Die Schule, die ich leiten möchte

22.05.18 –

Von Constanze Rosengart

In der aktuellen Debatte um die Bildungskrise in Berlin sind alle Baustellen bereits aufgedeckt und benannt. Forderungen sind aufgestellt und werden auf ihr Für und Wider geprüft. Machbarkeiten, Finanzierungen, rechtliche Vorgaben, Curricula, Kultusministerkonferenz etc. Dabei stecken wir in einem Korsett, das uns kaum noch atmen lässt. Ich brauche Visionen und immer mal wieder muss ich mich aus den alltäglichen Realitäten befreien, alle Vorgaben vergessen und stelle mir die Schule vor, die ich leiten möchte.

… meine Schule ist ein Lern- und Lebensort. Gemeinschaftsschule, gebundener Ganztag. Offen und hell. Flure, die zum Verweilen und Austauschen einladen, geschmückt von Kunstwerken der Schüler*innen – nicht 25 mal dasselbe Bild anders interpretiert, sondern individuelle Kunstwerke, entstanden in der Kreativwerkstatt, nicht im 90-minütigen Kunstunterricht.

Meine Schule ist wie ein Dorf. Man kennt sich, man respektiert sich, man hat Spaß miteinander, kommt gerne und ist auch mal genervt voneinander. Lachen, Ausprobieren, Verfehlen und Neustarten gehören zum Alltag.

Lehrer*innen kann man vom restlichen multiprofessionellen Team nicht wirklich unterscheiden. An meiner Schule arbeiten Sozialpädagog*innen, Sonderpädagog*innen, Psycholog*innen, Schulhelfer*innen, Erzieher*innen, Ehrenamtliche, Mitarbeiter*innen meiner Kooperationen, Hausmeister*innen für Handwerkliches, Technisches und für den IT-Bereich, Handwerker*innen, die mit den Schüler*innen arbeiten, Schulsekretär*innen, Verwaltungspersonal und Lehrer*innen.

Die Mitarbeiter*innen haben Teamzeiten zum Austauschen und Planen, Sprechstunden für Schüler*innen und Eltern, Beratungszeiten für Fallbesprechungen. Für alle Mitarbeiter*innen gibt es einen festen Arbeitsplatz, der gut ausgestattet ist. Ein*e Mitarbeiter*in des Jugendamtes ist fest an meine Schule abgeordnet und steht sowohl den Schüler*innen als auch dem Personal und Eltern für Beratungen und Hilfen zur Verfügung. Der Verwaltungsbereich kümmert sich um Kopien, Abrechnungen für Klassenfahrten und Ausflüge, Beschaffungen, Beratungen von Neueinstellungen und die Buchung von Teamevents.

Der Unterricht findet jahrgangsgemischt statt. Es gibt Pflichtkurse mit obligatorischen Inhalten und Kurse, in die man sich nach Interesse einwählen kann. Es gibt Kerngruppen, die jeden Tag gemeinsam starten, sich Ziele setzen und füreinander da sind. Zeugnisse werden durch Beratungsgespräche und Zielvereinbarungen ersetzt. Die Schüler*innen führen selbstständig ein Portfolio, um ihre Leistungen und Erkenntnisse nachzuweisen. Über die Form des Portfolio - digital oder analog - entscheiden die Schüler*innen selbst. Klassenarbeiten und Tests werden ersetzt durch Präsentationen und Vorträge. Unterricht und Freizeitangebote sind über den Tag rhythmisiert. Es gibt ein gemeinsames, kostenloses Mittagessen, das in der Kerngruppe gemeinsam eingenommen wird.

In der Schule findet nicht nur Unterricht statt, sondern auch Angebote für den Freizeitbereich. Fußballtraining, Tennis, Kanu, Handarbeiten, Kochen, Backen, Bauen, Musizieren…
Es gibt eine kleine Fahrradwerkstatt, geleitet und koordiniert von einer Schülerfirma. Die zweite Schülerfirma kümmert sich um die Abläufe des Schulbauernhofes: Absprachen mit den Tierärzt*innen, Einteilung der Pflege und Fütterungszeiten für die Wochenenden und die Ferienzeiten, Absprachen mit dem Tierheim und Planung der Finanzen. Es gibt eine Freiwilligenkoordination der Schüler*innen, die die Einsätze im benachbarten Seniorenheim plant und koordiniert. Dort gibt es das „Großelternprojekt“, bei dem Kinder regelmäßig die älteren Menschen besuchen, Unternehmungen planen, beim Spazierengehen helfen, einfach nur mal die Zeitung vorlesen oder Geschichten aus einem ereignisreichen Leben hören.
Eine feste Gruppe kümmert sich um Angebote während der Pausenzeiten: geöffnete Bibliothek, angeleitete Pausenspiele, Pausendisko, Brötchen- und Obstverkauf.

Für all das brauchen Kinder soziale Kompetenzen. Diese müssen sie nicht in Kursen und Workshops lernen, sondern erfahren sie direkt im freien Feld. Rückmeldungen der Tiere, Senior*innen, Mitschüler*innen und Ehrenamtler helfen den kleinen Persönlichkeiten zu reifen und sich zu formen.

Meine Schule soll nah am Leben sein. Wenn die Kinder etwas anschaffen wollen, müssen sie berechnen, ob das der Schülerhaushalt noch hergibt. Dazu brauchen sie keine Textaufgabe. Wenn sie etwas für ein Projekt brauchen, müssen sie einen Antrag schreiben, ob der gut formuliert, verständlich und in der angemessenen Form ist, merken sie an der Reaktion. Wenn sie zu einem außerschulischen Lernort möchten, müssen sie vorher die Fahrtzeiten planen und bei der Angabe des Treffpunktes berücksichtigen. Bei allem stehen ihnen Erwachsene an der Seite, die unterstützen und helfen können.

Immer wieder predigen wir Pädagog*innen, dass die Schüler*innen für‘s Leben und nicht für die Schule lernen. Warum wenden wir das nicht endlich auf die Art unseres Unterrichtes an?

Bis es soweit ist, werde ich nun zwei pädagogische Konzepte verfassen, damit ich im kommenden Schuljahr ein paar mehr Lehrer*innenstunden genehmigt bekomme, werde verhandeln, ob ich eine*n weitere*n Schulhelfer*in für einen einzigen bestimmten Schüler bekommen könnte, obwohl ich weiß, dass mindestens zwanzig weitere Kinder dringend auch eine solche Unterstützung bräuchten. Ich werde hoffen, dass ich nicht aus dem Bonusprogramm rutsche, damit ich meine Schulstation weiter behalten kann und weiterhin meinen völlig erschöpften Lehrer*innen erklären, wie sie nach einem langen Unterrichtstag den Antrag für eintägige Ausflüge richtig ausfüllen, damit wir das Geld für die BuT-Kinder abrechnen können.

Ich hoffe, dass meine Schule eines Tages so sein wird, wie in meinen Vorstellungen. Bis dahin mache ich mich jeden Tag Millimeter für Millimeter auf den Weg. Nur nicht rückwärts gehen!

Constanze Rosengart ist Leiterin einer Schule in Spandau und Vorsitzende des grünen Kreisverbands.

 

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