Ein Blick zurück aus Britz

06.01.12 –

von Bertil Wewer

(Stachlige Argumente Nr. 184, Winter 2011, online)

Zwar haben wir in Berlin und in Neukölln wieder fünf Jahre auf den harten Bänken der Opposition vor uns, aber im Bezirk haben wir mit den beiden Direktmandaten, die Susanna Kahlefeld und Anja Kofbinger gewonnen haben, etwas Historisches vollbracht: Erstmals ist Neukölln innerhalb des S-Bahnrings grün!

Da sich die ganze Kraft des Kreisverbandes auf den Norden konzentrierte, musste ich hinter dem S-Bahnring in Nord-Britz den ersten Direktwahlkampf meines Lebens in weiten Teilen selbst organisieren. Mein sozialdemokratischer Mitbewerber hatte dafür immerhin ein fünfstelliges Budget zur Verfügung.

Ohne Kommunikation keine Mobilisierung
Mich ärgerte es furchtbar, dass ich von einem geplanten Auftritt von Renate in meinem Wahlkreis zufällig von Dritten erfuhr, also weder vom Landesverband (LV)  noch vom Kreisverband (KV). Statt alle zusammen daraus eine große Sache zu machen, verirrte sich am Ende Ramona zu einem einsamen, mitternächtlichen Foto - Shooting in das Gewerbegebiet an der Grenzallee. Nicht anders beim Bio-Brotboxen-Packen in meinem Wahlkreis. Renate ist dabei, und weder der LV noch der KV bekommen am Sonntagmorgen eine machtvolle grüne Präsenz an den Packtischen auf diesem urgrünen Terrain hin. „In der Fläche“ reicht es aber nicht, die gleiche Anzahl Plakate wie im dicht besiedelten Norden abzuwerfen. Hier muss aktiv auf die Menschen zugegangen werden, wie beispielsweise auf Sommerfesten örtlicher Vereine und Initiativen.

Teure Kampagne oder Eigenarbeit der Bezirke? 
In Neukölln haben wir ein Jahr vor der Wahl mit der Diskussion um das Bezirksprogramm begonnen. Dazu hatten wir einen Bericht der Fraktion, unsere Bezirksliste, die erfolgreiche Arbeit unserer Jugendstadträtin Gabi Vonnekold heraus stellende Flyer sowie eigene Plakate erstellt. Unsere Infos gingen weg wie geschnitten Brot, kurz vor der Wahl mussten wir reichlich improvisieren, um alle Stände noch mit Material bestücken zu können. Dagegen blieb das Material des LV’s 
„Bückware“. Nebenbei war unser Material - wenn auch schon mal durch nächtliche Sonderschicht - pünktlich fertig und wesentlich preiswerter.

Anordnung statt Mitnahme
Themen und Termine wurden aus der Kommandantur per Telefonkonferenz durchgestellt und nicht mit den Menschen vor Ort entwickelt. Die Orga wurde dem KV gleich mit aufs Auge gedrückt. Aktive aus dem Ostrand der Stadt sollten quer durch die Stadt zu uns nach Neukölln mobilisieren. Der Abstimmungsprozess mit LV und Wahlkampfteam war insgesamt - vorsichtig ausgedrückt - verbesserungsfähig. Kein Wunder, wenn er Einzelne überforderte.

Politik oder Karriere?
Ein neuer Sturm auf und dann hoffentlich auch in das Rote Rathaus gelingt nur, wenn wir wieder alle an einem Strang ziehen. Ich musste erfahren, dass es Menschen in meiner Partei gibt, die ihre persönliche Karriere vor Beschlüssen von Gremien stellen. Ämter und Mandate in unserer Partei werden aber immer noch an die Besten vergeben und nicht durch eine wie immer geadelte Schellberg - Liste. Meine grüne Partei ist bunt. Sie ist groß geworden und wächst weiter, weil sich darin alle Strömungen wieder finden. Wenn wir Beteiligung auf Augenhöhe fordern, müssen wir selbst das leben. Doch es gibt auch bei uns Menschen, denen die Partei Brot gibt. Bei allem Verständnis für persönliche Zukunftsplanung, unsere Ämter und Mandate sind immer noch Wähler_innen- Auftrag und kein Erbhof. Darin unterscheiden wir uns von rot-schwarz.

Der Autor war 2010 – 2011 Mitglied im Vorstand KV Neukölln, Direktkandidat im Wahlkreis 3 von Neukölln und ist jetzt Mitglied der BVV Neukölln