Interview mit Harald Moritz (MdA Bündnis 90/Die Grünen) zu 25 Jahre Mauerfall in Berlin

07.11.14 –

 

Wie hast Du den 9. November 1989 erlebt?

HARALD: Wie üblich in jenen Tagen, habe ich alle Nachrichtensendungen verfolgt. Auch die Aktuelle Kamera, die ich sonst nie gesehen habe. So habe ich auch die Pressekonferenz mit der Aussage von Schabowski gesehen, dass eine neue unbeschränkte Reiseregelung sofort in Kraft tritt. Das war dann faktisch der Mauerfall. Ich bin mit meiner Familie am nächsten Tag über den Übergang Oberbaumbrücke nach Westberlin gegangen und zu meinen Eltern gefahren.

Welche Ereignisse der damaligen Wochen und Monate sind Dir besonders in Erinnerung geblieben, weil sie Dich politisch und persönlich nachhaltig geprägt haben?

HARALD: Da muss ich mal etwas weiter ausholen. Während meiner Bausoldatenzeit (1983-85) bin ich zu der Erkenntnis gekommen: Wenn sich was in der DDR ändern soll, musst du selbst auch was tun. Dass dies ging, auch ohne gleich verfolgt zu werden, haben mir die Lebenswege einiger Bausoldatenkollegen gezeigt. Nach meiner Bausoldatenzeit habe ich mich dann einer Friedensgruppe in meiner Kirchengemeinde angeschlossen. Die war aber gerade durch die Stasi „zersetzt“ worden und wir haben dann in Oberschöneweide mit dem Friedenskreis „PRO“ einen Neuanfang gemacht.

Ein weiteres wichtiges Ereignis für mich war die Liebknecht-Luxemburg-Demo am 17.Januar 1988, bei der es zu einer Verhaftungswelle von Oppositionellen kam, welche mit eigenen Plakaten an der Demo teilnehmen wollten. Die zahlreichen Teilnehmer an den Mahnandachten und anderen Solidaritätsaktionen für die Verhafteten haben mir gezeigt, dass man nicht allein ist; und dass die Oppositionsbewegung, so zersplittert sie war, lebt und zusammen hält. Mit dieser Aktion hatte der SED-Machtapparat seine Zersetzungstätigkeit fortgesetzt und wollte durch dieVerhaftungen, Abschiebungen nach dem Westen, Verurteilungen und Freilassungen Angst und Zwietracht in den Reihen der Opposition säen. Einen der Abgeschobenen kannte ich persönlich aus unserer gemeinsamen Arbeit in Oberschöneweide.

Ein weiterer Meilenstein war die „Begleitung“ der gefälschten Kommunalwahl vom Mai 1989. Da haben wir als PRO im Vorfeld der Wahlen Aktionen gemacht, die Wahlauszählung in den Wahllokalen beobachtet und die Zahlen zusammengetragen. Hinterher haben wir ein eigenes neues Wahlgesetz geschrieben und im September 1989 im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltungen vorgestellt.

Wie beurteilst Du den Prozess der Einheit rückblickend?

HARALD: Der Prozess der Wiedervereinigung war nach dem 9. November 1989 vorprogrammiert. Das zeigte die hunderttausendfache Teilnahme an der Alexanderplatz-Demo am 4. November 1989 vor dem Fall der Mauer im Gegensatz zur nur wenige Tausend zählende Teilnahme an der nächsten groß geplanten Demo nur zwei Wochen später. Die Wandlung des Slogan „Wir sind das Volk“ in „Wir sind ein Volk“ oder spätestens das Versprechen „Die D-Mark kommt“ machte einen „Dritten Weg“ vollkommen illusorisch. Im Nachhinein glaube ich, dass es trotz vieler Fehler und Ungerechtigkeiten,die noch heute bei vielen Menschen im Osten nachwirken, der richtige Weg war. Die Menschen in der DDR wollten keine Experimente mehr, sie wollten die Freiheit, Wohlstand und natürlich all die materiellen Güter, welche der Westen zu bieten hatte.

Dieser Prozess zeigt für mich, dass wir immer mit dem „Egoismus“ der Menschen rechnen müssen. Unsere guten Ideen und Ziele können wir nur umsetzen, wenn es uns gelingt die Menschen davon zu überzeugen, dass es für sie persönlich von Vorteil ist. Der Slogan „Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter“ zeigt, dass wir schon damals gelegentlich besonders abgehoben waren. Das blieb dann ja auch nicht ohne Folgen.

Wie beurteilst Du den Prozess der Vereinigung vom Bündnis 90 und Die Grünen aus dem heutigen Blickwinkel?

Der Prozess war für mich wichtig und richtig. Ich freue mich, dass wir als einzige Partei nicht den Weg der Einverleibung von Bündnis 90 in die Grünen gegangen sind, sondern etwas neues Gemeinsames entstanden ist, das sich sichtbar im Namen der Partei wiederspiegelt.

Vielen Dank für das Interview!

Kurzbiographie

Harald Moritz (Jahrgang 1957), lebt seit 1977 in Alt-Treptow und ist Vater eines erwachsenen Sohnes. Nachdem er bereits in den 1980 Jahren in kirchlichen Gruppen in der DDR mitwirkte, schloss er sich 1989 dem Neuen Forum an. Nach der Wiedervereinigung war er von 1990-1999 für Bündnis 90/Die Grünen Bezirksverordneter in Treptow und von 1999-2006 Bezirksgruppensprecher von Treptow-Köpenick. Anschließend als Mitarbeiter der BVV-Fraktion für Verkehr und Stadtplanung tätig, zog er im Oktober 2011 ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Harald Moritz ist verkehrspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Untersuchungsausschuss zum BER-Debakel sowie des Petitionsausschusses. Daneben engagiert er sich in mehreren Orts- und Bürgerinitiativen (BISS, KungerKiezInitiative e.V.).