Für eine Berliner Polizeistudie

16.12.20 –

Vorläufiger Beschluss auf dem Landesausschuss:

In den letzten Monaten und Jahren mehren sich die Berichte über rechtsextreme und rassistische Chatgruppen sowie rechte Netzwerke bei der Polizei: Im Zusammenhang mit dem sog. Nordkreuz-Komplex besteht u.a. der Verdacht, dass ein Polizist Munitionsbestände der Polizei entwendet hat. Ein sog. NSU 2.0 bedroht Menschen und es gibt Hinweise darauf, dass die dafür genutzten Daten aus polizeilichen Datenverarbeitungssystemen – auch der Berliner Polizei - stammen. Die bislang bekannt gewordenen Vorfälle sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt. Fortlaufend werden neue Verdachtsfälle bekannt. Seit 2016 gab und gibt es in Neukölln über 70 rechtsextreme Anschläge gegen Helfer*innen, die sich für Geflüchtete und gegen rechts engagieren. Betroffene kritisierten die mutmaßlichen Verbindungen von einigen Polizeibeamt*innen zu Täter*innen, so steht der Vorwurf der Weitergabe von Polizeiinterna an das tatverdächtige Milieu im Raum. Wer noch immer von Einzelfällen spricht, will die Hinweise auf ein strukturelles Problem nicht erkennen.

Dabei ist klar: Jede auf Rassismus oder Diskriminierung zurückzuführende polizeiliche Maßnahme und jede*r Mitarbeitende mit rassistischer, rechtsextremer oder antisemitischer Einstellung in den Sicherheitsbehörden stellt eine Bedrohung für Rechtsstaat und Demokratie dar und führt zu einem enormen Vertrauensverlust. Dabei ist das Vertrauen der Bürger*innen in die Polizei die Grundvoraussetzung für deren erfolgreiche Arbeit.

Die bekannt gewordenen Sachverhalte lassen jedoch keinen belastbaren Rückschluss zu, wie weit rassistische, antisemitische und rechtsextreme Überzeugungen in den Sicherheitsbehörden tatsächlich verbreitet sind. In einer solchen Situation helfen weder das Zurückweisen jeglicher Kritik an den Sicherheitsbehörden noch undifferenzierte Anschuldigungen. Vielmehr ist zunächst eine solide Datengrundlage durch eine wissenschaftlich unabhängige Analyse zu ermitteln. Erst auf einer solchen Grundlage können evidenzbasierte Einschätzungen und Lösungsstrategien entwickelt werden. Damit werden auch all die Mitarbeitenden der Sicherheitsbehörden gestärkt, die fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen und sich täglich bemühen, jede Form von Diskriminierung zu verhindern und zu beseitigen und damit helfen, eine Kultur der Wertschätzung von Vielfalt zu fördern. Gleichzeitig wird damit die politische Debatte versachlicht.

Daher fordern wir:

  • Eine von unabhängigen Forschenden konzipierte und durchgeführte eigenständige Studie zu strukturellem Rassismus, rechtsextremistischen, rassistischen und antisemitischen Einstellungen und Racial-Profiling in den Berliner Sicherheitsbehörden.
  • Die Untersuchung der Fehlerkultur in den Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit rechsextremistischen, rassistischen und antisemitischen Vorfällen und die Analyse existierender Schutzmechanismen gegen die Verbreitung dieser Einstellungen sowie die Vorlage von Verbesserungsvorschlägen.
    • Die Studie soll dabei folgende quantitative und qualitative Aspekte berücksichtigen:
    • Befragungen von allen Dienstkräften der Berliner Polizei analog der sogenannten „Mitte-Studie“ bzw. des „Berlin Monitors“, um ein Lagebild über Einstellungen innerhalb der Polizei zu erlangen
    • Durchführung einer diskriminierungskritischen Organisationsuntersuchung der Berliner Polizeibehörde und darauf aufbauend die Entwicklung von Empfehlungen für eine Diversity-Gesamtstrategie bei der Polizei – insbesondere unter Berücksichtigung von: Untersuchung der polizeilichen Aus-, Fort- und Weiterbildung und Entwicklung von Empfehlungen für Curricula, Lehrinhalte und -materialien, um eine diskriminierungskritische und diversitätsorientierte polizeilichen Grundhaltung und Praxis zu vermitteln und Straftaten mit rassistischem, diskriminierendem und rechtsextremem Hintergrund besser zu erkennen
    • Untersuchung aller Richtlinien, Anweisungen sowie von Einsatzplänen, Einsatzstrategien und sonstigen Praxen der Berliner Polizeibehörde auf mittel- und unmittelbare sowie institutionelle Diskriminierung
    • Erhebung einer repräsentativen Umfrage unter potentiell von Rassismus und Racial Profiling betroffenen Personen zu ihrem Vertrauensverhältnis zur Polizei sowie darauf aufbauend die Entwicklung von Empfehlungen für vertrauensbildende Maßnahmen zwischen ihnen und der Polizei, wie etwa ein „Community Policing“-Konzept.
    • Untersuchung von Racial Profiling an sogenannten „Kriminalitätsbelasteten Orten“ (KBOs), die auch den Einsatz und Nutzen der verdachtsunabhängigen Kontrollen sowie die Möglichkeiten eines Ticket-Systems prüft.
  • Das ins-Benehmen-setzen mit den übrigen Ländern, um im Idealfall ein länderübergreifendes Forschungsprojekt zu ermöglichen.
  • Die zeitnahe Orientierung der Berliner Innenpolitik an den Erkenntnissen und Lösungsvorschlägen der Studie.
  • Die regelmäßige Wiederholung der Studie, um die Entwicklungen in den Sicherheitsbehörden und die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen evaluieren zu können.

 

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