gehe es um wertschätzende und gleiche Lebens- und Lernbedingungen für alle Schüler_innen, somit auch für LSBTI*. Verschiedene Maßnahmen sollen deshalb insbesondere im Bereich Schule ein Fundament dafür schaffen, dass Diskriminierungen, Mobbing und Gewalt aufgrund von Vorurteilen gegenüber Lesben, Schwulen, bi-, trans- und intergeschlechtlichen Personen wahrgenommen, abgebaut und präventiv verhindert werden. Dabei versteht Cornelia Kempe-Schälicke die vorgesehenen Maßnahmen der Initiative nicht als Mehrbelastung für Lehrkräfte. Aufgrund vielseitiger Versäumnisse in der Vergangenheit gebe es Lücken und Verbesserungsbedarf in diesem Bereich. Lehrkräfte selbst würden beispielsweise durch Fortbildungen und Handreichungen also sogar ent- und nicht mehrbelastet. Darüber hinaus sei auch vorgesehen, dass an jeder Berliner Schule eine Lehrkraft als Ansprechpartner_in für sexuelle Vielfalt zur Verfügung steht.
Es kommt also offenbar Bewegung in die Schulen. LSBTI* als Thema scheint in Berlin mehr und mehr an Relevanz zu gewinnen. Ein Umstand, der jedoch noch lange nicht zum Ausruhen verleiten darf. cra
Anmerkung: Neben der Studie von Melanie Bittner findest Du ebenfalls hier zwei interessante Links zum Thema...