"Entwaffnet die Finanzmärkte" - Nein zu diesem EU-Rettungsschirm

16.12.11 –

von Hans-Christian Ströbele

(Stachlige Argumente, Winter 2011, Nr. 184, Seite 7)

Dem EU-Rettungsschirm habe ich nicht zugestimmt.
Deutschland soll sich daran mit Garantien bis zu 211 Milliarden Euro beteiligen. Mit dem vielen Geld sollen Notmaßnahmen im Euro-Währungsgebiet bezahlt werden. Auch bei der „Hebelung“, mit der Kredite in mehrfacher Höhe der Garantiesumme möglich werden, habe ich mit Nein gestimmt.

 Auch ich will der griechischen Bevölkerung helfen, aus der Krise zu kommen. Auch ich bin grundsätzlich für einen Rettungsschirm. Lieber wäre mir ein drastischer Schuldenschnitt auf Kosten der Banken oder eine geregelte Staatsinsolvenz, die nicht zu Lasten der sozial Schwachen geht. Aber dafür fehlen noch die Regeln im EU-Währungsraum. Sie müssen dringend geschaffen werden. Solange bleibt nur die Hoffnung auf den Rettungsschirm. Sie ist trügerisch. Niemand weiß, ob die Finanzmärkte wirklich beruhigt werden. Inzwischen sind Nachschüsse in Milliardenhöhe nötig, oder die EU-Zentralbank übernimmt die Risiken. Letztlich haften die Steuerzahler der EU. Die Finanzmärkte treiben die Politik vor sich her. Die Risiken in Höhe von Hunderten von Milliarden sind kaum noch zu verantworten.

Nicht zugestimmt habe ich vor allem, weil eine ausreichende parlamentarische Kontrolle fehlt. Zwar sieht das Gesetz vor, dass dann, wenn die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berührt ist, dieser vorher zustimmen muss. Das ist der Fall bei wichtigen Vereinbarungen über eine Notmaßnahme, etwa bei Abschluss von Verträgen und Änderungen des Rahmenvertrages.

Aber bei besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit werden die Rechte des Parlaments von nur neun ausgewählten Abgeordneten wahrgenommen. Der Gesamtbundestag bleibt außen vor. Das droht die Regel zu sein, denn eilbedürftig sind Notmaßnahmen stets. Die Regierung wird dies behaupten oder sich auf Vertraulichkeit berufen. Das tut sie schon jetzt immer, wenn ich frage, etwa, zu welchen Bedingungen vom Staat Kredite und Garantien in Milliardenhöhe an notleidende Banken gegeben wurden. Oder wenn ich die Höhe der Bonuszahlungen an Manager wissen will. Dann beruft sie sich auf Vertraulichkeit und verweigert die Antwort. Ich fürchte, so wird sie in Zukunft auch begründen, warum das Parlament nicht beteiligt werden kann. Nach dem Gesetz bestimmt die Bundesregierung, was eilbedürftig oder vertraulich ist. Das 9er-Gremium kann zwar widersprechen, aber nur mit Mehrheit, also nur mit Stimmen aus der Regierungskoalition.

Nach dem Gesetz sind vorsorgliche Notmaßnahmen zur Rekapitalisierung von Banken oder Ankauf von Staatsanleihen regelmäßig eilbedürftig oder vertraulich. Ausgenommen sind nur Grundentscheidungen, etwa der erstmalige Antrag eines Mitgliedstaates auf Notmaßnahmen. Wenn es um weniger wichtige Entscheidungen geht, reicht die Zustimmung des Haushaltsausschusses. Auch dessen Zustimmung kann bei Eilfällen und Vertraulichkeit das 9er-Gremium ersetzen.

Damit wird das Haushaltsrecht des Parlaments zu stark beschränkt und einem Rumpf-„Parlament“ übertragen. Das will ich mir als Bundestagsabgeordneter nicht gefallen lassen.

Immerhin geht es um Summen in Höhe der Hälfte des Gesamthaushalts des Bundes.

Schlimmer noch, mein Recht auf Unterrichtung darüber, was mit dem Geld der Steuerzahler geschieht, kann in den Fällen besonderer Vertraulichkeit beschränkt werden. Und das über Jahre. Das darf nicht sein. Wie soll ich dann kontrollieren? Ich soll über die Ausgaben der Steuergelder entscheiden. Aber wie das, wenn ich nichts erfahre. Selbst eine vertrauliche Information der Abgeordneten ist nicht vorgesehen.

Ich will nicht, dass ich und 98 Prozent der Abgeordneten unwissend und außen vor bleiben, wenn für den Gesamtstaat existenzielle Entscheidungen getroffen werden.

Inzwischen sieht auch das Verfassungsgericht das Problem und hat die Einsetzung des 9er-Gremiums gestoppt.

Die Finanzmärkte sind nicht das Maß aller Dinge. Sie dürfen nicht die Richtlinien der Politik bestimmen. Dagegen habe ich gestimmt, denn im Wahlkampf hatte ich plakatiert: “Entwaffnet die Finanzmärkte“.
Dabei bleibe ich.

Der Autor ist Mitglied des Deutschen Bundestages