"Unsere Grundphilosophie des Programms von 1998 ist gescheitert"

16.12.11 –

 

ein Interview mit Lisa Paus von Oliver Münchhoff


(Stachlige Argumente, Winter 2011, Nr. 184, Seite 8 ff.)

 

Von Schuldenbremsen, dem Selbstzweck kameralistischer Nullen, Milliarden für Premiumklassen und Ich-bin-dann-mal-weg Kapitalflüchtlingen berichtet Lisa Paus, Mitglied des Bundestages, und kommt nicht nur zu dem Fazit des Scheiterns unserer Programmphilosophie von 1998.
Ein Blick auf die aktuelle Diskussion um die Euro-Bonds darf nicht fehlen.
Mit Lisa Paus sprach unser Redakteur Oliver Münchhoff.

 

 ?: In Deutschland herrscht bald die Schuldenbremse. Das Grundgesetz sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Bremst das?

 Lisa:
Grundsätzlich schon. Die öffentlichen Haushalte dürfen zukünftig kein strukturelles Minus machen, wobei die Länder strukturell überhaupt keine Schulden mehr machen dürfen und der Bund ein bisschen, nämlich 0,35 % des BIP. Hierbei ist es egal, ob das Minus unterbunden wird durch das Kürzen von Ausgaben  oder das Erhöhen von Einnahmen - man kann an beiden Schrauben drehen.

?: Vor zwei Jahren verzeichneten wir im Rahmen der Finanzkrise einen Rückgang der wirtschaftlichen Leistung im nicht unerheblichen Maße, mit der Folge, dass Konjunkturpakete aufgelegt wurden. Darf der Staat jetzt noch Nachfrage auf dem Markt erzeugen?

 Lisa:
Nun, es handelt sich um eine Schuldenbremse für strukturelle Schulden: Wenn es konjunkturell richtig in den Keller geht, dann gilt die Schuldenbremse nicht zwingend. Bei mehr als 2 % Konjunkturminus kann sie auch ausgesetzt werden. Für konjunkturbedingte Schwankungen gibt es ein sogenanntes Kontrollkonto, ein bisschen wie ein Dispo-Kredit beim Giro-Konto. Allerdings muss dieses Konto über ein bestimmtes Zeitfenster wieder auf null zurückgefahren werden.

?: Mir ist dann insgesamt nicht ganz nachvollziehbar, warum es gerade auch bei uns Bündnisgrünen nicht unerhebliche Bedenken gegen die Schuldenbremse gab und gibt.

 Lisa:
Die Grundidee der Schuldenbremse klingt in der politischen Kommunikation einfach, ist es allerdings in der praktischen Umsetzung leider nicht. Das Bundesfinanzministerium rechnet immer noch herum, welche Eckwerte es denn eigentlich anlegen will, um ein strukturelles Defizit zu definieren. Das strukturelle Defizit unterscheidet sich vom konjunkturellen rechnerisch nur dadurch, dass dabei ein Mittelwert aus mehreren Jahren gebildet wird. Und die einfach erscheinende Frage, ob die Zahl dann konjunkturbereinigt  ist, also der Konjunkturverlauf richtig abgedeckt ist, kann niemand beantworten. Das Problem: Was passiert bei einer lang anhaltenden Rezession, denn dann greift wieder der Verfassungsauftrag, keine weiteren Einnahmen über Kredite zu generieren. Bei einem so starken Negativwachstum wie in der Krise 2008 wird die Regel klar ausgesetzt. Dümpelt allerdings die Konjunktur leicht negativ oder mit minimalem Wachstum vor sich hin, dann tritt sie wieder in Kraft und es muss normal ein ausgeglichener Haushalt ohne Neuverschuldung vorgelegt werden plus die extra-Schulden,  die abgetragen werden müssen. Dieses Hinterhersparen würde uns dann immer tiefer in die Rezession treiben.

?: Die Wahl zwischen Steuer- und Kreditfinanzierung scheint letztlich nur die Frage zu sein, ob Steuern jetzt oder später erhoben werden. Schafft die Schuldenbremse hier zumindest die Voraussetzung, dass Finanzierungskonflikte, nach dem Motto „wer zahlt wie viel von der Zeche“ nicht einfach in die Zukunft verlagert werden können?

 Lisa
Jetzt wo sie neu eingeführt wird hat sie schon durchaus diese Wirkung und das finde ich auch gut. Es ist keine linke Politik, wenn Ausgaben, die heute notwendig sind, auf Pump finanziert werden, weil ich mich als Staat nicht traue, die Leistungsfähigen in diesem Lande angemessen an der Finanzierung der Öffentlichen Infrastruktur über Steuern zu beteiligen und ihnen stattdessen auch noch Zinsen dafür zahle, dass sie mir Geld leihen. Mit angemessenen Steuern korrigiere ich auch die wachsende Schere zwischen arm und reich - eben das Verteilungsproblem, das ganz grundlegend hinter den wachsenden Schuldenbergen steht. Und das ist besser für die zukünftigen Generationen. Deswegen finde ich übrigens auch unseren Vorschlag für die Einführung einer Vermögensabgabe so wichtig. Er ist durchgerechnet und juristisch geprüft und würde genau vom reichsten 1% der Bevölkerung bezahlt. Und er würde  die krisenbedingte Erhöhung der Staatsverschuldung um ca. 100 Milliarden wieder zurückfahren.

 ?: Wir haben auch auf der Grundlage der Schuldenbremse den Grünen Dreiklang entwickelt, bestehend aus Ausgabenreduzierung, Subventionsabbau und Einnahmeverbesserung. Welche konkreten Ansätze liefert das Konzept?

 Lisa
Als Finanzverantwortliche haben wir uns dem Prozess unterworfen, alle Ausgaben- und Einnahmenvorschläge abzuklopfen und abzugleichen. Zuerst sind wir Ausgabenkürzungen durchgegangen. In einigen Verwaltungsbereichen sehen wir Einsparpotential, zum Beispiel durch die Einführung einer Bundessteuerverwaltung oder Personalabbau beim Wasserschifffahrtsamt. Angesichts maroder Schulgebäude, gesperrter Hallenbäder und löchriger Straßen sind nicht nur in Berlin aber  Ausgabenreduzierungen Grenzen gesetzt. Auch weil wir Grüne auf einer vernünftigen Infrastruktur bestehen und Bildung unterfinanziert bleibt. Das betrifft zudem den Umbau zu einer klimagerechten Wirtschaft. Es nützt uns nichts, wenn wir auf dem Papier eine schwarze Null im Sinne der Kameralistik haben, aber tatsächlich die  soziale und ökologische Verschuldung erhöht haben. Beim Subventionsabbau haben wir etwa das Dienstwagenprivileg im Visier. Allein hier subventionieren wir letztlich die deutsche Automobilindustrie, und da vor allem die Premiumklasse, mit  etwa 11 Milliarden Euro jährlich. Dazu gehört auch das Ehegattensplitting, mit dem letztlich die althergebrachte Alleinverdienerehe subventioniert wird. Hier freuen wir uns besonders, dass wir nicht mehr allein stehen: Inzwischen fordert sogar die OECD dazu auf, das Ehegattensplitting abzuschmelzen, weil es als das zentrale Hindernis für eine gleichberechtigte Erwerbsbeteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt ausgemacht wurde.

?: Und die Einnahmeseite? Die Einführung der Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkommen von 25 % war nun nicht gerade ein Ruhmesblatt!

 Lisa
Diesen Beschluss der großen Koalition wollen wir rückgängig machen, denn die Einführung der Abgeltungsteuer war falsch. Warum soll leistungsloses Einkommen geringer besteuert werden als Arbeitseinkommen? Das ist niemandem zu vermitteln. Übrigens habe ich bei meinen bisherigen Gesprächen mit Steuerberatern und Wirtschaftsvertretern in den vergangenen zwei Jahren auch niemanden gefunden, der die geltende Regelung in Deutschland behalten will. Dennoch will die Bundesregierung aktuell mit der Schweiz ein Steuerabkommen abschließen, dass unter anderem diese Regelung zementieren will. Ich hoffe, die SPD bleibt an unserer Seite, das Abkommen zu verhindern.

?: Haut dann nicht das Kapital einfach ab, so dass eine Abgeltungsteuer ganz nach dem Motto „25 % von x ist besser als 42 % von nix“ doch Sinn macht?

 Lisa
Nicht nur in diesem Punkt hat Herr Steinbrück Unsinn geredet. Außerdem hat sich die Welt in dieser Hinsicht tatsächlich ein bisschen zum Positiven entwickelt. Auf der europäischen Ebene gibt es inzwischen die sogenannte Zinssteuerrichtlinie, die insbesondere unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union automatische Kontrollmitteilungen vorsieht. Das Einfach-mal-abhauen ist gar nicht mehr so einfach. Aufgrund der Wirtschafts- und Schuldenkrise ist weltweit eine Tendenz zu verzeichnen, dass Reiche mehr beitragen sollen zum Steueraufkommen. Das zeigt sich auch in Großbritannien und den USA. Es gibt zwar noch Steueroasen, aber es sind weniger und es ist schwieriger geworden. Deutschland sollte diese Trendumkehr forcieren und nicht torpedieren.

?:Bei der Einkommenssteuer planen wir eine Erhöhung des Grenzsteuersatzes auf 49 %, wobei dieser bei etwa 68.000 Euro bzw. 80.000 Euro greifen soll – da freut sich der Steuerzahler.

 Lisa
Warum wir es notwendig finden, unliebsame Steuererhöhungen zu planen? Auch um sich deutlich von den Steuersenkungsphantasien der FDP abzugrenzen sind wir es unseren Wählerinnen und Wählern schuldig, keine Versprechen ohne Gegenfinanzierung zu machen. Wenn wir starke Schultern belasten wollen, sind wir bei der Einkommenssteuer. Es ist richtig, den Spitzensteuersatz auf  49 % anzuheben, auch mehr wäre denkbar. Allerdings ist die Erhöhung des Spitzensteuersatzes noch kein Einkommensteuerkonzept. Selbst mit einem Spitzensteuersatz von 49 % wirkt unser Steuer- und Abgabensystem regressiv. Auch die Sekretärin in Deutschland hat eine höhere Steuer- und Abgabenlast als ihr Chef – nicht nur die von Warren Buffett. Aber Steuergerechtigkeit braucht nicht nur den richtigen Steuersatz ganz oben sondern auch ganz unten, und auch die richtige Systematik dazwischen, wobei auch die Sozialabgabenbelastung zu berücksichtigen ist. Egal, was wir beschließen, einen überzeugenden Tarifverlauf haben wir damit nicht. Dieser Beschluss ersetzt kein Einkommensteuerkonzept, sondern schafft eine fiskalisch definierte zusätzliche Einnahme. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

?: Absenkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 % plus einer zahnlosen Reichensteuer von 45 %, Abschaffung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen der Kapitalgesellschaften – wie ist es da eigentlich vermittelbar, dass unter einer künftigen rot-grünen Regierung nicht wieder ein Umverteilungsprozess initiiert wird, wie er schon einmal stattgefunden hat?

Lisa
Unsere Rückkehr zu einem höheren Spitzensteuersatz von 49 % ist nicht einfach nur die Rückkehr zum vorher. Das ist auch die logische Konsequenz daraus, dass unsere Grundphilosophie des Programms von 1998 gescheitert ist und wir jetzt eine andere verfolgen. 1998 versprach das grüne Programm eine einfach, gerechte und  aufkommensneutrale Einkommensteuerreform durch Spitzensteuersätze runter, Bemessungsgrundlage verbreitern, Steuerschlupflöcher stopfen. Und dann haben wir den Spitzensteuersatz gesenkt, mussten aber am Ende der Beratungen feststellen, dass aus tausend guten Gründen die Bemessungsgrundlage nicht wirklich breiter geworden ist. Das hat also nicht funktioniert. Das wissen wir. Und wer unseren Beschlüssen der BDK in Kiel trotzdem nicht traut, der glaubt uns vielleicht dieses: Wir sind fest davon überzeugt, dass in der europäischen Staatsschuldenkrise nur die Partei Vertrauen gewinnt, die solide finanzierte Reformvorschläge vorlegen kann. Sollen dabei Klima, Bildung und soziale Gerechtigkeit nicht unter die Räder kommen: Dann führt schlicht kein Weg an Steuererhöhungen nach Leistungsfähigkeit vorbei

?:Du sprichst von einer europäischen Finanzkrise. Warum seid Ihr eigentlich so sehr für Eurobonds, die bei vielen die Befürchtung auslöst, Schuldnerstaaten müssten ihren Schuldendiensten nicht mehr nachkommen.  Machen die nicht nur insbesondere durch höhere Zinsbelastungen aller nicht alles, also vor allem die Schuldendienste, noch teurer?

Lisa
Die Sorgen verstehe und teile ich. Warum sind wir trotzdem für Eurobonds? Nicht weil sie endlich nun die Bazooka wären, mit denen alle Probleme gelöst sind. Aber sie können wirklich einen wichtigen stabilisierenden Beitrag leisten. Richtig eingeführt müssen sie es für uns auch nicht teurer machen. Es kommt sehr auf das Wie und nicht auf das Ob an. Konkret sind es drei Gründe, die für Eurobonds sprechen.  Erstens sind Eurobonds die einzig glaubwürdige Antwort auf die Spekulation gegen große Eurostaaten. Der EFSF wird mit keinem Hebel der Welt Spanien, Italien oder Frankreich retten können. Zweitens und uns eigentlich sogar wichtiger: Nur mit Eurobonds können potenzielle Bankinsolvenzen von Staatsinsolvenzen getrennt und damit der europäische Teufelskreis zwischen Banken und Staaten durchbrochen werden. Und drittens: Eurobonds mit harten Stabilitätsregeln und begrenzter gemeinschaftlicher Haftung schaffen wieder eine sichere Geldanlage, nicht nur für Banken und Versicherungen, sondern auch für eine Oma, von der niemand beim Geldanlegen verlangen kann, die Finanzpolitik von Staaten auf die nächsten 10 Jahre vorher zu analysieren. Wir sind inzwischen übrigens nicht mehr allein mit dieser Forderung. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung und die EU Kommission haben inzwischen konkrete Vorschläge entwickelt.

Lisa, herzlichen Dank für das offene Gespräch.

Lisa Paus ist Mitglied des Bundestages, Obfrau des Finanzausschusses, Mitglied im Europaausschuss und die stellvertretende Koordinatorin des Arbeitskreises 1 (AK1)