Große Tombola um einen Kita-Platz

21.12.11 –

von Tine Hauser Jabs, Susanne Hellmuth, Dominique Heyberger, Anna Sophie Luck, Claudia Lukas

(Stachlige Argumente Winter 2011, Nr. 184, Seite 46)

In Berlin fehlen 23.000 Kita-Plätze.
Friedrichshain-Kreuzberg ist als innerstädtischer Bezirk besonders betroffen. Der Senat wirbt für Kita-Gutscheine und Beitragsfreiheit - ein Hohn für Eltern auf der Suche nach einem Kita-Platz.

Es war einmal eine berufstätige Frau, die sich mit ihrem Partner eine eigene Familie wünschte. Dem schien zunächst nichts im Wege zu stehen – war es in ihrer Gesellschaft doch Usus, dass Frauen ihr Leben selbst bestimmen, berufstätig sind oder studieren, und zwar mit oder ohne Kinder. Zudem regierte in ihrer Stadt ein Senat, der es ganz besonders gut mit jungen Familien zu meinen schien: berufstätig sein UND Kinder haben – gar kein Problem! – so war das öffentliche Credo. Ein System mit Kita-Gutscheinen wurde eingeführt, um die frühkindliche Bildung beitragsfrei zu halten. Der Bürgermeister forderte insbesondere Eltern aus sozial benachteiligten Gruppen oder mit Migrationshintergrund explizit dazu auf, ihre Kinder frühzeitig in die Kita zu bringen, um Sprachdefizite zu vermeiden. Und schließlich gab es ja noch das Elterngeld, um finanzielle Einbußen abzufangen.

Diese scheinbar märchenhaft-familienfreundlichen Bedingungen ergeben in der Realität jedoch ein ganz anderes Bild: In den meisten Kitas in Friedrichshain-Kreuzberg gibt es Wartelisten mit über hundert Personen. Inzwischen melden sich Eltern bereits während der Schwangerschaft in den Betreuungseinrichtungen an.

Einige Kitas hingegen verlangen eine inoffizielle Aufnahmegebühr von mehreren hundert Euro – ein eklatanter Widerspruch zur vom Senat beworbenen Beitragsfreiheit! Und schließlich gibt es in vielen Einrichtungen Probestunden: Ein Wettbewerb zwischen Kindern bei dem die Kita-Leitung aussucht, welches der Kinder am besten zur Kita passt.

Unter diesen Bedingungen sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien vom Kita-Platz-Mangel besonders betroffen. Die Kinder also, die nach Ansicht der Berliner Regierung einen Kitaplatz eigentlich am dringendsten benötigen.

Verantwortlich für diese Missstände ist vor allem der bis 2011 regierende Berliner Senat: Obwohl es bereits seit 2006 Anzeichen gab, dass zukünftig viele Kitaplätze fehlen, wurde lieber in die Beitragsfreiheit statt in den Ausbau der Kitas investiert und damit ein dramatischer Mangel mit über 23.000 Plätzen verursacht.

Ab 2013 haben auch Kinder, die jünger als drei Jahre sind, das Recht auf einen Kitaplatz. Niemand kann abschätzen wie viele Plätze dann fehlen werden.

Die Konsequenzen sind dramatisch: Viele Familien – insbesondere gering verdienende oder alleinerziehende Eltern – droht der Verlust des Arbeitsplatzes und sie sind auf Transferleistungen angewiesen. Soziale Segregation, das Auseinanderfallen der Stadt in Arm und Reich, wird begünstigt. Und obwohl sich die Rolle der Väter in den letzten Jahren erfreulich gewandelt hat, sind es nach wie vor in erster Linie die Frauen, die von finanziellen Einbußen betroffen und in ihrem Recht auf Erwerbstätigkeit eingeschränkt werden. Hätte eine erzkonservative Regierung Tausende von Frauen aus ihrem Erwerbsleben gewiesen, wäre eine Welle der Empörung durch die Stadt gegangen. So aber, auf dem Schleichweg der fehlenden Kitaplätze, blieb dies alles viel zu lange unbemerkt.

Um dieser Thematik ein persönlicheres Gesicht zu geben, entschlossen wir uns, die Beteiligten über Interviews selbst zu Wort kommen zu lassen und ihren Forderungen an den Senat eine Stimme zu geben.