Zusammenhalt statt Spaltung – warum "länger miteinander und voneinander lernen" zu den Grundsätzen grüner Bildungspolitik gehört

05.04.18 –

Von Robin Völker

Schule ist sehr viel mehr als ein reiner Lernort, denn Bildung ist vor allem auch Persönlichkeitsbildung. Hier lernen junge Menschen sich selbst kennen, oft die erste Liebe und Freund*innen fürs Leben. Wenn Grüne sich für eine heterogenere Zusammensetzung der Schulen einsetzen, dann hat das nicht nur mit gleichen Bildungschancen für alle zu tun, sondern vor allem auch mit einem egalitären Menschen- und Gesellschaftsbild. „Länger miteinander und voneinander lernen“ ist daher nicht ohne Grund als Leitbild im Grundsatzprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN festgeschrieben.

Während bis in die 1980er Jahre hinein häufig von einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft gesprochen wurde, scheint sich unser Land immer stärker in eine kulturelle Klassengesellschaft zu entwickeln (Reckwitz, 2016). Das soziale und kulturelle Auseinanderdriften in unserem Land hat enorme Ausmaße angenommen – mit den bekannten politischen Folgen. Anders ausgedrückt: Wenn die U-Bahn bald der einzige Ort ist, wo Mandy, Ahmed, Carl und Charlotte noch aufeinandertreffen, kann ein gutes gesellschaftliches Miteinander, welches auf Solidarität und Akzeptanz des Anderen fußt, nicht mehr gelingen. Eine Schulpolitik, die es sich zum Ziel macht, dass Kinder und Jugendliche – egal woher sie kommen –  gemeinsam unter einem Dach Verständnis und Vertrauen für einander entwickeln, ist vielleicht daher so wichtig wie noch nie.

Bildungspolitik alleine wird diese Entwicklung nicht verhindern oder rückgängig machen können. Aber wie einst die sozialdemokratischen Bildungsreformen der 60er und 70er Jahre, muss Bildungspolitik wieder zentraler Bestandteil progressiver Gesellschaftspolitik sein. Hier besteht großer Nachholbedarf. Wir Grüne müssen Vorreiter dieser Entwicklung im 21. Jahrhundert werden. „Den Umgang mit Vielfalt nicht erlernen zu können und das Menschenrecht auf inklusives Lernen zu verweigern, das sind die zentralen Probleme unseres Schulsystems“ schreibt Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), daher nicht umsonst.

Wer behauptet, dass die soziale Zusammensetzung der Schulen keine Rolle spielt, unterschätzt nicht nur die gesellschaftspolitische Relevanz gemeinsamen Lernens, sondern verkennt vollkommen den Einfluss und die Rolle der Peergroup auf die Entwicklung und den Werdegang von Kindern und Jugendlichen. Wer Mitschüler*innen hat, die zum Klavierunterricht gehen, deren Eltern Regale voller Bücher besitzen oder deren ältere Geschwister an der Uni studieren, haben zumindest schon einmal die Chance andere Lebensstile- und entwürfe kennenzulernen (andersherum gilt selbstverständlich das gleiche).

Was passiert, wenn sich anhand des gegliederten Schulsystems homogene Schüler*innenschaften herausbilden, hat unter anderem die Studie von Bellenberg, Hovestadt und Klemm gezeigt:  Schüler*innen mit beispielsweise gleichen Leistungswerten (!) in Mathematik haben eklatant unterschiedliche Ausbildungswünsche, je nachdem welche Schulart sie besuchen.

Dabei müssen leistungsstarke Schüler*innen keine Angst haben mit leistungsschwächeren Schüler*innen zusammen zu lernen. Eine Analyse der Hamburger Längsschnittstudie KESS zeigt, „dass vor allem die schwächsten Schülerinnen und Schüler in leistungsheterogenen Schulklassen hinsichtlich ihrer Entwicklung profitieren konnten, während sich für die Leistungsspitze keine Nachteile abzeichneten“ (Scharenberg, 2012).

Zudem zeigt gerade die Berliner Gemeinschaftsschule in der wissenschaftlichen Begleitstudie, dass alle Schüler*innen vom gemeinsamen Lernen profitieren können. Andreas Schleicher, Bildungsdirektor bei der OECD und internationaler Koordinator für die PISA-Studien, kommt daher ebenfalls zu dem Schluss, dass „eine stärkere soziale Durchmischung an den Schulen vor allem sozial benachteiligten Schülern hilft, diesen Teufelskreis zwischen Benachteiligung und schwachen Leistungen zu durchbrechen“.

Robin Völker ist Mitglied im Kreisverband Neukölln.

Quellen:

  • Allmendinger, J. (2012). Schulaufgaben. Wie wir das Bildungssystem verändern müssen, um unseren Kindern gerecht zu werden.
  • Bellenberg, Hovestadt & Klemm (2005). Selektivität und Durchlässigkeit im allgemein bildenden Schulsystem. Rechtliche Darstellungen und Daten unter besonderer Berücksichtigung der Gleichwertigkeit von Abschlüssen. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
  • Reckwitz, A. (2016). Gesellschaft der Singularitäten
  • Scharenberg, K. (2012). Leistungsheterogenität und Kompetenzentwicklung. Zur Relevanz klassenbezogener Kompositionsmerkmale im Rahmen der KESS -Studie. Münster: Waxmann. http://www.face-freiburg.de/ringvorlesung1718_scharenberg/
  • Schleicher, A. (2018). OECD: "Vielfalt in Schulen ist ein Vorteil"http://www.dw.com/de/oecd-vielfalt-in-schulen-ist-ein-vorteil/a-42350210.

 

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