Protokoll der Sitzung vom 2.4.2012

29.05.12 –

Protokoll der Sitzung der Berliner LAG Frieden & Internationales vom 2. April 2012

 

Protokoll: Felix 

 

Tagesordnungspunkte:

TOP1: Sicherheitssektorreform/Polizei in Friedenseinsätzen

TOP2: Terminplanung

 

TOP1: Sicherheitssektorreform/Polizei in Friedenseinsätzen

 

Tobias Pietz vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) stellte kurz das ZIF vor. In seine Zuständigkeit fällt zur Zeit auch der Einsatz von Polizei in Friedenseinsätzen.

 

Es gab in letzter Zeit einen rapiden Anstieg der Anzahl von PolizistInnen in VN-mandatierten Friedenseinsätzen; 1989 waren es noch 35, 2011 waren es schon 17500.

 

Es gibt eine European Gendarmerie Force, eine Initiative von Frankreich, Italien, den Niederlanden, Portugal und Spanien. Es gibt geschlossene Polizeieinheiten, die als Ganzes im Ausland eingesetzt werden können; das ist in Deutschland nicht möglich, sowohl weil Deutschland aus historischen Gründen keine Gendarmerie hat, als auch weil in Deutschland Auslandseinsätze freiwillig sind; es ist aber immer wieder im Gespräch, ob Deutschland dennoch irgendwie solche Einheiten zur Verfügung stellen könnte. Deutschland hat einige Hundert PolizistInnen in Auslandseinsätzen; davon zur Zeit relativ wenige in VN-geführten Einsätzen.

 

Ein ungelöstes Problem ist, wer die PolizistInnen stellt. Die Aufteilung auf die Länder wird zurzeit nach dem Königssteiner Schlüssel bestimmt; die dezentrale, föderale Struktur ist zum Teil ein Problem. Es wird aber darüber nachgedacht, wie eine „Auslandsreserve“ aufgebaut werden könnte; in anderen Ländern gibt es hierfür mehr zentrale Strukturen. Bei Grünen, auch SPD und FDP besteht Interesse, in dieser Richtung weiterzukommen.

 

Schon in der Ausbildung müsste Auslandseinsatz als Karriereweg aufgezeigt werden, Sprachausbildung u.ä., Auslandseinsatz wird allgemein nicht als karriereförderlich gesehen, obwohl die, die zurückkommen, berichten, wie die Erfahrung sie bereichert hat.

 

 

Polizeihauptkommissar Robert Pieper ist seit 1975 bei der Berliner Polizei, war drei Jahre lang Leiter des Berliner Anti-Konflikt-Teams und dreimal im Auslandseinsatz:

 

2001/2002 Kosovo

2006/2007 Südsudan

2010/2011 Südsudan

 

Er berichtete aus dem Südsudan. Nach dem Friedensschluss mit dem Norden treten zuvor hintangestellte Streitigkeiten zwischen verschiedenen Stämmen wieder stärker hervor. Beispielsweise wurden in einem eskalierenden Konflikt aus Anlass eines Viehdiebstahls 80 Menschen getötet.

 

Im Einsatz bestimmen die VN, wo die PolizistInnen eingesetzt werden. Viele wissen das vor dem Einsatz nicht; es wird ihnen nicht deutlich genug gesagt, und das trägt zu Enttäuschungen über die Einsätze bei.

 

Es gibt vollzugsnahe Einsätze, z.B. im Kosovo, auf denen Streife gegangen wird usw. Der Einsatz im Südsudan ist ganz anders. Die PolizistInnen haben keine exekutiven Aufgaben. Das ist schwierig durchzuhalten; man wird ZeugIn von Übergriffen aber darf nur verbal eingreifen. In der Realität wird doch eingeschritten, aber das führt zu Verwicklungen.

 

Die tägliche Arbeit besteht darin, Hilfestellung zu geben. Die PolizistInnen gehen zur örtlichen Polizeiwache und geben Tipps, was man besser machen könnte, insbesondere auch in Bezug auf eine demokratische Polizei. Das bezieht sich auf alle Ebenen; z. B. war Herrn Piepers Gegenüber ein State Commissioner, der ständig abgelenkt wurde, weil Leute ungefiltert in sein Büro kamen, obwohl im Vorzimmer fünf Beamte saßen; der Ratschlag war in diesem Fall, dass die Beamten im Vorzimmer dafür zuständig sind, nur die Fälle zum State Commissioner vordringen zu lassen, bei denen das angebracht ist.

 

Es werden Trainings angeboten; bei der ersten Mission wurden diese noch von den einzelnen Ländern konzipiert, inzwischen wurden sie von den VN vereinheitlicht. Einiges ist nicht sinnvoll, weil es nicht praktiziert werden kann und dann vergessen wird, z. B. Fingerabdrücke nehmen. Deshalb Konzentration auf praktisch Relevantes wie Durchsuchungen oder Anhalten von Fahrzeugen. Es bestand großes Interesse und auch Dankbarkeit; zum Teil wurden noch Nachfragen gestellt, wenn man die PolizistInnen privat z. B. auf dem Markt traf.

 

Themen waren auch Menschenrechte, Gender, Umgang mit Kindern. Verständigung war schwierig. Offizielle Sprachen sind Englisch und Arabisch; Arabisch wird wegen des Konflikts mit dem arabischsprachigen Norden nicht gerne gesprochen. Englisch sollten nominell alle können, tatsächlich gab es aber immer wieder Leute, mit denen sich niemand, auch nicht die DolmetscherInnen, verständigen konnte. [Ende 2011 wurde Englisch zur einzigen Amtssprache: www.bbc.co.uk/news/magazine-15216524].

 

Es kam auch vor, dass PolizistInnen aus Zimbabwe, Sambia und den Nachbarländern Ruanda und Uganda den Südsudan als rückständig bezeichnet und die Stammesproblematik als wesentliches Hindernis für moderne Staatlichkeit identifiziert haben.

 

Fragerunde:

 

Wie steht es mit der Bezahlung? Angesichts hoher Arbeitslosigkeit ist ein Job bei der Polizei zwar begehrt, aber nicht mit viel Prestige verbunden; manche schauen auf die PolizistInnen herab. Diese tragen zum Teil durchgehend ihre Uniformen, weil die von deutlich höherer Qualität sind als ihre privaten Kleider.

 

Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen jungen RekrutInnen, die rege sind, Ideen haben, Vorstellungen, was sie als PolizistIn machen wollen; und älteren, die durch den Krieg geprägt sind, sich aufgrund nicht vorhandener Pensionsansprüche so lange wie möglich im Job halten wollen, ohne sich dabei aber aktiv einzubringen.

 

Die Resonanz in der Bevölkerung ist größtenteils sehr positiv. Es wird positiv bewertet, dass die Polizei eine richtige Ausbildung bekommt und dann nicht mehr den Charakter marodierender Banden hat. Inhalt der Ausbildung ist auch, dass bei der Streife das Ziel nicht ist, dass die Bevölkerung Angst vor der Polizei hat (was verbreitet ist), sondern die Kommunikation mit der Bevölkerung.

 

Die Vorbereitung auf den Einsatz läuft sehr gut.

 

Die Auswirkungen des Einsatz auf die Karriere einer PolizistIn können sehr verschieden sein und hängen von den einzelnen Vorgesetzten ab. Herr Pieper selbst hat nur positive Erfahrungen gemacht, konnte in seinen vorherigen Job zurück oder eine angemessene Anschlussverwendung finden und hatte keine Nachteile bei der Beförderung. Er kennt aber auch einen Fall, in dem jemand vom LKA ein Jahr weg war und das in seinem Umfeld ungefähr so gesehen wird, als hätte er ein Jahr Urlaub gemacht; ihm werden jetzt tendenziell weniger interessante Aufgaben übertragen, als zur nahtlosen Fortsetzung seiner vorherigen Karriere gepasst hätte. Es wird aber immer wieder von der Polizeiführung klargestellt, dass das nicht die Politik der Behörde ist und die Übernahme von Auslandseinsätzen explizit erwünscht ist.

 

Tobias Pietz: Was solche Strukturfragen angeht, müsste die Politik ganz klare Aussagen machen, damit sich da etwas ändert und man in Richtung einer Auslandsreserve vorankommt.

 

Frage zur Korruptionsbekämpfung: Das hat gar keine Rolle gespielt, sollte aber in Angriff genommen werden.

 

Gibt es über die Stammeszugehörigkeit hinaus ein Nationalgefühl, eine gesellschaftliche Vision, wo es hingehen soll? Stammeszugehörigkeit steht im Vordergrund. Ein hochrangiger Polizist ist gestorben und wurde durch jemanden von einem anderen Stamm ersetzt; nach wenigen Wochen beschwerte sich der Gouverneur bei der Zentralregierung, offiziell wegen fachlicher Qualifikationen, tatsächlich aber bekanntermaßen aufgrund der Stammeszugehörigkeit; daraufhin wurde der Neue versetzt und durch ein Mitglied des „richtigen“ Stammes ersetzt.

 

Während des Referendums zur Unabhängigkeit des Südsudans wurde unter der Hand gesagt, dass die Stammesältesten gesagt hatten, während des Referendums sollten keine Viehstreitigkeiten ausgetragen werden, das Referendum soll friedlich ablaufen; danach kann man sie wieder aufgreifen.

 

Frage zur Parlamentsbeteiligung bei ziviler Komponente: Diese wäre wünschenswert, da nur dadurch diese Komponente dasselbe Gewicht bekommen würde wie die militärische. Es wäre wichtig, daß mehr ParlamentarierInnen u.ä. z.B. nach Südsudan reisen und nicht immer nur nach Afghanistan.

 

Frage dazu, wie Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern dasteht und wo es Beispiele gibt, von denen man lernen könnte: Berlin liegt irgendwo in der Mitte, Nordrhein-Westfalen ist überall beteiligt; Herr Pieper weiß nicht, woran das liegt. Berlin beteiligt sich an Afghanistan, Kosovo und Südsudan. Herr Pieper wäre gerne nach Darfur gegangen, aber das ist in Berlin nicht möglich.

 

Das Gehalt wird vom Land weitergezahlt, die Zulagen übernimmt der Bund; es wäre aber wünschenswert, dass der Bund in dieser Zeit das Gehalt übernimmt, damit das Land keinen Nachteil hat und Ersatz finanzieren kann.

 

Bei Einsätzen mit viel Personal gibt es mehr landeskundliche Vorbereitung; wenn nur wenige geschickt werden, ist das schwieriger. Es wird aber auch Weiterbildung in Bezug auf allgemeine interkulturelle Kompetenz angeboten. Sprachkurse gibt es in Berlin nicht; es gab früher welche für Englisch und Französisch; sie wurden eingespart; an den Polizeiakademien in anderen Bundesländern gibt es Sprachkurse.

 

Frage zur Motivation: Beim Kosovo ging es darum, noch mal was Neues zu machen; danach schien das abgeschlossen. Dann kam aber eine Anfrage wegen Südsudan. Der Umgang mit dem lokalen Gegenüber hat großen Spaß gemacht; kleine Ziele, den Leuten konkret etwas beizubringen, nicht über Nacht eine perfekte Demokratie aufzubauen, aber konkrete Fortschritte zu machen, die man sehen kann; daß jemand nachher etwas kann, was er vorher nicht konnte. Frage auch nach den Motivationen anderer: Diese sind vielfältig: das Gefühl, dass dort jemand helfen muss, Abenteuerlust, Geld, ...

 

Streitschlichtung, z.B. in Bezug auf Viehstreitigkeiten, gehört nicht zu den Aufgaben.

 

Es kommt, sowohl bei PolizistInnen als auch bei anderen Zivilen, auch vor, dass einzelne AnwärterInnen nicht für den Auslandseinsatz genommen werden.

 

TOP2: Terminplanung

 

Der LAG-Termin vom 28. 5. verschiebt sich pfingstmontagsbedingt auf den 21.5.

Der Termin am 30. 4. bleibt trotz Brückentags vor dem 1. Mai bestehen.