Wer übernimmt die Verantwortung?

06.01.12 –

von Sergij Goryanoff

(Stachlige Argumente Nr. 184, Winter 2011, online)

Die Kritik von Ramona Pop im Tagesspiegel vom 08.11. 2011 am personalisierten Wahlkampf, fixiert auf die Spitzenkandidatin, mit seiner phrasierten Inhaltslosigkeit kommt ziemlich wohlfeil daher. Das scheint auch die Tendenz zu sein, mit der einige Leitungs- und Funktionsträger in der Berliner grünen Partei das mea culpa als Gesamtverantwortung auf die ganze Partei übertragen wollen. Doch so einfach ist es nicht, das Büßerhemd mit dem Slogan „wir sind alles Schuldige“ allen Mitgliedern überstreifen zu wollen. Sicherlich haben die Parteimitglieder das gesamte Wahlkampfkonzept, sowie die Strategie und Organisation nicht deutlich kritisch hinterfragt und eigene Vorschläge nur zögerlich angemeldet. Schon die Gewährung der Rückfahrkarte der Spitzenkandidatin, bei „Nichtgelingen“ ihr Zurück in den Bundestag zu gewährleisten, galt bei den Berliner Wählern nicht gerade als Beweis für den bedingungslosen Einsatz grüner Politik. Hier bleibt ein „Geschmäckle“ zurück. Die grüne Partei als Plattform für wechselseitige Karrieren von Berufspolitikern.

Doch die Problemlage liegt viel tiefer und breiter. Eine reine Personalisierungsdiskussion wäre nicht nur die Fortsetzung des „amerikanisierten Personenkultwahlkampf“ sondern würde die sich in der Partei etablierten Hierarchiestrukturen ausblenden, die diese Fehlentwicklung möglich gemacht und gesteuert haben.
Hervorzuheben ist dabei besonders:

  • Die von den demokratischen Strukturen der Parte nicht legitimierte Einrichtung eines Wahlkampfstabes, der völlig losgelöst von der Parteibasis agierte.
  • Mitglieder dieses Wahlkampfstabes, die weder dem Landesverband angehörten und sich auch nicht durch notwendige Kenntnisse in der Berliner Landespolitik auszeichneten.
  • Der durch den Wahlkampfstab (und Schreibgruppe) verfälschende Texterstellungsprozess grüner Programmatik, bei dem der Großteil der in den LAGen und den Bezirken erarbeiteten Programmvorschläge textlich weich gespült wurde. Das grüne Programm als politischer Konjunktiv.

Es wäre naiv, anzunehmen, dass neben anderen gravierenden Fehlern, wie Fehlen eines Plan B, peinliche Plakatwerbung („Renate sorgt“), nicht abgestimmte Projektziele (Bsp. Flughafen, Lehrerverbeamtung, 30 km etc.) diese Entwicklung nicht zufällig oder aus Unkenntnis der Bedingungen heraus entstanden ist.

Seit der vorletzten Wahl arbeitet Volker Ratzmann als Fraktionsvorsitzender und eine Reihe anderer Mandatsträger in der Opposition an einem Bündnis mit der CDU. Undiskutiert und an der Parteibasis vorbei. Mit Renate als Spitzenkandidatin und der Aussicht auf illusionäre 30 % Wähleranteil wollte diese Gruppierung diese Option weiterhin aufrecht halten. Dazu musste Organisation sowie inhaltliche Aussagen des Wahlkampfes auf die Formel getrimmt werden „Wir können mit jedem, sogar mit der CDU“. Daraus erwuchs zwangsläufig die schwammige und weichgespülte Programmatik “nach allen Seiten hin offen“ und zweitens eine Wahlkampfführung, die der Parteibasis aufgesetzt werden musste. Denn eine solche Offenhaltungsstrategie aus dem innerparteilichen demokratischen Diskurs her aufzubauen, hätte wegen der dann auftretenden vielen Einwände und vor allem auch vieler sozial- und migrationspolitischen Forderungen aus einer ganzen Reihe von Bezirken und LAG’en nicht zu dem von der Fraktionsführung und ihrer umliegenden Mandatsträger gewünschten Ergebnis führen können. Damit war die Strategie der autoritären Implementierung von oben in die Partei hinein vorgegeben. Wesentliche und grundlegende Pflöcke mussten also schon eingeschlagen werden, bevor in der Partei breit darüber diskutiert konnte. Daher die schnelle Entscheidung des alten Landesvorstandes, Volumen und Vertragsgrundlage des Wahlkampfbudgets fest zu zurren. Der weitere Verlauf ist nach dem Oben Gesagte bekannt.

Für diese, innerdemokratischen Fehlentwicklungen sowie die damit einhergehenden falschen politischen Weichenstellungen sind in erster Linie die Verantwortungsträger aus Fraktion und dem alten Landesvorstand verantwortlich. Wir wissen nicht was Ramona Pop empfiehlt, wir empfehlen für diese Fehlentwicklung gerade zu stehen und zur Erlangung einer Erholungspause in das zweite Glied zurück zu treten.

Der Autor ist Mitglied des Kreisverbandes Friedrichshain-Kreuzberg

11.11.2011