LDK-Antrag: Berlin ökologisch und sozial gestalten!

27.09.11 –

Die Landesdelegiertenkonferenz möge beschließen:


Bündnis 90/Die Grünen Berlin nehmen mit der SPD Berlin Verhandlungen über die Bildung einer Regierung für die 17. Legislaturperiode auf. Ziel der Koalitionsverhandlungen ist, die Grundlage dafür zu legen, Berlin ökologischer und sozialer zu gestalten. Unser Ziel ist es, Berlin ökologisch zu erneuern, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und Verdrängung entgegenzutreten, bessere Bildungschancen für alle zu schaffen, die wirtschaftlichen Potentiale dieser Stadt zu entfalten und eine neue politische Kultur der Transparenz und Beteiligung zu etablieren. Bündnis 90/Die Grünen Berlin streben auf dieser Grundlage eine faire, vertrauensvolle und politisch tragfähige Zusammenarbeit in einer rot-grünen Koalition
an.

Begründung:


I. Blick zurück nach vorne


Wir haben einen langen und harten Wahlkampf erlebt – vielleicht den härtesten, den je ein grüner Landesverband geführt hat. Wir haben uns am 5. November 2010 sehr viel vorgenommen. Unsere Ziele waren bewusst sehr hoch gesteckt. Nur wer den Mut hat, weit zu springen, schafft neue Perspektiven. Wir hatten uns mehr erhofft, als wir erreicht haben. Gleichzeitig gilt: Mit unseren 17,6 Prozent haben wir das beste grüne Wahlergebnis für Berlin erzielt, das wir je hatten. Wir sind drittstärkste Kraft und können voller Selbstvertrauen in die nächste Legislaturperiode starten. Wir haben deutlich dazu gewonnen und so eine Koalition
aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen überhaupt erst zu einer realen Option für Berlin gemacht. Allen, die dafür gekämpft haben, gebührt der große Dank des ganzen Landesverbandes.
Wir haben erlebt, was es bedeutet, die Hauptkonkurrentin aller anderen Parteien zu sein und im Fokus zu stehen. Wir werden diesen Wahlkampf in Ruhe und mit dem notwendigen Selbstbewusstsein auswerten, um für die kommenden Wahlkämpfe zu lernen. Der Landesvorstand wird hierzu einen Vorschlag unterbreiten.

Jetzt stehen wir aber zunächst vor der Aufgabe, mit diesem Wahlergebnis das Beste für Berlin zu erreichen. Berlin steht entweder vor Rot-Schwarz oder vor Rot-Grün. Die große Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner befürwortet eine Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Dieses in uns gesetzte Vertrauen dürfen wir nicht verspielen. Wir wollen und werden diese Chance nutzen – für Berlin.

II. Sondierungsgespräche


Auf der Grundlage unseres Wahlprogramms und unseres Papiers „Verstehen und Handeln“ hat in den vergangenen Tagen die fünfköpfige Sondierungsgruppe mit der SPD Gespräche geführt. Die SPD hat aber auch mit der CDU Gespräche geführt. Die Alternative ist daher entweder eine Koalition aus SPD und CDU – der Koalition der 90er Jahre - oder eine Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Chance auf eine ökologisch-soziale Erneuerung Berlins. Unsere Gespräche mit der SPD waren konstruktiv und fair, dabei aber auch im Detail sehr klar und hart. Wir haben den Eindruck, dass sich zwei Partner ernsthaft auf eine neue, tragfähige Koalition für Berlin einlassen wollen. Klar ist: hier kommen zwei eigenständige Parteien auf Augenhöhe zusammen, die vieles verbindet, die aber auch bedeutende Unterschiede mitbringen.


III. Ökologisch-Soziale Erneuerung Berlins


In den Sondierungen wurde über fast alle Politikbereiche gesprochen. Dabei ist deutlich geworden, dass eine gemeinsame Politik für Berlin möglich ist. Von der Bildungspolitik über die Integration oder die Wirtschaftspolitik bis zur Klima- und Verkehrspolitik sind grüne Kernanliegen und Projekte mit der SPD umsetzbar. Dabei geht es nicht um Formelkompromisse, sondern wirklich um einen Aufbruch für Berlin. Es besteht die Chance, Berlin ökologischer und sozialer zu machen.
In den Kitas und Schulen entscheidet sich die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Gemeinsam können wir Vertrauen in die Schulen zurückgewinnen und sie zu den Lernorten machen, auf die unsere Kinder und Jugendlichen einen Anspruch haben, den Ganztagsbetrieb ausbauen, diejenigen Schulen gezielt stärken, die es am meisten brauchen, und die Reformen so
umsetzen, dass sie erfolgreich sind.
Wir wollen Mietsteigerungen begrenzen sowie bezahlbaren Wohnraum in der ganzen Stadt erhalten bzw. neu schaffen, mit den Wohnungsbaugesellschaften und allen anderen Akteuren für dieses Ziel arbeiten und daran auch Berlins Liegenschaftspolitik neu ausrichten. Unser Klimastadtwerk kann zu einem Modellprojekt für die ökologisch-soziale Modernisierung von Berlins öffentlichem Gebäudebestand werden. Gekoppelt mit einem Klimaschutzgesetz, das ökologischen und sozialen Zielen verpflichtet ist, können wir in Berlin zeigen, wie Klimaschutz, die Anliegen von Mieterinnen und Mietern und eine zukunftsweisende Investitions- und Wirtschaftspolitik in Großstädten zusammengehen können.


Die Gespräche haben auch deutlich gemacht, dass eine leistungsfähige und gleichzeitig nachhaltige Infrastruktur keinen Widerspruch, sondern eine große Chance für die Stadt darstellen. Berlin kann Vorreiter einer modernen Stadt- und Verkehrspolitik und damit Vorbild für die Metropolen des 21 Jahrhunderts werden.

IV. Alternativen zum Weiterbau der A 100


Ein dicker Brocken hierbei ist der Weiterbau der A 100. Beide Seiten haben sich vor der Wahl festgelegt. Der Regierende Bürgermeister hat sich deutlich für den Weiterbau und die damit verbundenen Investitionen in Berlins Infrastruktur ausgesprochen. Wir hingegen haben deutlich gemacht, dass wir keinem Koalitionsvertrag zustimmen werden, der den Weiterbau der A100 festschreibt. Wir haben letztlich einen Kompromiss errungen, der die Kernanliegen beider Partner berücksichtigt und eine neue Option schaffen wird. Der Lösungsvorschlag eröffnet eine neue Perspektive für eine moderne Infrastruktur für Berlin, erfordert allerdings eine gemeinsame Anstrengung. Hieran wird eine rot-grüne Koalition gemessen werden.
Wir sind mit der SPD überein gekommen, die finanziellen Mittel des Bundes für unsere Stadt zu sichern. Um das zu erreichen, wird das Projekt 16. Bauabschnitt BAB 100 zwar nicht grundsätzlich aufgegeben, aber eine rot-grüne Koalition wird sich aktiv und ernsthaft dafür einsetzen, dass die Umwidmung der Bundesmittel erreicht wird. Das heißt, es liegt auch an uns, dass eine rot-grüne Landesregierung alles daran setzen wird, die Mittel für den Bau zugunsten des Erhalts der bestehenden Infrastruktur umzuwidmen.

Die Einigung lautet wie folgt:
„Das Projekt 16. Bauabschnitt der BAB 100 wird nicht grundsätzlich aufgegeben. Die Koalition setzt sich aber aktiv und ernsthaft dafür ein, dass die Umwidmung der Bundesmittel ermöglicht wird. Der Bau erfolgt nicht, wenn die investiven Bundesmittel in Infrastrukturmaßnahmen in Berlin umgewidmet werden können. Für den Bundesverkehrswegeplan 2015 wird ein zusätzliches Projekt angemeldet.“


Erhalt statt Neubau – dafür sehen wir Grünen eine riesige Chance. Bislang sind die Mittel für den Weiterbau der A100 im Bundeshaushalt 2012 gar nicht eingestellt. Der zu ca. 60 Prozent unterfinanzierte Finanzrahmen des Bundes für alle Infrastrukturvorhaben ist hierbei ein wichtiger Faktor. Andere Bundesländer haben gezeigt, dass es kluge Wege gibt, Mittel umzuschichten, um so andere sinnvolle Maßnahmen zu realisieren. Das könnten in Berlin unter anderem Investitionen in den Unterhalt und die notwendige Erneuerung der bestehenden Autobahn-Infrastruktur, den Lärmschutz und die Sanierung maroder Bundesstraßen sein.
Bis zu einem Ergebnis der entsprechenden Verhandlungen mit der Bundesregierung in oder nach 2013 ist ein Baubeginn faktisch aufgeschoben. Dieses Ringen um die besten Wege ist für alle Seiten anstrengend, bietet aber die realistische Chance für eine Rot-Grüne Lösung ohne den Weiterbau der A100. Diese Option hätte Berlin unter Rot-Schwarz nicht.

V. Ausblick

Wir Grüne verwechseln das Ergebnis von Sondierungsgesprächen nicht mit den Ergebnissen von Koalitionsverhandlungen. Ein Großteil des Weges, auf den wir uns heute mit der SPD machen, liegt noch vor uns. Am Ende müssen die Inhalte und Bedingungen einer Regierungsbildung für beide Partner stimmen. Wir Grüne werden uns dabei am Ende an den Erwartungen unserer Wählerinnen und Wähler sowie unseren eigenen Vorsätzen messen lassen müssen. Diese Bewertung wird einer Landesdelegiertenkonferenz vorbehalten sein.

Berlin hat die Chance, ökologischer und sozialer zu werden – wir wollen sie nutzen!

Bettina Jarasch
Renate Künast
Ramona Pop
Volker Ratzmann
Daniel Wesener
Der Landesvorstand

Berlin, 26. Sep. 2011