Gegen Hass im Netz – gemeinsam und solidarisch

23.09.23 –

Beschluss auf der Frauen*Konferenz:

Digitale Gewalt ist eine Bedrohung für unsere Demokratie. Digitale Gewalt schüchtert politisch Engagierte ein, sie attackiert Amts- und Mandatsträger*innen ebenso wie zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die sich in den politischen Diskurs einbringen. Menschen mit Diskriminierungserfahrungen sind besonders betroffen, etwa jene, die Sexismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ausgesetzt sind. Mit Beleidigungen und Bedrohungen sollen ihre Diskriminierungserfahrungen verstärkt und sie eingeschüchtert werden. Die Konsequenz ist vielfach: Selbstzensur aus Selbstschutz.

Digitale Gewalt ist kein spontanes Phänomen: politische Akteur*innen im In- und Ausland setzen digitale Gewalt systematisch und kampagnenartig ein, um Stimmen aus dem Diskurs zu drängen und sie von der Teilhabe auszuschließen. Sie greifen die freie und vielfältige Gesellschaft an, um Mehrstimmigkeit als Grundprinzip der Demokratie einzuschränken.

Physische Gewalt ist mit digitaler Gewalt direkt verbunden: Angriffe im Netz können die Vorstufe zu physischer Gewalt darstellen. Wir sehen das am Terror von Halle und Hanau, an den Morden an Walter-Lübcke und in Idar-Oberstein, am Tod von Lisa-Marie Kellermayr.

Frauen und Mädchen sind die größte und am häufigsten von digitaler Gewalt betroffene Gruppe. Laut Plan International Deutschland haben 70 Prozent der jungen Frauen in Deutschland im Internet bereits Bedrohungen oder Gewalt erlebt. Dabei ist eine intersektionale Perspektive wichtig, denn in der Öffentlichkeit sichtbare Frauen of Color, behinderte Frauen oder trans Frauen trifft besonders viel Hass. Und auch Politikerinnen werden häufig zur Zielscheibe: Mehr als zwei Drittel der weiblichen Bundestagsabgeordneten erhalten frauenfeindlichen Hass. Frauen in Ehrenämtern und aus der Kommunalpolitik leiden besonders unter dem Hass. Sie machen ehrenamtlich Politik und haben keine Mitarbeitenden, die sie bei der Bewältigung von Hassnachrichten unterstützen. Dieser Hass hat ein klares Ziel: ihre Stimmen aus dem Diskurs zu verdrängen. Das lassen wir nicht zu!

Digitale Gewalt hat viele Formen. Die wahrscheinlich bekannteste Form ist Hate Speech, also Hass-Postings von oft anonymen Accounts in sozialen Netzwerken oder Kommentarspalten, die die Betroffenen beleidigen, bedrohen, einschüchtern oder falsche Behauptungen über sie verbreiten. Aber auch Identitätsdiebstahl, Doxing1, Swatting2, Bloßstellung, Cybermobbing und Cyberstalking sind digitale Gewalt.

Digitale Gewalt kommt auch im sozialen Nahfeld vor, etwa an Schulen oder in Beziehungen, zum Beispiel wenn (Ex)-Partner*innen Betroffenen über digitale Medien nachstellen, mit Stalkersoft- und hardware überwachen oder damit drohen, intime Fotos und Videos zu veröffentlichen. Die Istanbul Konvention zum Schutz von Gewalt gegen Frauen verpflichtet Deutschland dazu, gegen Stalking bzw. Nachstellung vorzugehen und gesetzgeberische oder sonstige Maßnahmen zu treffen.

Wir setzen uns gegen alle Formen von digitaler Gewalt ein und fordern:

1. Strafverfolgung verbessern

Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei den Strafverfolgungsbehörden fehlt noch immer das Bewusstsein für die Tragweite von digitaler Gewalt. In Berlin kommt es immer wieder vor, dass Betroffene, die Anzeige erstatten wollen, von Polizist*innen abgewiesen werden, weil diese nicht ausreichend geschult wurden zu dem Thema und die Hürden in Bezug auf die Beweislast sehr hoch sind. Es ist in Berlin bislang nicht möglich, digital Anzeige zu erstatten: zwar gibt es ein Onlineportal, aber die Beweise müssen ausgedruckt und physisch ausgehändigt werden. Das ist umständlich, erhöht die Hemmschwelle für die Erstattung von Anzeigen und ist nicht mehr zeitgemäß. Deswegen fordern wir:

  • Polizei und Justiz müssen noch stärker für das Thema sensibilisiert und die Kompetenzen der Strafverfolgungsbehörden zu digitaler Gewalt und Hasskriminalität in der Aus- und Weiterbildung massiv verstärkt werden.
  • Bereits direkt bei der Erstattung von Anzeigen muss digitale Gewalt als Hasskriminalität eingestuft werden können, damit die Vorgänge auch wirklich bei den spezialisierten Abteilungen landen. Dabei müssen obligatorisch und explizit mögliche rassistische, sexistische, queer- oder behindertenfeindliche Motive erfragt werden.
  • Die Einrichtung einer Zentralstelle bei der Staatsanwaltschaft, die auf das Thema digitale Gewalt spezialisiert ist.
  • Wir wollen Betroffenen einen niedrigschwelligen Zugang zu ihrem Recht ermöglichen: Dazu müssen die Möglichkeiten der Online-Anzeigen ausgebaut werden.
  • Anzeigemöglichkeiten und zivilrechtliche Schritte für Betroffene bekannter zu machen und dafür ein Modellprojekt einer digitalen Gewaltschutzambulanz zu finanzieren, die psychologische Unterstützung, technische Hilfe und Beratung beim Stellen einer Anzeige bietet.

 

2. Beratungs- und Unterstützungsinfrastruktur ausbauen

Oftmals fühlen sich Betroffene bei digitaler Gewalt hilflos und alleingelassen. Auch ist das Wissen um die technischen Aspekte, wie auch die Mechanismen digitaler Gewalt nicht weit genug verbreitet. Diesem Missstand möchten wir eine breite Beratungs- und Unterstützungsinfrastruktur entgegensetzen. Dabei ist es uns wichtig, dass die Expertise von Betroffenen, zivilgesellschaftlichen Gruppen, wie auch der Forschung bei jeglichen politischen Maßnahmen und Gesetzesänderungen berücksichtigt und einbezogen wird. Um Betroffene von digitaler Gewalt adäquat betreuen und schützen zu können, fordern wir:

  • Die Förderung und der Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsangeboten wie etwa Opferberatungsstellen, Frauenhäuser und das Anti-Stalking-Projekt für Frauen. Um sich das notwendige technische Knowhow aneignen zu können, müssen sie mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden.
  • Die Hilfsinfrastruktur muss gefördert und ausgebaut werden: die unter R2G geschaffene Fachstelle Cybergewalt bei FRIEDA und andere Beratungsstellen benötigen weitere Ressourcen, um Betroffene betreuen und beraten zu können. Dafür muss die Finanzierung der Informations- und Beratungsstellen langfristig und nachhaltig gewährleistet sein.
  • Mitarbeiter*innen von Beratungs- und Hilfeprojekten benötigen regelmäßige Aus- und Weiterbildungen zu verschiedenen Formen digitaler Gewalt und ihrer Konsequenzen. Auch sollten sie die Möglichkeit erhalten, sich technisch fortzubilden.
  • Auch Betroffene sollten Zugang zu Technikberatung und Hilfeleistung erhalten: aktuell gibt es zu wenige Stellen, an die sich Betroffene und deren Umfeld bei technik- und internetspezifischen Fragen wenden können.
  • Fachberatungsstellen benötigen zusätzliche finanzielle Mittel, um IT-Fachpersonal hinzuziehen zu können und ihre eigene technische Ausstattung und digitale Infrastruktur abzusichern.
  • Der Opferschutz muss ins Zentrum des Kampfes gegen digitale Gewalt rücken: Betroffene brauchen Unterstützung bei dem Schutz ihrer Daten, ihre Informationsrechte über den Verlauf von Ermittlungen muss gestärkt werden und die Polizei soll an Organisationen wie HateAid vermitteln.

 

3. Bewusstsein für digitale Gewalt stärken

Vielfach ist das Wissen um digitale Gewalt noch nicht vorhanden – nicht in der Gesellschaft, nicht bei Institutionen. Auch Betroffene wissen oftmals nicht, dass das, was sie erfahren, digitale Gewalt ist und nicht „normal“. Daher wollen wir:

  • Aufklärung über die Möglichkeiten, sich vor digitaler Gewalt in der öffentlichen Sphäre, aber auch im Nahfeld zu schützen bzw. sich dagegen zur Wehr zu setzen speziell für junge Menschen, Frauen und Menschen mit Diskriminierungserfahrungen.
  • Öffentliche Debatte zu geschlechtsspezifischen Aspekten von digitaler Gewalt und Hate Speech und der Verschränkung mit anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus, Antisemitismus oder Behindertenfeindlichkeit.
  • Awarenesskampagnen durch öffentliche Institutionen und Politik, die für verschiedene Formen digitaler Gewalt sensibilisieren, Betroffenen vermitteln, wo sie Hilfe erhalten und Nicht-Betroffenen erklären, wie sie unterstützen können.
  • Medienkompetenz, Aufklärung über die Folgen von digitaler Gewalt und Awareness schon bei Schüler*innen fördern – ohne dass als Bedingung dafür die Nutzung vorausgesetzt wird. Dazu gehört auch der Ausbau der Medienbildung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, um die Sensibilität zu erhöhen, Betroffene zu stärken und Taten vorzubeugen.
  • Mehr Bewusstsein über Victim Blaming: Die Verantwortung für Gewalterfahrungen bei den Betroffenen zu suchen ("Dann geh doch nicht ins Internet") ist Teil unserer Rape Culture und erschwert es Betroffenen, sich zu wehren und gegen digitale Gewalt vorzugehen.

 

4. Forschung

Beim Thema digitaler Gewalt bestehen noch große Forschungslücken. Daher wollen wir die Wissenschaft, aber auch die Zivilgesellschaft dabei unterstützen, diese Lücken zu schließen und ein fortwährendes Monitoring zu etablieren. Dazu wollen wir:

  • Im Berliner Monitoring zur Versorgungssituation von Gewalt betroffener Frauen in Berlin den Phänomenbereich der digitalen Gewalt konkret berücksichtigen: Es gibt bisher keine verlässliche, umfassende Erfassung und kein Monitoring neuer Phänomene.
  • Wir brauchen aussagekräftige Studien über Ausmaß und Ausprägung digitaler geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland, die auch intersektionale Aspekte berücksichtigen. Das Gutachten "Geschlecht und Gewalt im digitalen Raum" für den Dritten Gleichstellungsbericht ist dabei ein guter Anfang, zeigt aber auch auf, wo weiterhin Forschungslücken bestehen: Es fehlen aktuelle repräsentative Daten und Dunkelfeldstudien.
  • Weitere wichtige Forschungslücken sind die materiellen und psychosozialen Folgen von digitaler Gewalt und die Verknüpfung von analoger und digitaler Gewalt. Solche Projekte müssen gefördert und ausgebaut werden.

 

5. Bundesebene

Wir setzen uns dafür ein, dass das Thema digitale Gewalt auch auf Bundesebene stärker berücksichtigt wird. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung an einem Gesetz gegen digitale Gewalt arbeitet. Allerdings muss die Kritik von Verbänden (z.B. HateAid) am Eckpunktepapier für ein neues Gesetz gegen digitale Gewalt im Gesetzgebungsverfahren im Bundestag berücksichtigt werden. Dafür werden wir uns auf Bundesebene einsetzen. Außerdem muss digitale geschlechtsspezifische Gewalt Berücksichtigung in der Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung und in der Gesamtstrategie zur Umsetzung der Istanbul Konvention finden.

  • Die "Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet" des BKA soll besser ausgestattet und bekannter gemacht werden.
  • Die gemeinnützige Organisation HateAid muss weiter über Bundesmittel gefördert werden, wenn wir wollen, dass Frauen weiterhin gegen Hass im Netz unterstützt und empowered werden.
  • Die bisher existierenden Melderegistersperrungen des Bundesmeldegesetzes sind unzureichend um vor Doxing zu schützen und werden nicht konsequent eingehalten, hier muss gesetzlich dringend nachgebessert werden. Wir setzen uns dafür ein, die Hürden zur Erwirkung einer Auskunftssperre im Melderegister für Gewaltbetroffene, Berater*innen und gefährdete zivilgesellschaftliche Akteur*innen zu senken.
  • Wir setzen uns dafür ein, die Regelungen zum Umgang mit der bestehenden Impressumspflicht im Telemediengesetz so anzupassen, dass die Erreichbarkeit von Seiten- und Blogbetreiber*innen gesichert ist, sie dadurch aber keiner Gefährdung ausgesetzt sind.

Alle weiteren Anträge der Frauen*Konferenz 2023 findet ihr hier bei unseren Beschlüssen.

 

1Doxing bezeichnet das Veröffentlichen von persönlichen Daten ohne Zustimmung, z.B Wohnadresse oder Telefonnummer der betroffenen Person.

2Beim sogenannten Swatting gehen unter falschen Behauptungen Notrufe ein, die einen Polizeieinsatz bei der betroffenen Person auslösen.