Canvassing - eine neue Wahlkampfstrategie?

21.12.11 –

von Silke Gebel

(Stachlige Argumente Winter 2011, Nr. 184, Seite 44)

Die Frage in jedem Wahlkampf: Wie erreichen wir die Leute, die nicht an unseren Stand kommen? Sei es, weil sie vorher die Straßenseite wechseln oder weil wir in deren Lebenswelt keinen Stand machen. Für uns hieß das: „Wenn die Leute nicht zu dir kommen, musst du zu ihnen gehen“.

Canvassing, Türklinkenputzen, Haustürwahlkampf – egal wie man es nennt, als KandidatIn oder als UnterstützerIn geht man von Tür zu Tür, treppauf-treppab und wirbt idealerweise im direkten Gespräch für sich  - oder den/die KandidatIn   und die bündnisgrünen Positionen. Die Idee ist nicht neu: Obama hat diese Methode genutzt und in Großbritannien ist sie seit dem späten 17. Jahrhundert üblich.

How to Türklinkenputzen – 3 Grundregeln

  • Erstens:
    Zieht während der Woche zwischen 17.45-20.00 Uhr los. Zu dieser Uhrzeit werdet ihr die meisten Menschen zu Hause erwischen, ohne sie von Wichtigerem abzuhalten: kurz nach der Arbeit aber vor der ehrwürdigen Tagesschau.
  • Zweitens:
    Zieht mindestens zu zweit los und habt am besten eine Frau dabei. Klingelt nie mit mehr als zwei Leuten an einer Tür und führt die Gespräche immer an der Türschwelle.
  • Drittens:
    Zeigt, dass ihr da wart, auch wenn niemand die Tür aufgemacht hat. Bei uns haben im Schnitt 30 % die Tür geöffnet, die übrigen sollen ja auch von den Mühen und Inhalten erfahren.

Insgesamt waren wir überrascht über ein fast durchweg positives Feedback. Wie auch in den Berichten aus den USA, erkannten die Leute an, dass sich jemand die Mühe macht, den ganzen Weg zu ihnen zu kommen. In anderen Wahlkreisen war dieser Kontakt gar der erste, der je bewusst mit einer/m PolitikerIn stattfand.

Die heftigste Reaktion war schon eine zugeschlagene Tür mit einem verächtlichen „Bündnis 90...“.

Wie man es noch besser macht

Fangt früh genug an zu canvassen, damit ihr auch die Stimmen der BriefwählerInnen für euch oder eure KandidatIn sichert. Die Anzahl der BriefwählerInnen in Berlin lag bei dieser Wahl bei 16,6 % aller Wahlberechtigten, was 27,6 % der abgegebenen Stimmen bedeutet. Der größte Teil wurde bereits vor den letzten drei Wochen abgegeben.

Überlegt euch wie ihr zeigt, dass ihr da wart, wenn niemand aufmacht. Ärgerlich in den 10 Stock hochgekraxelt zu sein, und niemanden anzutreffen. Unsere Lösung waren Türhänger mit grundlegenden Infos zur Berliner Wahl. Einige freuten sich über den unerwarteten Gruß. Andere sahen darin eine „Einbrecherhilfe“, da man sehen könne, wer nicht zu Hause sei. Hier müssen wir nochmal ran.

Betont immer die Bedeutsamkeit der Zweitstimme (und Drittstimme). Gerade als Partei, die die Grundzahl der Mandate über die Zweitstimmen sichert, sollten auch primäre  Direktkandidatenmittel eingesetzt als Parteienwerbung genutzt werden.

5000 gedrückte Klingelknöpfe – ein gutes Zeit-Investment?

Entgegen aller Unkenrufe im Vorfeld war es leichter, Freiwillige dafür als für die klassischen Stände zu finden. Effektiv wird Canvassing, wenn es durch weitere Kiez-Präsenz, also Stände, Straßenfeste und Vereinsbesuche, flankiert wird. Es bietet aber denen eine zeitlich begrenzte, interessante Wahlkampfaktivität zur Feierabendzeit, die sich nicht an den Stand stellen würden.

Durch den hohen BriefwählerInnenanteil, der zeitlich nicht zurechenbar ist und durch eine Umstrukturierung der regionalen Briefwählerzuordnung, ist ein Effekt (noch) schwer nachzuweisen. Sichtbar ist in „meinem“ Wahlkreis ein Zuwachs an 944 Stimmen absolut zu 2006, was immerhin eine Steigerung um 35 % bedeutet. Rechtfertigt das 5000 „geputzte“ Türklinken?

Mein Fazit: Canvassing ist ein super Mittel effizient viele Leute persönlich zu sprechen und mit grüner Politik bekannt zu machen. Man erreicht damit auch Gruppen die sonst keinen/kaum Kontakt zu (grünen) PolitikerInnen haben. Gekoppelt mit einer zusätzlichen Präsenz im Kiez, ergibt sich ein enormer Wiedererkennungswert. Gerade mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 ein wichtiges Wahlkampfmittel.

Die Autorin ist Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss des KV Mitte und war Direktkandidatin im Wahlkreis 2 in Berlin Mitte rund um den Hakeschen Markt, Fischerinsel,  Karl-Marx Allee und die Leipziger Strasse