Solidarisch durch die Krise

16.12.11 –

von Elisabeth Schroedter

 

Stachlige Argumente, Winter 2011, Nr. 184, Seite 6

 

In den letzten Monaten hat sich die Protestbewegung der Indignados, der empörten Jugend Spaniens, weit über die Landesgrenzen hinweg Gehör verschafft. Auch im Rest Europas und der Welt machen Menschen ihrem Unmut Luft, dass die einzige Antwort auf die gegenwärtige Krise, verschärfte Haushaltsdisziplin ist. Die Krise ist aber auch eine soziale Krise. Sparmaßnahmen dürfen daher nicht nur auf Haushaltsstabilisierung abzielen, sondern müssen auch die Menschen im Blick haben, um nicht einer ganzen Generation die Zukunft zu nehmen. Obwohl laut Sozialbericht 2011 des Statistischen Bundesamts inzwischen fast jeder sechste in Deutschland und 84 Millionen (17%) in der EU armutsgefährdet sind, verabschieden Länder wie Deutschland und Großbritannien, die nicht unmittelbar von der Krise betroffenen sind, auch Maßnahmen, die den dort anhaltenden Trend steigender Armut deutlich verschärfen.

 

Im Gegensatz dazu steht in der EUROPA-2020-Strategie das Ziel, die Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze um 20 Millionen zu senken. Doch was kann die EU konkret tun, um die Mitgliedstaaten zu unterstützen, dieses Ziel zu erreichen? Eine der Antworten der EU auf die Krise ist das Europäische Semester mit einer besseren Koordinierung von Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Umweltpolitik der 27 Mitgliedstaaten. Klare Zeitpläne sollen sicherstellen, dass die Nationalen Reformprogramme so gestaltet sind, dass die in Prozent gefassten Vorgaben der gemeinsamen EUROPA-2020-Strategie überall erreicht werden. Dabei stehen wirtschaftliche, ökologische und sozialpolitische Ziele in einem Zielkatalog gleichberechtigt nebeneinander. Bei den diskutierten Maßnahmen wird die sozialpolitische Dimension jedoch der makroökonomischen Stabilität untergeordnet. So zielen z.B. arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nicht auf eine soziale Stabilisierung ab, sondern bauen unter dem Motto der „Flexibilisierung des Arbeitsmarkts“ grundlegende Arbeitnehmer/innenrechte und die soziale Absicherung für Arbeitslose ab.

 

Mit der Reform der Europäischen Strukturfonds will die EU das erste Mal die Mitgliedstaaten auch im Kampf gegen Armut unterstützen. Der Europäische Sozialfonds (ESF) soll daher für die nächste Förderperiode zwei neue Schwerpunkte erhalten, einer davon ist der Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung, der zweite die Senkung der Schulabbrecherquote. Die Europäische Kommission schlägt dazu vor, dass jeder Mitgliedstaat 20% des ESF für die Armutsbekämpfung verwendet. Damit reicht der ESF-Aktionsbereich erstmalig deutlich über die Arbeitsmarktpolitik hinaus und lässt umfassende Maßnahmen zu, um Menschen aus der Armut zu helfen. Die Bundesregierung hat sich in ersten Äußerungen gegen solch klare Vorgaben der EU zur Armutsbekämpfung gestellt. Dabei würde dieser erweiterte ESF auch in Deutschland viele Projekte ermöglichen, die Armut beseitigen und soziale Inklusion vorantreiben. Wir Grüne werden uns im Europäischen Parlament in den Verhandlungen mit dem Rat dafür einsetzen. Die EU muss gerade in der Krise die soziale Dimension aufwerten und Akzente setzen, um das Vertrauen der Menschen in die EU wieder zu gewinnen. Die Mitgliedstaaten müssen auch im Zuge von Sparmaßnahmen sozial handeln und Investitionen in Menschen nicht hinten anstellen, wenn sie ihren Bürger/innen gegenüber glaubwürdig bleiben wollen.

 

Die Autorin ist Mitglied des Europäischen Parlamentes und

Vizepräsidentin des Sozial- und Beschäftigungsausschusses