11 Thesen zur Wahl aus der Froschperspektive

19.12.11 –

 

von Rainer Rudolph

(Stachlige Argumente, Winter 2011, Nr. 184, Seite 13)

Vielleicht sind ja die Gedanken eines einfachen Mitglieds auch ein Beitrag zur Klärung. Zunächst möchte ich aber sagen, dass ich den Wahlkampf und das Ergebnis nicht für schlecht oder eine Katastrophe halte. Es ist nur sehr enttäuschend.

Es fing ja so schön an. Plötzlich hatten wir in Umfragen 30%.

These 1:Wir haben uns von den Umfragen Besoffen machen lassen und vergessen, das politische Handwerkszeug anzuwenden. Es brach Euphorie aus und wir sind zu langsam wieder Nüchtern geworden. Wir wollten eine Regierende Bürgermeisterin stellen aber:

These 2: Die Entscheidung, eine Bürgermeisterkandidatin zu haben, implizierte die Option, notfalls mit der CDU zu regieren, falls Wowereit nicht freiwillig geht. Dies war der erste massive Fehler. Grün-Rot hat zu keiner Zeit jemand an den Wahlständen ernst genommen. Aber Rot-Grün ohne Wowereit würde die SPD niemals akzeptieren. Das hätten wir früher beachten sollen. Deshalb:

These 3: Viel zu spät haben wir unseren Selbstbetrug durchschaut. Schon Wochen früher hätten wir erkennen müssen, das wir nur der Juniorpartner der SPD werden können, die Spitzenkandidatin zurückziehen, auf Anti-Wowereit Wahlkampf verzichten und einen konsequent pro-Rot-Grünen Wahlkampf führen sollen.

Bezüglich des Wahlkampfes vor Ort fiel mir folgendes auf.
These 4: Wir hatten zu viele Köpfe und zu wenig Sprüche. Es hat uns nicht genug von anderen Parteien unterschieden. Wir sind keine Partei eines reinen Personenwahlkampfes. Das heißt nicht, dass wir nicht Köpfe kleben sollen. Die Menschen wollen schon wissen, wen sie wählen.

These 5: Es war auf den Straßen oder den Medien sehr wenig Originelles oder typisch Grünes auszumachen.

These 6: Unser Programm war thematisch sehr breit aber auch an zu vielen Stellen sehr dünn. Der erste interne Frust kam auf, als die Landearbeitsgemeinschaften (LAG) so wenig eingebunden wurden.

These 7: Es fehlte an einem zündenden Schlagwort oder Projekt. Die zehn Grünen Aussagen waren zirka sieben zu viel, um wirksam zu sein. Ein oder zwei ehrgeizige und plakative Statements wie „Wir wollen Klimahauptstadt Europas werden“ fehlten als Zentrum.

These 8: Wir haben es nicht rechtzeitig geschafft, auf das aufkommende Thema Mieten zu reagieren. Es war aber schon sehr früh an den Ständen präsent. Möglicherweise braucht ein Wahlkampf auch einen Feedback-Kanal nach oben, nicht nur Meinungsumfragen. Und dann haben wir das beste Ergebnis erreicht, das die Berliner BündnisGrünen je hatten. Und warum haben wir jetzt keine Rot-Grüne Koalition? Was haben wir falsch gemacht nach der Wahl?

These 9: Wenig. Wowereit war einfach schlauer als wir. Wir haben das Stöckchen „A100“ ausgegraben und er hat es uns hingehalten und wir sind rüber gesprungen. Aber es hätte auch ein anderes Stöckchen sein können. Vermutlich war ihm die Mehrheit zu knapp und wir zeigen ihm gerade, dass er Recht hatte.

Und die Piraten?
These 10:
Die Piraten zeigen uns, dass wir Mainstream geworden sind. Sie zeigen uns, dass wir programmatisch nicht mehr „vorne“ stehen. Und sie zeigen uns, dass wir nicht mehr originell sind, sondern „alt“ aussehen. Und was sollen wir nun weiter tun?

These 11: Mehr programmatische Arbeit. Die Gesellschaft und die anderen Parteien nehmen inzwischen Teile unserer Standpunkte ein. Jeder ist ein bisschen grün geworden. Wir müssen identifizieren, was heutzutage „vorne“ bedeutet.
Wir müssen dem Mainstream wieder voran gehen und herausfinden, was „ökologisch, basisdemokratisch und gewaltfrei“ in Zukunft bedeutet.

Der Autor ist Basismitglied des KV Charlottenburg-Wilmersdorf