Wahlanalyse 2011

06.01.12 –

von Bernd Steinhoff

Diesen Text als PDF mit Tabellen und Grafiken gibts hier

Unsere größte Stärke war die über Jahre konstant gute Fraktionsarbeit. Unsere größte Schwäche war, dass unsere Spitzenkandidatin Renate sich nicht auf Berlin festgelegt hat.

Voraussetzungen für Wahlerfolge und unsere Bilanz

Hegemonie in für viele Wähler/innen relevanten Fragen – eher ja; führende Bewertungen der eigenen Arbeit durch die Wähler/innen, Glaubwürdigkeit – ja; Große Schwächen der politischen Konkurrenz – ja; gute Aufstellung für die Koalitionsarithmetik – eher nein; KandidatInnenfaktor – eher nein; Themensetzung im Wahlkampf – eher nein; guter Straßenwahlkampf – ja; gute Pressearbeit – nein; gute Kommunikation im Internet – ja; Geschlossenes Auftreten – ja; Aufwärtstrend in Umfragen kurz vor der Wahl – nein.

„It’s the economy, stupid“

Wahlwirksam priorisierten die WählerInnen die Atomfrage. Wir profitieren dabei auch vom schnellen Ausbau und der absehbaren Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien, entscheidend befördert durch das rot-grüne EEG. Merkel musste den rot-grünen Atomausstieg bestätigen. Die wieder sinkende Priorisierung der Atomfrage war zu erwarten. Das hat sich natürlich auch in Berlin ausgewirkt.

Wie schon 2008, drohen Ölknappheit und damit hohe Ölpreise Wirtschaftskrisen zu verursachen. Der weltweite Förderhöhepunkt für leicht förderbares Öl war laut iea und energy watch group im Jahr 2006. Es liegt vor allem an uns, diese Gefahr deutlich zu thematisieren und Energie-Effizienz und Erneuerbare als einzig sinnvolle Alternativen zu forcieren.

SPD

Die entscheidende Schwäche der SPD, die unsere ursprünglichen hohen Berliner Umfragewerte neben der guten Fraktionsarbeit erklärte, war Wowereit. Was er zur Chefsache erklärte, blieb unerledigt. Volksentscheide wollte er nicht anerkennen oder Äußerungen zur Veröffentlichung der Wasserverträge wurden nach der Abstimmung durch eigenes Handeln widerlegt. Selbst von der SPD-Basis drang Unmut bis zur Presse durch. Er ist mit einem inhaltslosen Schmusewahlkampf relativ glimpflich durchgekommen. Uns ist eine breite Thematisierung in der entscheidenden Wahlkampfphase „Verstehen und Handeln“ nicht gelungen. Wirksam war diese Schwäche im Regierungshandeln dennoch, sowohl in unserem Ergebnis, als auch bei den Piraten. Warum war das zuletzt aus Sicht der Presse so wenig berichtenswert?

Es wird in Zukunft zu ähnlich hohen Werten für uns kommen. Selbst wenn Wowereit nicht mehr antritt, in Verhandlungen wird uns die SPD dann wieder das unvermeidliche Streitig-Machen der Führungsrolle im linken Lager sehr übel nehmen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger als die SPD brauchen wir die Koalitionsalternative CDU.

Unser Wahlkampf

Spätestens im Juni, als sich in den Umfragen ein deutlicher Vorsprung der SPD zeigte, wurde die vielleicht größte Schwäche wirksam. Es war mit der Kandidatin nur auf Sieg, nicht auch auf Platz gesetzt worden. Renates Bekanntheitsgrad und ihr sehr beeindruckendes Handeln als Bundesministerin, ihre gute Arbeit an Partei- und Fraktionsspitze und auch ihre scharfen Angriffe auf Wowereit in 2010 haben unsere begeisterte Zustimmung zu ihrer Kandidatur selbstverständlich gemacht. Sie hat die Geschlossenheit im Wahlkampf eingefordert und durchgesetzt. Mit ihr haben wir den Kandidaten der immer noch schwächelnden CDU, die durch den Generationswechsel viele Wähler/innen verliert und nur aus der Konkursmasse der FDP wachsen konnte, in den Hintergrund gedrängt. Ob uns dies mit anderen KandidatInnen ebenso leicht gelungen wäre, darf bezweifelt werden.

Ohne dass dies von uns als ausschließliche Koalitionsvariante gewollt wurde, verengte sich mit der Verfestigung des Umfrage-Vorsprungs der SPD die öffentliche Wahrnehmung auf die schwarz-grüne Option. Auch lief das gegen bisherige Argumentationslinien, die SPD zu besserem Regierungshandeln in einer gemeinsamen Koalition zu bringen, die auf der entscheidenden Schwäche der SPD aufbauten, und schwächte diese zusätzlich. Sinkende Umfragen und nun unklare und widersprüchliche Wahlkampfbotschaften haben zu einem zu einem ab dann gegenüber dem Bundestrend verstärkten Abwärtstrend geführt. Die öffentliche Verengung auf Machtoptionen hat wohl auch zu einer Wahrnehmung der Abgehobenheit von den Problemstellungen der BürgerInnen geführt. Eine Lücke, die die Piraten zu einer Alternative machte und auch potentielle WählerInnen zurück zur SPD führte.

In den kommenden Jahren ist unsere Fraktionsspitze im Abgeordnetenhaus zu stärken. Und wir dürfen nicht alle Talente in den Bundestag oder nach Europa abgeben, wenn sie mit unserer guten Sacharbeit und einer leicht veränderten Kommunikation mit häufigeren öffentlichkeitswirksamen Auftritten für die Fraktionsspitze höhere Bekanntheitswerte erreicht haben.

Unser Wahlergebnis

Der Blick auf Prozent-Angaben zu den Zweitstimmen in den Bezirken verstellt den Blick auf den tatsächlichen Stimmenbeitrag zum Landesergebnis. Nicht Prozentwerte, sondern absolute Zweitstimmenzahlen werden addiert. Der Tabelle ist zu entnehmen, dass in fünf Bezirken jeweils etwa 32.000 Zweitstimmen gewonnen wurden, das entspricht jeweils etwa einem Achtel der in Berlin gewonnenen Zweitstimmen. Kreuzberg ist in Bezug auf Zweitstimmen nur eine, nicht die Hochburg. Die gewonnenen Direktmandate ändern an unserer Fraktionsstärke – nichts.

Erstmals verzerrt in der Fraktion die Vielzahl der in Kreuzberg gewonnenen Direktmandate, ein Erfolg, die in der Partei und bei unseren WählerInnen vorherrschenden Überzeugungen. Die eigentlich positive Orientierung der direkt gewählten Abgeordneten an den Bedürfnissen und Überzeugungen in ihrem Wahlkreis darf nicht den Blick auf die Bedürfnisse und Überzeugungen unserer WählerInnen in der gesamten Stadt verdecken. Insofern geht es um inhaltliche Diskussionen, die in der Partei, und nicht als Machtkämpfe in der Fraktion auszutragen sind.

Kontroverse Sachdebatten, die stellvertretend für die Gesellschaft Klärungen herbeiführen, sind wichtig für Berlin. In der Debatte um Schulformen haben wir mit der Entscheidung für Sekundarschulen aus Haupt- und Realschulen Rot-Rot den Weg gewiesen. Die Sackgasse Hauptschule wurde in kurzer Zeit abgeschafft. Welche Folgen die unterlegene Position gehabt hätte, lässt sich am schwarz-grünen Scheitern in Hamburg ablesen.

Wer stellt Wowereit, wenn er wie zu erwarten in alte Verhaltensweisen zurückfällt („Chefsache“)? Wer bringt Energieeffizienz und Erneuerbare voran? Wer fordert eine Verwaltungsreform ein? Wer leitet die knappen öffentlichen Gelder in Infrastrukturinvestitionen, die der Stadt wirklich zu besserer Mobilität verhelfen? Die Scheunentore der rot-schwarzen Regierungsarbeit werden weit offen auf die gute Sacharbeit der Fraktion warten, konzentrieren wir uns darauf!

Der Autor ist Mitglied des Kreisverbandes Steglitz-Zehlendorf