It´s the strategy, stupid!

19.12.11 –

von Katrin Schmidberger

(Stachlige Argumente Winter 2011, Nr. 184, Seite 20f.)

Der Wahlkampf in Berlin war ein Novum in der grünen Geschichte. Erstmals haben wir Grünen Anspruch auf das Bürgermeisteramt erhoben. Auch wenn wir uns damit eine blutige Nase geholt haben, er war richtig! Nicht unsere Wahlziele waren das Problem, auch nicht unsere Kandidatin, sondern unsere Wahlkampfstrategie. Hier muss die Fehlersuche beginnen.

Hinter dieser Strategie stand ganz offensichtlich die Idee, neben den Grünen StammwählerInnen und den rot-grünen WechselwählerInnen Zugewinne aus dem konservativen-bürgerlichen Lager zu erzielen. Nur diese Orientierung würde es uns erlauben, vor der SPD zu landen, so das Kalkül. Auf dieses WählerInnenpotential wurden sowohl die Wahlkampfstrategie als auch die Inhalte ausgerichtet.

Der Versuch ging gründlich schief. Warum?

Berlin ist nicht Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg war es den Grünen in der Tat gelungen, signifikant vormalige WählerInnen der CDU für sich zu gewinnen. Berlin ist dagegen eine linksalternative Stadt. 2006 holten CDU und FDP  zusammen gerade noch 28,9 Prozent. Das linke Lager kam auf doppelt so viele Stimmen. Aus diesem auf seinen harten Kern zusammengeschmolzenen konservativen Lager gab es für uns keine Stimmen zu holen. Und in der Tat: haben wir nur 2000 Stimmen von CDU und FDP hinzugewonnen. Cool waren die Anderen!

Vor allem aber hat uns die Fokussierung auf vermeintlich bürgerliche Wähler aus der Mitte in den inhaltlich angepasstesten, optisch biedersten Wahlkampf getrieben, den Grüne je irgendwo unternommen haben. Die mangelnde inhaltliche Zuspitzung und die langweiligen Wahlkampfplakate waren aber kein Unfall. Sie waren die logische Konsequenz einer verfehlten Strategie.

Die Koalitionsdebatte

Vor diesem Hintergrund konnte die Koalitionsdebatte ihr volles destruktives Potential entfalten. Mit verwaschenem Profil und dem unbedingten Willen, die Regierende Bürgermeisterin zu stellen, musste die Grün-Schwarz Debatte mit aller Macht kommen, sobald wir in den Umfragen hinter die SPD rutschten. Hätten wir uns inhaltlich klarer links verortet, Ecken und Kanten gezeigt und die eine oder andere inhaltliche Provokation gewagt (und durchgestanden), die Koalitionsdebatte wäre völlig anders verlaufen. So aber musste für viele Wähler der Eindruck entstehen, die Grünen könnten und würden im Zweifel mit jedem koalieren - mit fatalen Folgen.

Und jetzt?

Wir Grüne haben in Berlin ein großes Potential, das wir leider nicht ausgeschöpft haben: Zu wenig haben wir unsere Stammwähler umworben, zu sehr haben wir Rot-Grüne Wechselwähler verunsichert und zu unattraktiv waren wir für Nichtwähler. Damit haben wir en passant auch den Weg für die Piraten freigemacht.

All dies haben wir uns selbst und unserer falschen Strategie zuzuschreiben. Gleichzeitig bedeutet dies jedoch auch: Da geht noch mehr! Dafür müssen wir uns aber anders mit der Frage auseinandersetzen, wie grünes Wachstum gelingen soll? Im Wahlkampf haben wir auf diese Frage die „Palmer“ - Antwort gegeben: „Wachsen durch Anbiedern“. Wir haben versucht, uns selbst als bürgerliche Opposition zu positionieren, indem wir auf vermeintlich „harte“ Themen wie Wirtschaft und Innere Sicherheit gesetzt haben. All dies ging auf Kosten einer im Kiez verankerten und auf offensive Konfrontation setzenden Politik. Wir haben uns damit selbst beschnitten und uns ohne Not leidenschaftliches und lustvolles Campaignen untersagt.

Dies hat aber nichts mit einer vermeintlichen Rückentwicklung zur Alternativen Liste der 80er Jahre zu tun, wie es Ramona in ihrem Tagesspiegel - Artikel Anfang Dezember formuliert hat. Dies sind veraltete Kategorien, die ich nicht bedienen will. Aber mehr grüner Charakter, mehr Provokation, mehr grüne Originalität als im Wahlkampf und in den letzten fünf Jahren. – das will ich sehr wohl.

Die Autorin ist Mitglied im Abgeordnetenhaus