LAG-Beschluss vom 30.07.2020: Gesetz zur Kontrolle der Berliner Verfassungsschutzbehörde

10.08.20 – von lag.demokratie –

Im Wahlprogramm zur Abgeordnetenhauswahl 2016 haben die Grünen bereits die mittelfristige Abschaffung des Verfassungsschutzes gefordert. Bis dahin halten wir kurzfristig umzusetzende Maßnahmen für erforderlich, um die Kontrolle und Transparenz des Verfassungsschutzes in Berlin zeitnah zu verbessern.

Denn:

Staatliche Eingriffe in Grundrechte sind grundsätzlich durch ein offenes Vorgehen gegenüber den betroffenen Menschen gekennzeichnet. Dies ermöglicht den Betroffenen, individuellen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen und den Eingriff von unabhängigen Gerichten überprüfen zu lassen. Für das Handeln des Verfassungsschutzes sind dem hingegen vielfältige verdeckte Maßnahmen kennzeichnend, von denen Betroffene (zunächst) keine Kenntnis erhalten. Das Prinzip, dass der demokratische Rechtsstaat keine kontrollfreien Räume duldet, muss jedoch auch hier gelten. Da Betroffene kaum individuellen Rechtsschutz suchen können, muss die parlamentarische Kontrolle umso intensiver ausgestaltet sein. Dem wird die bisherige Rechtslage in Berlin nicht gerecht.

Zudem stellen wir fest, dass die Kontrolle der Nachrichtendienste zwischen den Kontrollinstanzen von Bund und Ländern zersplittert ist. Es gibt keine organisierte Rückkoppelung um länderübergreifendes Agieren der Nachrichtendienste koordiniert zu kontrollieren. Auch die Kontrolle der 
Zusammenarbeit der Nachrichtendienste mit anderen (Sicherheits-)Behörden - wie etwa der Polizei - stößt bislang an enge rechtliche Grenzen.

Um die Kontrolle des Verfassungsschutzes in diesen Bereichen zu stärken, fordern wir ein Gesetz zur Kontrolle der Berliner Verfassungsschutzbehörde. Dieses soll zumindest folgende Kernelemente enthalten:

(Länder-)Übergreifende Kontrolle gesetzlich verankern

Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern arbeiten regelmäßig eng zusammen. Diese koordinierte Zusammenarbeit der Behörden erfordert eine ebenso koordinierte übergreifende parlamentarische Kontrolle. Die Gremien zur Kontrolle der Nachrichtendienste von Bund und Ländern müssen daher das Recht erhalten, das Handeln der Nachrichtendienste anderer Länder oder des Bundes zu kontrollieren, soweit ein Bezug zum eigenen Land besteht. Um dieses Recht abzusichern, müssen die Nachrichtendienste gesetzlich verpflichtet werden, diese (länder-)übergreifende Kontrolle zu unterstützen. Hierzu zählt insbesondere die Pflicht, den Kontrollorganen Informationen zur Verfügung zu stellen.

Zudem muss gesetzlich klargestellt werden, dass ein gemeinsamer Austausch der Mitglieder des Ausschusses für den Verfassungsschutz mit den Mitgliedern der entsprechenden Gremien von Bund und Ländern zulässig ist. Zwischen den mit der objektivrechtlichen Kontrolle betrauten Kontrollinstanzen muss untereinander ein offener und unmittelbarer Austausch gewährleistet sein (vgl. BVerfGE 133, 277 <370 Rn.216>). Nur so ist eine wirksame und kohärente Kontrolle gewährleistet. Da diese Gremien jeweils gleichermaßen zur Vertraulichkeit verpflichtet sind, fordern wir den Einsatz für regelmäßige gemeinsame Treffen aller Kontrollinstanzen von Bund und Ländern zum gemeinsamen Informations- und Erfahrungsaustausch.

Zudem halten wir es für notwendig, gesetzlich klarzustellen, dass sich die Kontrollzuständigkeit des Ausschusses auf die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörde mit anderen Behörden sowie auf die ministerielle Dienst- und Fachaufsicht erstreckt.

Recht zu Eingaben

Verfassungsschutzämter sind ihrem Wesen nach durch ein hohes Maß an Geheimhaltung gekennzeichnet. Für eine effektive Kontrolle ist es somit unabdingbar, dass Mitarbeitende der Behörde bei Missständen die Möglichkeit haben, diese bekannt zu machen. Angehörigen der Nachrichtendienste muss es daher gestattet sein, sich in dienstlichen Angelegenheiten sowie bei innerdienstlichen Missständen ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an den Ausschuss für Verfassungsschutz zu wenden. Wegen der Tatsache der Eingabe dürfen sie nicht dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden. Der Ausschuss für Verfassungsschutz übermittelt die Eingaben dem Senat zur Stellungnahme. Es gibt den Namen der mitteilenden Person nur bekannt, soweit dies für eine Aufklärung des Sachverhalts erforderlich ist.

Unterstützung der Mitglieder des Ausschusses für Verfassungsschutz

Um die Mitglieder des Ausschusses für Verfassungsschutz zu unterstützen, wollen wir das Amt eines oder einer ständigen Bevollmächtigten mit eigenem Arbeitsstab schaffen, die oder der vom Ausschuss ernannt wird und von diesem Arbeitsaufträge erteilt bekommt. Der oder die ständige Bevollmächtigte ersetzt die Kontrolltätigkeit des Ausschusses für Verfassungsschutz nicht, sondern ergänzt diese und arbeitet dem Ausschuss weisungsabhängig zu. So bleibt sichergestellt, dass die Mitglieder des Ausschusses die jeweiligen Kontrolltätigkeiten selbst bestimmen und nachvollziehen können.

Zudem ist gesetzlich klarzustellen, dass sich die Mitglieder des Ausschusses für Verfassungsschutz durch eigene Mitarbeiter*innen unterstützen lassen können.

Die Mitglieder des Ausschusses für den Verfassungsschutz dürfen zudem die Vorstände ihrer Fraktionen über wichtige Angelegenheiten aus den jeweiligen Beratungen vertraulich unterrichten.

Präzisieren des Informationsanspruchs

Wir fordern, dass die Themen, über die der Senat den Ausschuss für Verfassungsschutz zu informieren hat, gesetzlich präzisiert werden. Dabei sind zumindest wesentliche Änderungen im Lagebildbehördeninterne Vorgänge mit erheblichen Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung sowie Einzelvorkommnisse umfasst, die Gegenstand bedeutender politischer Diskussionen oder öffentlicher Berichterstattung sind.

Zudem sind dem Ausschuss periodische Berichte zum Gebrauch eingriffsintensiver Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde vorzulegen.

Um die Transparenz des Verfassungsschutzes zu erhöhen, fordern wir eine jährliche öffentliche Anhörung des Abteilungsleiters des Verfassungsschutzes im Abgeordnetenhaus.

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Solides Fundament