Gemeinsame Sitzung der LAGen Netzpolitik und Medien: Haushaltsabgabe

29.11.12 –

Hagen Brandstäter ist seit dem 5. Mai 2003 Verwaltungsdirektor des RBB, seit Mai 2008 außerdem stellvertretender Intendant des Senders. Er leitet die ARD/ZDF-Arbeitsgruppe ″Rundfunkgebühren″ und stellte sich, trotz seines Geburtstages, den ganzen Abend über den Fragen der anwesenden Mitglieder der beiden Landesarbeitsgemeinschaften.

 

Solidarisch finanzierte ″Flatrate″ für öffentlich-rechtlichen Rundfunk

 Zu Beginn der Sitzung stellte Brandstäter die Haushaltsabgabe vor, die er lieber Rundfunkabgabe nennt und erklärte, warum eine Umstellung auf das neue Modell notwendig war. In Zeiten von Smartphones, Tablets und Laptops hat sich der Konsum der Nutzer_innen von Medienangeboten stark verändert. Auf Empfansgeräte wie Fernseher oder Radios allein, ist die Nutzung öffentlich-rechtlich finanzierter Inhalte kaum noch zu begrenzen. Auch die Anzahl der verschiedenen Empfangsgeräte hat sich erhöht. Viel mehr werden Medien verstärkt über Apps genutzt, von denen es bereits eine große Auswahl der öffentlich-rechtlichen Sender für die verschiedenen Plattformen mobiler Endgeräte gibt (Beispiel: RBB-Apps für Android). Die Reform der Rundfunkgebühren hat deshalb eine solidarisch finanzierte und einfach gestaltete Abgabenordnung als Ziel gehabt. Laut Brandstäter stellt die Rundfunkabgabe eine Art Flatrate dar, mit der die pauschale Nutzung öffentlich-rechtlicher Medienangebote abgegolten ist. Für ihn ist die Abgabe pro Haushalt und nicht mehr pro Gerät eine zeitgemäße Form der Finanzierungsgrundlage.

Sinn der Solidarfinanzierung ist, dass sich alle Menschen unserer Gesellschaft an der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Angebots beteiligen. Nur so kann laut Brandstäter, ein unabhängiges und hochwertiges, wie auch streitbares, Angebot ermöglicht werden. Das dies zur Zeit nicht immer der Fall ist, machten die deutlichen Nachfragen der LAG-Mitglieder deutlich. Auch Brandstäter weiß, dass die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sinkt, was seiner Meinung nach historisch bedingt ist. Auch das veränderte Nutzungsverhalten im Bezug auf Informationen hat seiner Ansicht nach etwas damit zu tun. Trotzdem stellt das Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender ein Angebot für die gesamte Bevölkerung dar. Für über 90 Prozent der Nutzer_innen wird sich laut Brandstäter auch nichts ändern. Mehr zahlen werden ab dem 1. Januar 2013 Nur-Hörfunkteilnehmer_innen (ab 2013 keine Differenzierung mehr, volle Rundfunkbeitrag zu zahlen) und Internetnutzer_innen (bisher 5,76 Euro). Wichtig ist, dass der Rundfunkbeitrag für den Besitz einer Wohnung bezahlt wird und nicht auf einzelne Geräte bezogen. Die Umstellung wird für die meisten Menschen automatisch erfolgen, alle anderen werden per Post benachrichtigt.

 

Schwarzer Konsum″ und Beitragsbefreiung

 Mit dem nicht-bezahlten Konsum von Medienangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Barrierefreiheit der Angebote, sprach Brandstäter zwei bekannte Probleme an, von denen Ersteres in Berlin von besonderer Ausprägung ist. In Berlin ziehen die Menschen laut Brandstäter am häufigsten um, Wohngemeinschaften, ehe-ähnliches Zusammenleben und Familien, in denen Kinder bereits ein eigenes Einkommen haben, sind in der Bundeshauptstadt besonders verbreitet. Eine genaue Differenzierung ist deshalb schwer, wäre nach dem bisherigen Modell aber überhaupt nicht mehr möglich gewesen. Aber auch im neuen Modell der Solidarfinanzierung der Rundfunkgebühr wird es Befreiungsmöglichkeiten geben.

Zur Zeit liegt die Befreiungsquote von Fernsehern bei 15,5 Prozent, was bedeutet, dass nur noch jedes sechste oder siebente Ferngerät in Berlin angemeldet ist. Sollte diese Quote unter 10 Prozent gesenkt werden, würde das laut Brandstäter Mehreinnahme für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages ausmachen. Das dies erreicht wird, erscheint allerdings auf Grund der Situation des Arbeitsmarktes in Berlin schwierig. Bezug von Arbeitslosengeld II ist der häufigste Grund für eine Befreiung von der Rundfunkgebühr. Auch die zunehmende Zahl an älteren Menschen in der Bevölkerung führt zu einem Anstieg der Beitragsbefreiung auf Grund der Grundsicherung im Alter.

 

Barrierefreiheit von Angeboten

 Eine Befreiung auf Grund schwerer Behinderungen ist im auf die Wohnung bezogenen Modell nicht mehr möglich. Dies ist allerdings keine Idee der öffentlich-rechtlichen Sender gewesen, wie Brandstäter erklärte, sondern basiert auf einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2000 (B 9 SB 2/00 R) in dem es heißt, dass ″ein durch Gebührenbefreiung ausgleichbarer Mehraufwand behinderter Rundfunk- und Fernsehteilnehmer kaum je entstehen dürfte, weil die deutsche Bevölkerung unabhängig von Behinderungen nahezu vollständig Rundfunk hört und fernsieht […] Der Senat sieht deshalb in der Gebührenbefreiung für Behinderte einen Verstoß gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der verhältnismäßigen Gleichbehandlung aller Nutzer […]″. Menschen mit Behinderungen, die ausreichend Einkommen haben, müssen aber lediglich einen Drittelbeitrag von 5,99 Euro zahlen. Wer aber physisch nicht in der Lage ist, die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunk wahrzunehmen, sowie Empfänger_innen von Blindenhilfe und Sonderfürsorgeberechtigte, ist grundsätzlich von der Beitragspflicht befreit.

Brandstäter erklärte zum Thema Barrierefreiheit, dass sich die ARD und das ZDF dazu verpflichtet hätten und bereits jetzt schon fast 50 Prozent der Sendungen in der ARD mit Untertitel ausgestattet sind. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) bietet ab 2013 alle regionalen Informationssendungen zwischen 18 Uhr und 22 Uhr untertitelt an. Zusätzlich wird die Zahl der ausgestrahlten Hörfilme erhöht um rund 50 Prozent erhöht. Der MDR hat damit einen wichtigen Schritt zur stufenweisen Anhebung der Untertitelungsquote bis 2016 auf mindestens 75 Prozent geschafft. Auch andere öffentlich-rechtliche Sender bemühen sich, eine weitgehende Barrierefreiheit ihrer Programmangebote für Hör- und Sehgeschädigte anzubieten.

 

Grüne Kritik am Meldedatenabgleich

 Insgesamt ist Hagen Brandstäter optimistisch, dass durch die Umstellung auf die Rundfunkabgabe die Einnahmeseite des RBB stabil bleiben wird und die Befreiungsquote nicht weiter ansteigt. Laut der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) ist eine Erschließung neuer bisher nicht erfasster Haushalte in Berlin, wo die Hälfte aller RBB-Nutzer_innen wohnen, möglich. Bis zu 20 Prozent mehr Haushalte könnten nach internen Schätzungen erfasst werden (Vergleich: in Brandenburg sind jetzt bereits rund 92 Prozent aller Haushalte registriert). Dafür ist aber ein einmaliger Meldedatenabgleich nötig, in dem aufgeteilt auf vier Tranchen über 69 Millionen Bürger_innen über 18 Jahre erfasst werden müssen. Die GEZ geht im Anschluss an den Meldedatenabgleich von noch einmal 15 Millionen Klärungsfälle aus, weshalb die GEZ personell noch nicht verkleinert werden kann. Die medienpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Tabea Rößner, kommentierte dies sehr kritisch. Zwar seinen die Grünen schon immer Unterstützer_innen einer solidarisch finanzierten Haushaltsabgabe gewesen, den Aufbau einer derartigen ″Datenkrake″ lehnt die Partei und die Fraktion aber strikt ab. Brandstäter versicherte, dass die Umstellung und der Meldedatenabgleich in enger Zusammenarbeit mit den Datenschutzbeauftragten der Länder Berlin und Brandenburg erfolgte und diese bisher nichts zu beanstanden hatten.

Auf die Nachfrage, wieso denn kaum (vernünftige) Politikmagazine produziert werden, gleichzeitig aber Millionenbeträge im dreistelligen Bereich für Berichterstattung von Sportveranstaltungen wie Fußball und Olympia ausgegeben werden, verwies Brandstäter auf den Wunsch der Zuschauer_innen danach. Auf diese Art kann sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein neues Klientel erschließen und die Lead-In-Effekte auf Sendung nach Sportveranstaltungen sind enorm. Tabea Rößner kritisierte die ″7-Tage-Regelung″ für die Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die auch Brandstäter als nicht mehr zeitgemäß bezeichnete. Hier spielte er aber den verbalen Ball zurück und verwies darauf, dass nur die Bundespolitik das ändern könnte, er sich aber auch bewusst ist, dass Bündnis'90/Die Grünen das seit langem fordert. Brandstäter sagte, dass der RBB als Sender diese Regelung gerne ignorieren würde, die Hausjurist_innen aber dieses Ansinnen auf Grund der Gesetzeslage stoppen.

Die beiden Landesarbeitsgemeinschaften Medien und Netzpolitik empfanden die über zwei Stunden angeregte Diskussion mit Hagen Brandstäter und Daniel Bärmann als sehr informativ. Auch die Durchführung gemeinsamer Sitzung bei Themen von beiderseitigem Interesse sollen in Zukunft öfters stattfinden.