Raus aus der Eurozonen-Krise durch Solidität, Solidarität und nachhaltige Investitionen

16.12.11 –

von Sven Giegold, MdEP

(Stachlige Argumente, Winter 2011, Nr. 184, Seite 4f.)

Die Rettungsprogramme für die europäischen Krisenländer wirken nicht wie erhofft. In Griechenland steigt die Gefahr, dass ein Staatsbankrott nicht vermieden werden kann. In Griechenland und Portugal ist die Arbeitslosigkeit von 2008 bis 2010 stark angestiegen, in Spanien hat sie sich im Vergleich zum Vorkrisen Niveau von rund 11% (2008) fast verdoppelt auf rund 20% (2010). Außerdem leben in Griechenland und Portugal mittlerweile 20% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. InSpanien ist die Anzahl an Menschen, die mit weniger als 530 Euro monatlich auskommen müssen, innerhalb von drei Jahren um eine Million, auf über 9 Millionen, angewachsen. Alle Versuche in einer Politik kleiner Schritte „auf Sicht“ aus der Krise herauszukommen, sind offensichtlich überfordert.
Die Europäischen Grünen schlagen stattdessen eine „Europäische Wirtschaftsunion“ vor.
Statt Europaskepsis und Renationalisierung braucht Europa eine Strategie, die aus den Säulen Solidarität, Solidität und Nachhaltigkeit besteht und neue Krisen langfristig vermeidet.

 

 Verantwortung für Haushaltsdisziplin und gegen wirtschaftliche Ungleichgewichte 

Die Ursache der Krise in Spanien, Irland, Portugal und auch in Griechenland ist vor allem eine Explosion von konsum- und immobiliengetriebener Privatverschuldung als Folge der immer größeren Ansammlung billigen Geldes. Der schnelle Zustrom von Krediten beschleunigte zudem das allgemeine Kostenniveau und kostete die Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit. In Erst darauf folgte – mit Ausnahme Griechenlands – die unnachhaltige Erhöhung der Staatsverschuldung. Deshalb ist es unerlässlich, zukünftig effektive Maßnahmen gegen wirtschaftliche Ungleichgewichte zu ergreifen. Die Wirtschaftspolitik der Euroländer darf nicht mehr gegeneinander gerichtet sein, sondern muss den wirtschaftlichen Erfolg aller Staaten im Rahmen einer gemeinsamen Währung in den Mittelpunkt stellen. Das Auseinanderentwickeln der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Euroländer ist mit der gemeinsamen Währung auf Dauer nicht zu vereinbaren.

Maßnahmen gegen übermäßige  Ungleichgewichte sind im den kürzlich vom Rat der Europäischen Mitgliedsländer und dem Europaparlament verabschiedeten „Economic Governance-Paket“ enthalten. Sowohl Mitgliedsländer mit Überschüssen von Exporten im Vergleich zu den Importen, als auch Staaten mit Defiziten müssen zukünftig einen Beitrag zum Abbau der volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte leisten. Bei Nichthandeln drohen Sanktionen. Länder mit Problemen bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit müssen Reformen vornehmen und ihre Kosten senken. Länder mit Exportüberschüssen müssen ihre Nachfrage steigern. Es ist wichtig zu beachten, dass Exporterfolge von Mitgliedern der Eurozone der notwendigen Verschuldung der Importländer mit Defiziten entsprechen. Aus deutscher Sicht hat es sich als unklug erwiesen dreistellige Milliarden-Summen risikoreich ins Ausland zu verleihen, anstatt sie in die Zukunft zu investieren. Die Maßnahmen des Grünen New Deal in Deutschland wie Mindestlöhne, faire Lohnabschlüsse und Zukunftsinvestitionen in Bildung und Klimaschutz würden unsere Exportwirtschaft kaum schwächen, aber die Kaufkraft für Importe aus den Partnerländern steigern und damit auch den Euro stabilisieren.

Zudem müssen ökonomische Statistiken und Haushaltszahlen in Zukunft umfassend und transparent sein und vor allem der Wahrheit entsprechen. Dafür sorgen die durch das Economic Governance-Paket gesetzlich verankerten Anforderungen wie striktere Statistikregeln und die obligatorische Analyse der Daten durch unabhängige Institute. Somit ist ein beherzter Schritt gegen manipulierte Haushaltsdaten gemacht worden. Gerade bei Risiken aus Public-Private-Partnerships werden nun auch die Bundesregierung, Länder und Kommunen gefordert sein, versteckte Schulden und Risiken zu erfassen und transparent zu machen.

 

Finanzielle Solidität als andere Seite der Euro-Solidarität

Klare Grenzen für öffentliche Schulden, Schuldenabbau und ein effektiver Stabilitäts- und Wachstumspakt sind weitere zentrale Stützen der gerade beschlossenen zukünftigen Euro-Regeln. Sie sind notwendig für unsere Zukunft, denn die nachfolgenden Generationen europäischer BürgerInnen haben ein Recht auf gesunde öffentliche Kassen. Die neuen Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die Defizitverfahren zu straffen, die Spielräume für Haushaltsdefizite einzuengen und auch den Schuldenstand über 60% des BIP konsequent zurück zu führen, ist deshalb zu begrüßen.

Jedoch muss bei den Sparanstrengungen die soziale und ökologische Balance gewahrt werden. Bei den bisherigen Sparmaßnahmen in den Krisenländern werden die Lasten der Haushaltskonsolidierung vor allem auf den Schultern der Mittelschicht, Geringverdiener und Armen abgeladen. Entsprechend haben Armut und Arbeitslosigkeit zugenommen, während die auch in den südlichen Mitgliedsländer stark gewachsenen Vermögen nicht belastet wurden.

Immer deutlicher wird, dass diese Strategie nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch gescheitert ist. Denn das Wachstum springt nicht an, was die staatlichen Einnahmen weiter nach unten drückt. Die Neuverschuldung bleibt deshalb hoch. Diese Art des Schuldenabbaus schädigt zunehmend die Unterstützung für die Europäische Union selbst.

Deshalb ist es jetzt essentiell, nachhaltige Investitionen in Zukunftsbereiche, wie erneuerbare Energie, nachhaltigen Tourismus und Bildung im Rahmen eines Green New Deals parallel zu den notwendigen Reform- und Sanierungsprogrammen vorzunehmen. Außerdem brauchen wir eine bessere Steuerkooperation in Europa, um Steuerdumping zu verhindern und die staatlichen Einnahmen zu stärken. Auch die Finanztransaktionssteuer muss nun endlich kommen.

Die Grüne Strategie aus Solidarität, Solidität und nachhaltigen Investitionen bietet einen langfristigen Weg aus der Krise. Kurzfristig jedoch muss die Finanzierung der aller Eurostaaten gesichert werden. Ihre Reformanstrengungen können nur gelingen, wenn sie nicht von wachsenden Zinslasten erdrückt werden. Der Rettungsschirm EFSF ist zu klein, um auch Spanien und Italien stabilisieren zu können. Der Ansatz der Bundesregierung, dass sich alle Euroländer selbst um ihre Finanzierung kümmern sollen, ist gescheitert. Die lange Blockadepolitik gegen Europäische Anleihen hat nun die Unsicherheit an den Finanzmärkten zu weit erhöht, dass die EZB zum Handeln genötigt wurde. Die Glaubwürdigkeit der EZB wird zunehmend beschädigt. Daher muss sich die Bundesregierung bei den Euroanleihen endlich bewegen. Die Eurobonds können dann verknüpft werden mit starken Auflagen bei der Haushaltssanierung, damit mithaftende Staaten wie Deutschland nicht auf den Verlusten sitzen bleiben.

Die Erfolgsgeschichte der EU beruht auf Lehren, die weitsichtige PolitikerInnen aus der Geschichte des Kontinents nach zwei Weltkriegen gezogen hatten. Frieden, Freiheit, Demokratie lassen sich besser gewährleisten, wenn nicht nur nationale Interessen verfolgt werden, sondern die Staaten Europas politisch und wirtschaftlich immer tiefer zusammenarbeiten. Das Versprechen demokratischer Werte wäre unvollkommen ohne das Ziel sozialer Gerechtigkeit und dem Erhalt der Natur.
Auch in der momentanen Krise gilt es diese drei Ziele im Blick zu behalten: eine Wirtschaftspolitik der Solidität, Solidarität und Nachhaltigkeit führt uns dorthin.

 

Der Autor, MdEP für die NRW-Grünen, ist Koordinator der Grünen im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments. Er ist Mitgründer von Attac Deutschland und engagiert sich in der Präsidialversammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentages.