Gewerbemieten in Berlin begrenzen - Grundversorgung im Kiez sicherstellen

06.12.16 –

Nicht nur die Mieten für Wohnungen steigen immer weiter, auch die Gewerbemieten werden immer teurer. Das stellt zunehmend kleine Gewerbetreibende und Einzelhändler*innen vor große Probleme. Aber auch immer mehr soziale Träger und Vereine haben Schwierigkeiten, noch bezahlbare Flächen zu finden oder ihre bestehenden Räume weiter zu finanzieren.

Seit Jahren werden in vielen beliebten und gut besuchten Kiezen Berlins die Gewerbeflächen immer lukrativer. Eine Entwicklung, die insbesondere in innerstädtischer Lage zu beobachten ist. Häufig versuchen Immobilieneigentümer*innen aus der gestiegenen Attraktivität der Kieze Kapital zu schlagen. Immer öfter bestimmen Renditeerwartungen das Handeln. In der Folge kommt es zu steigenden Gewerbemieten und einem Verdrängungswettbewerb. Erfahrungsgemäß gewinnen meist nicht die kleinen, seit langem im Kiez verwurzelten Geschäfte, sondern neue zahlungskräftigere Gewerbemieter*innen. Besonders in stark von Besucher*innen frequentierten Kiezen droht die Herausbildung von Monostrukturen – häufig von gastronomischen Einrichtungen dominiert – die sich nicht mehr am Alltagsbedarf der Bewohner*innen, sondern an der kurzfristigen Nachfrage der Besucher*innen ausrichten. Derzeit ist das Schlagwort der wachsenden Stadt in aller Munde. Dazu gehört aber nicht nur neuer Wohnraum. Eine wachsende Stadt braucht auch eine entsprechende Infrastruktur.

Das Beispiel des Gemüsegeschäfts Bizim Bakkal steht sinnbildhaft für diese negative Entwicklung. Nach 28 Jahren wurde dem Familienbetrieb im Kreuzberger Wrangelkiez durch die neuen Hauseigentümer gekündigt. Bewohner*innen und Bezirkspolitik haben sich für den Erhalt eingesetzt. Das Bündnis Bizim Kiez („Unser Kiez“) gründete sich und konnte erreichen, dass die Kündigung wieder zurückgenommen wurde – zumindest vorerst. Längst geht es nicht mehr „nur“ um ein Gemüsegeschäft, sondern um den Kampf für den Erhalt gewachsener, lebendiger Kiez-Strukturen und gegen Verdrängung. Und längst sind Kieze in der ganzen Stadt mit ähnlichen Entwicklungen konfrontiert.

Besonders negativ ist auch die Entwicklung für soziale Träger, Vereine oder Kinderläden und Kitas. In immer mehr Kiezen müssen sie ihre oft seit Jahrzehnten genutzten Räume aufgrund immer weiter steigender Mieten verlassen. Insbesondere für soziale Träger und Projekte kommt das Problem hinzu, dass sie aufgrund von der Abhängigkeit von Projektfinanzierungen mit oft kurzer Laufzeit keine langfristigen Mietverträge abschließen können und so bei steigender Konkurrenz auf dem Gewerbemietmarkt weiter ins Hintertreffen geraten.

In immer mehr Kiezen ist eine Erosion der sprichwörtlichen „Berliner Mischung“ zu beobachten – eine Funktionsmischung, die nicht nur für Urbanität, sondern auch für städtische Lebensqualität steht. So besteht die Gefahr, dass ganze Stadtteile nicht mehr oder zumindest nicht mehr ausreichend mit verbrauchernahen Waren und Dienstleistungen, sozialen und kulturellen Einrichtungen versorgt werden. Die über viele Jahre gewachsene Mischung sowie die oft kleinteiligen Gewerbestrukturen gehen verloren. Hinzu kommt, dass das Gewerbemietrecht keine Schutzklauseln vergleichbar zum Mietrecht für Wohnraum vorsieht. So gibt es z.B. keine gesetzlichen Vorschriften zur Miethöhe und die Kündigung ist ohne Angabe von Gründen oft innerhalb kürzester Zeiträume möglich. Aus grüner Sicht ist die Einführung von Gewerbeschutzregelungen und stadtentwicklungspolitischen Instrumenten für Ballungsgebiete wie Berlin längst überfällig. Nur so können vielfältige Kiezstrukturen und die Grundversorgung geschützt werden, um die Lebensqualität unserer Stadtteile attraktiv zu halten.

Hier werden dringend Konzepte benötigt, um den bereits eingesetzten Verdrängungsprozess zu stoppen:

  • Berlin braucht eine Bedarfsanalyse, wie es um das Gewerbe in der Stadt steht und welche Bedarfe in welchen Kiezen gedeckt werden müssen oder in den kommenden Jahren zu erwarten sind. Analog zu einem Kulturkataster braucht es auch eine Art Gewerbeatlas, der Potentiale und Bedarfe benennt. Dabei sollen neben der Nachfrageentwicklung auch Komponenten wie der Zuzug, der demographische Wandel, die Geburtenrate, und vieles mehr mit einbezogen werden.
  • Milieuschutz für Gewerbe: Für den Erhalt bestehender vielfältiger Gewerbestrukturen fehlt es an stadtentwicklungspolitischen Instrumenten. Zwar bietet die Baunutzungsverordnung für Wohngebiete eine schwer anzuwendende Möglichkeit, die Häufung gastronomischer Einrichtungen zu verhindern - in Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg wurde sie bereits genutzt. Auch sie ist allerdings höchstens eine Notlösung statt einer echten Interventionsmöglichkeit. Ein vergleichbares Instrument fehlt aber vollständig für andere Baugebiete, wie z.B. Mischgebiete. Es braucht daher eine Initiative auf Bundesebene, um geeignete Steuerungsinstrumente zu implementieren. In bestehenden Milieuschutzgebieten soll Gewerbe besonders geschützt werden können. Denn zum Schutz der sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung gehört auch eine funktionierende, soziale Infrastruktur und Grundversorgung. Denkbar sind auf den jeweiligen Gebietscharakter abgestimmte Nutzungsmischungen, die bei Neuvermietungen eingehalten werden müssen sowie Mietobergrenzen. Diese müssen in Milieuschutzgebieten sowohl für Gewerbe-, als auch für Wohnmieten durch neu zu setzendes Bundesrecht ermöglicht werden.
  • Wo möglich, soll bestehende und zukünftig benötigte soziale Infrastruktur auch baurechtlich gesichert werden. Bei Neubauvorhaben soll möglichst die Erdgeschossetage für Gewerbe und soziale Infrastruktur sowie kulturelle Zwecke vorgehalten werden. Die gewerblich genutzten Erdgeschosse sind die Voraussetzung für die lebendigen Berliner Kieze, wie wir sie kennen.
  • Seitens der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften soll ein Bündnis für bezahlbare Gewerbemieten gegründet werden. Bei Vermietung der Gewerberäume soll der Schwerpunkt auf Nahversorgung, inhabergeführter Einzelhandel, soziale Träger sowie Gründer*innen und Coworking-Spaces liegen.
  • Um insbesondere sozialen Trägern und Projekten, Kinderläden oder Kitas die Nutzung von Räumen zu erleichtern, kann eine Anmietung durch eine Gewerbevermittlungsagentur auf Landes- oder Bezirksebene erfolgen, die längerfristige und somit zumeist günstigere Mietkonditionen erreicht und als Generalmieter weitervermietet. Gleichzeitig ist ein Hilfsfonds zu prüfen, der Mietzuschüsse für diese Nutzer*innengruppe zur Verfügung stellt, um sie vor Verdrängung durch stark erhöhte Mietforderungen zu schützen.
  • Ähnlich den finanziellen Überbrückungshilfen für straßenbaugeschädigte Gewerbetreibende und anlehnend an entsprechende Regularien (keine Inanspruchnahme durch Einzelhandelsketten, keine Mitnahmeeffekte, Nachweis der Hilfebedürftigkeit etc.) soll ein neuer Hilfefonds bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft für Gewerbetreibende geschaffen werden, deren Existenz aufgrund von nicht marktüblichen Mietsteigerungen ernsthaft gefährdet ist und der temporär unterstützende Leistungen bereitstellt.
  • Wir wollen spekulativen Leerstand auch von Gewerbe bekämpfen. Leerstand ab sechs Monaten sollte genehmigungspflichtig werden. Denn während immer mehr soziale Träger und Gewerbetreibende nach Räumen suchen, gibt es Eigentümer, die aufgrund erhöhter Gewinnerwartung ihre Räume leer stehen lassen und dies obendrein auch steuerlich abschreiben können.
  • Wir wollen den Kündigungsschutz für Gewerbemieter*innen deutlich ausbauen. Dazu fordern wir vom Land Berlin eine Bundesratsinitiative. In Zukunft sollen Vermieter*innen nicht ohne Kündigungsgrund und nicht allein aufgrund von wirtschaftlichen Interessen kündigen können. Das Prinzip „Eigentum verpflichtet“ sollte auch für den Gewerbebereich gelten. In Gebieten mit angespanntem Gewerbemietmarkt soll es daher den Bundesländern in Zukunft möglich sein, Rechtsverordnungen zu erlassen, um vielfältige Gewerbestrukturen und die Versorgung der Wohnbevölkerung Angebote der Grundversorgung und sozialer Infrastruktur sicherzustellen.
  • Analog zum Mietspiegel für Wohnungen setzen wir uns auf Bundesebene dafür ein, dass Kommunen mit angespanntem Gewerbemietmarkt einen Gewerbemietspiegel einführen können, mit dem kiezgenau bzw. nach Lage alle zwei Jahre Mietobergrenzen festgelegt werden. Auch bei Wiedervermietung soll eine Mietpreisbremse für einen moderaten Gewerbemietpreis sorgen. Das ist sicherlich eine schwierige Aufgabe, die langen Atem erfordert, aber angesichts der zunehmenden Problematik längst angebracht