Lisa Paus ist seit dem 27. April Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die frauenpolitische Sprecherin des Landesvorstands, Jana Brix, hat Lisa getroffen und mit ihr über ihre wichtigsten Vorhaben, ihr Verständnis von Feminismus und Entspannung gesprochen.

Liebe Lisa, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Amt. Du bist jetzt seit knapp drei Monaten im Amt, bist Du gut angekommen?

Vielen Dank! Ja, ich bin sehr gut angekommen. Es ging allerdings gleich richtig los: mit den Haushaltsverhandlungen. Noch zwischen Ernennung und Vereidigung hatte ich schon Gespräche mit den Berichterstatter*innen  aller Fraktionen zu meinem Haushalt. Auf der Kabinettsklausur in Meseberg habe ich dann die Kabinettskolleg*innen schnell kennengelernt. Also ich bin schon sehr gut gestartet und fühle mich im Haus wirklich gut aufgehoben.

Die Ampel hat sich viel vorgenommen für Familien. Hast Du ein persönliches Herzensprojekt?

Die Kindergrundsicherung ist mein absolutes Herzensprojekt. Gemeinsam mit anderen habe ich das grüne Konzept dazu bereits vor Jahren erarbeitet. Ich möchte, dass wir nächstes Jahr einen Gesetzesentwurf haben, der  dann schnellstmöglich beschlossen werden kann. Mein Ziel ist, dass wir spätestens Anfang 2025 die Auszahlung starten können, damit Kinder und Jugendliche die bestmögliche Unterstützung erhalten. Als Überbrückung bis zur Einführung der Kindergrundsicherung haben Bundestag und Bundesrat ab 1. Juli einen Kindersofortzuschlag beschlossen. Rund drei Millionen von Armut betroffene Kinder erhalten damit unbürokratisch 20 Euro zusätzlich im Monat. Diesen Aufschlag wird es dauerhaft und lückenlos bis zur Einführung der Kindergrundsicherung geben.

Mit der Ampel sind nach 16 Jahren Union viele gesellschaftspolitische Hoffnungen verknüpft, insbesondere von Menschen, deren Lebensalltag nicht dem traditionellen Bild von Ehe und Familie entspricht. Was hast Du vor?

Der gesellschaftspolitische Aufbruch wird auch bei der Kindergrundsicherung deutlich. Wir stellen die Familienförderung damit komplett vom Kopf auf die Füße, sodass sie endlich bei allen Familienformen gleichermaßen ankommt. Die Unterstützung wird künftig an den Bedarfen der Kinder ausgerichtet und nicht an überholten Familienbildern. Darüber hinaus wollen wir getrennt lebende Elternteile stärker unterstützen. Häufig haben sie höhere Kosten, wenn zum Beispiel beide Eltern ein Kinderzimmer in ihrer Wohnung einrichten müssen. Dazu kommt, dass für viele Frauen das Altersarmutsrisiko noch immer deutlich größer ist. Das liegt oft daran, dass  Frauen den Hauptteil der Care-Arbeit übernehmen und so nicht für das Alter vorsorgen können. Das gilt insbesondere für Alleinerziehende. Okay ist das nicht. Deswegen wollen wir Alleinerziehende besser unterstützen, z. B. indem wir statt Entlastungsbeträgen eine Steuergutschrift ausstellen. Das ist zielgenau und kommt bei Alleinerziehenden mit mittleren Einkommen an. Das sind meine drei Prioritäten, die alle dazu führen, dass wir Familien spürbar unterstützen und das unabhängig vom Trauschein oder der gewählten Familienform.

Die Kindergrundsicherung ist mein absolutes Herzensprojekt. Wir stellen damit die Familienförderung komplett vom Kopf auf die Füße, sodass sie endlich bei allen Familienformen gleichermaßen ankommt.

 

Gibt es Projekte oder Ideen, wie die Situation von Regenbogenfamilien verbessert werden kann? Sven Lehmann ist ja auch Teil Deines Ministeriums!

Genau (lautstark)! Wir haben den ersten Queer-Beauftragten der Bundesregierung – für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt! Und auch hier ist eine ganze Menge geplant, allem voran eine große Reform des Familien- und Abstammungsrechts. Das liegt federführend bei Marco Buschmann im Justizministerium, aber da sind wir gemeinsam dran. Vorab wollen wir in einer kleinen Reform schon mal die Situation von lesbischen verheirateten Paaren, die ein Kind bekommen, verbessern. Denn derzeit werden nach der Geburt des Kindes nicht beide Partner*innen automatisch, wie üblich, als Eltern anerkannt. Aber wir wollen noch mehr: In der großen Reform wird auch die Möglichkeit, eine Verantwortungsgemeinschaft zu bilden, endlich rechtlich abgesichert. Eine solche Gemeinschaft können auch drei oder mehr Personen jenseits von Liebesbeziehung bilden. So wollen wir anderen Lebensentwürfen neben der Ehe die Möglichkeit geben, gemeinsam Verantwortung füreinander zu übernehmen.

Eine andere Gesetzesreform, die gerade medial sehr viel Aufmerksamkeit bekommt, ist das sogenannte Transsexuellengesetz. Das Transsexuellengesetz wurde schon vor 14 Jahren vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, aber vor allem dank der CDU ist seitdem nichts passiert.

Krass, oder? Die Union überrascht einen immer wieder (lacht).

Ja, das sowas überhaupt möglich ist. Aber wie schätzt Du die Chancen ein, dass dieser Missstand bald behoben wird?

In der Tat wollen wir das Transsexuellengesetz endlich abschaffen und durch ein modernes Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Bereits in meinen ersten beiden Wochen hatte ich einen Termin mit dem Justizminister dazu und kann sagen: Schon im Juli wollen wir gemeinsame Eckpunkte für ein Gesetz vorlegen. Wenn alles gut läuft, kann das auch in diesem Jahr noch was werden.

Wow, 14 Jahre ist nichts passiert und Du machst es jetzt in wenigen Monaten. Perfekt. Mich interessiert noch das zweite F in deinem Ministerium, nämlich das F, das für Frauen steht oder vielleicht auch für Feminismus. Du bezeichnest Dich ja auch als Feministin. Wie und wo bist Du denn mit dem Thema Feminismus in Kontakt gekommen?

Das fing ehrlicherweise mit der eigenen Betroffenheit an. Ich hatte immer bessere Noten als meine beiden Brüder, mein bestes Fach war Mathe und dennoch: Als ich bei der Maschinenbau- Firma meines Vaters eine Maschine bedienen wollte hieß es "Hol du mal Kaffee!" Das hat mich einfach geärgert. Dann hab ich natürlich angefangen zu lesen und hab alles aufgesogen, was es an Literatur gab, von Simone de Beauvoir bis Judith Butler. Und gemerkt: da geht noch mehr. Da muss noch mehr gehen.

Bei so vielen Projekten und Vorhaben: wie schaffst Du es, dennoch mal so richtig zu entspannen? Das wichtigste ist erst mal: Schlaf. Ich bin mit einem guten Schlaf gesegnet, und das Beste zum Entspannen ist einfach mal so richtig ausschlafen. Danach kommt tatsächlich auf-dem-Sofa-liegen, früher mit einem guten Buch heute eher mit Netflix. Da gibt’s ja auch ganz viele tolle Serien auch zu Themen meines Hauses, z. B. Sex  Education. Und wenn dann noch Zeit bleibt: Yoga und ans Wasser.

Diesen und viele weitere Artikel findest Du in unserer aktuellen Ausgabe der Stachligen Argumente.