"Wir haben zu wenig Mut gehabt, Grün zu bleiben"

19.12.11 –

ein Interview mit Volker Ratzmann von Ronald Wenke

(Stachlige Argumente Winter 2011, Nr. 184, Seite 16 ff.)

Volker Ratzmann berichtet über seine Eindrücke und sein Fazit des Berliner Wahlkampfs. Volker war im engeren Wahlkampfstab und Beteiligter der Verhandlungskommission mit der SPD zur Bildung einer Regierung. Mit Volker sprach unser Redakteur Ronald Wenke.

?: 17,6% - ist das eigentlich ein Erfolg oder eine Niederlage?

Volker:
Gefühlt ist es ein Misserfolg gemessen an unseren eigenen Zielen. Objektiv ist es natürlich ein Erfolg, über den sich jede andere Partei gefreut hätte: +4,5%, 6 Mandate dazugewonnen, stärkste Oppositionspartei. Aber: Wir sind hoch gestartet und haben die Latte selbst sehr hoch gelegt. In der Partei, aber auch bei unseren Wählern, wird dieses Ergebnis als Misserfolg wahrgenommen– dem müssen wir Rechnung tragen.

?: Woran hat es gelegen, dass es nicht mehr geworden ist?

Volker:
Zusammenfassend: Wir haben zu wenig Mut gehabt, Grün zu bleiben. Wir haben zu wenig verstanden, den grünen Esprit aus anderen Wahlkämpfen – im Auftritt, bei den Plakaten, bei Aktionen – mit dem Anspruch zu  verbinden, Führung zu übernehmen.  Wir haben geglaubt, dass, wenn man die Regierende Bürgermeisterin stellen will, man dies auf eine bestimmte Art und Weise tun müsse. Es ist jetzt unsere Aufgabe, den Anspruch die politische Hegemonie in der Stadt und im Land zu erringen, zu verbinden mit eigenen Auftreten und Inhalten.

?: Können Grüne nur durch Zufall stärkste Kraft werden wie in Baden-Württemberg?

Volker: 
Nach diesem Wahlkampf würde ich sagen: im Moment ja. Ich würde zwar nicht das Wort Zufall verwenden. Besser ist die  „Kretschmannsche Formel“: Das Amt muss zur Partei kommen. Es fehlt uns noch die Selbstverständlichkeit, den Machtanspruch, der damit verbunden ist, auch authentisch rüberzubringen, dabei Grün zu bleiben. Es ist richtiger, als Grüne zu sagen: wir treten mit einer Spitzenkandidatin an und schauen, wie weit wir kommen. Wir spielen nicht nur auf Sieg, sondern auch auf Platz – und bleiben wir selbst.

?: Sollten die Grünen denn die neue Volkspartei werden?

Volker:
Nein, das sollen sie nicht werden. Für mich ist der Erfolg der Piraten die Antwort auf diese Frage. Unsere Wählerinnen und Wähler – und auch die Gesellschaft – wollen nicht eine weitere SPD oder CDU mit anderem Inhalt wählen. Wir sollten nicht präsidial und staatstragend daherkommen, sondern unbequem, fragend, mit Esprit. Gerade vor dem Hintergrund der weltweiten Entwicklung müssen wir das tun. Unsere Inhalte sind richtig – wir müssen noch um die richtige Form ringen.

?: Waren wir also im Wahlkampf zu sehr SPD und CDU?

Volker:
Wir haben zugelassen, dass wir so wahr genommen wurden. Wobei die Verantwortung nicht bei der Agentur liegt – die ist nur so gut, wie die Vorgaben, die sie von uns bekommen hat. Ich fand im Übrigen auch, dass unser Berlin-Bild zu negativ war – wir haben zu wenig visualisiert, wie unsere positive Vorstellung von Berlin sein soll.

?: Du warst im Wahlkampf die Person hinter Renate Künast – eine Art Schattenwirtschaftssenator. Aber es gab nie ein Schattenkabinett. Warum eigentlich nicht?

Volker:
Das war ein Fehler. Ich war immer ein Fan davon, dass es ein Schattenkabinett geben soll. Wir haben es schlicht nicht geschafft, es umzusetzen.

?:Eine weitere umstrittene Frage war die zu den Koalitionsoptionen. Haben wir zu lange gewartet, Schwarz-Grün abzusagen? Oder war es eher ein Fehler, es überhaupt abzusagen?

Volker:
Wir mussten uns irgendwann entscheiden. Die Grün-Schwarz-Debatte und die Art und Weise, wie sie von der SPD gespielt wurde, war wie ein Leck im Boot, durch das immer mehr Wasser einlief. Wir mussten den Deckel drauf machen. Der strategische Fehler lag am Anfang: wir haben einen Anspruch formuliert, der nur funktioniert hat, solange wir vor der SPD lagen. Als das nicht mehr der Fall war, wurden durch die Koalitionsdebatte alle inhaltlichen Fragen überlagert. Und wir haben sie nie mit inhaltlichen Fragen verknüpft: Was geht eigentlich mit der CDU? Was geht mit der SPD im Zweifel nicht? Die Formel von den größeren Schnittmengen war trügerisch: im Moment sehen wir, dass die SPD mit der CDU die größeren Schnittmengen hat. Wir haben uns in eine strategische Zwickmühle begeben. Wir müssen – und das ist eine Lehre – auch auf Platz spielen können und nicht nur auf Sieg.

?: Die Öffnung zum bürgerlichen Lager ist stark mit Dir verbunden. Wurde in den vergangenen fünf Jahren zu sehr auf die Option CDU gebaut?

Volker:
Wir waren – wir sind! – in der Opposition zur SPD. Die Öffnung zum bürgerlichen Lager hängt ja nicht nur damit zusammen, dass man mit Messer und Gabel essen kann. Ich glaube, dass unsere Oppositionspolitik ein Symbol dafür war, nicht starr an der SPD hängen. Wir müssen endlich weg von den Koalitionsdebatten kommen. Mir geht es darum, die inhaltlichen und gesellschaftlichen Fragen zu lösen. Zur Lösung der ökologischen Frage brauchen wir nun einmal die wirtschaftlichen Akteure, die sich eher im bürgerlichen Lager verorten. Ich muss und will sie aber als Partner gewinnen. Jede Firma, die ein ökologisches Problem löst, ist mein Partner. Ich will eine grüne Wirtschaftspolitik und eine grüne Industriepolitik und brauche dafür die Institutionen.

?: Was heißt das für die zukünftige Strategie?

Volker:
Eigentlich haben wir jetzt die ideale Möglichkeit unsere Strategie der Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen. In der letzten Legislaturperiode war immer klar, dass Oppositionspolitik gegen die SPD immer auch die Gefahr mitbrachte mit der CDU identifiziert zu werden. Jetzt können wir in der Abgrenzung zu beiden als größte Oppositionspartei zeigen, wie das grüne Berlin für uns aussieht. Wir müssen die Puzzleteile jetzt zusammenführen: Wie lösen wir die energetische Sanierung und die soziale Frage? Wie bekommen wir eine Haushaltskonsolidierung und die notwendigen Investitionen hin? Wie können wir die Frage der Inneren Sicherheit aus der Bürgerrechtsperspektive neu definieren, ohne dass die Menschen die Sorge haben, dass es unsicherer wird mit Grünen? Das ist unsere Aufgabe in Abgrenzung zu den beiden anderen. Umso bedauerlicher sind unsere momentanen internen Schwierigkeiten in dieser Situation.

?: Am Ende wird in fünf Jahren wieder die Machtfrage stehen: mit wem macht ihr es denn? Wird es Essen mit Piraten und Linken geben?

Volker:
Ich gehe auch mit Linken und Piraten essen, wenn wir uns auf ein Gericht einigen können. Natürlich machen wir auch wieder eine Bündnispolitik in der Opposition. Aber ich will keine Ausschließlichkeit. Es kommt darauf an, mit wem wir die meiste grüne Politik umsetzen können – das galt in der letzten Legislaturperiode, das gilt jetzt. Man braucht dazu die Programme, die Menschen, die miteinander können, und wir brauchen gesellschaftliche Akzeptanz. Die Partei muss jetzt sehr schnell klären, wie der Oppositionskurs aussehen soll. Ich stehe für einen Kurs der Eigenständigkeit: Haushalt, Bildung, Sicherheit, Wirtschaft, Integration. Die Alternative ist, wieder ausschließlich zum parlamentarischen Arm der APO zu werden, der Entrechteten, der Benachteiligten? Das ist  - überspitzt gesagt – der Politikentwurf, den die parlamentarische Linke hier vertritt.

?: Du hast für Dich die Konsequenz gezogen, den Fraktionsvorsitz niederzulegen. Wie kam es dazu?

Volker:
Der gefühlte doppelte Wahlmisserfolg hat dazu geführt, dass die im Wahlkampf verdeckten Gräben aufgerissen wurden. Einige haben jetzt ihre Chance gewittert, unsere bisherige Linie der Eigenständigkeit zu revidieren und sich vor allem die Führungspositionen zu sichern. Der Richtungsstreit hat sich aber zunehmend personalisiert. Ich will ihn aber inhaltlich führen. Und deshalb habe ich mich entschieden, ein Schritt beiseite zu treten und nicht mehr mit dem Geschachere um Posten in Verbindung gebracht zu werden. Das war mir zuwider. Ich war aber auch fassungslos, dass so etwas passieren konnte. Dass 14 Leute in der Fraktion tatsächlich die interne Postenverteilung wichtiger fanden als einen starken Auftritt als Oppositionsführer, dass 14 Leute bereit waren zu akzeptieren, dass der Lebenspartner des Landesvorsitzenden nach dem Fraktionsvorsitz greift, ohne das wenigstens mal offen zu thematisieren. Ich habe das nicht kommen sehen und entschärft. Das ist meine Verantwortung. Deshalb bin ich gegangen.

?: Wie kann eine geschlossene Fraktion wieder entstehen?

Volker:
Durch eine schnelle Besetzung der offenen Positionen, durch eine schnelle Annahme der Oppositionsrolle und durch inhaltliche Arbeit. Rot-Schwarz konnte sich weitgehend unbehelligt von uns etablieren. Wir haben was zu sagen zu dieser Mut- und Ideenlosigkeit Wowereit'scher Politik. Es drohen weitere fünf verlorene Jahre.

?: Welche Rolle siehst Du für Dich persönlich in der Fraktion und der Partei?

Volker:
Ich will das bewahren, was wir im Wahlkampf neu erschlossen haben. Ich glaube, ich habe mit 300 Unternehmerinnen und Unternehmern geredet, zugehört, ihre Ideen kennen- und schätzen gelernt. Daran will ich weiter arbeiten. Und ich will den Richtungsstreit in der Partei klären. Und dann schauen wir mal.

?: Herzlichen Dank für das Gespräch