KINDERSCHUTZ STÄRKEN – FACHKRÄFTE QUALIFIZIEREN

27.09.19 –

KINDERSCHUTZ STÄRKEN – FACHKRÄFTE QUALIFIZIEREN

Ein sicheres und geborgenes Zuhause ist für Kinder die Voraussetzung für ein gesundes Heranwachsen. Es ist Aufgabe der Familienpolitik dafür zu sorgen, den Ausstieg aus Gewalt und Missbrauch für Frauen und Kinder nachhaltig und sicher zu gestalten. Dafür braucht es geschultes Personal in den Jugendämtern und bei den Familiengerichten.

Die Rechtsstellung von Kindern in familiengerichtlichen Verfahren erfährt auf politischer Ebene, in juristischen Fachkreisen und in der Kinder- und Jugendhilfe eine immer größere Aufmerksamkeit. Dies betrifft sowohl Sorge- und Umgangsverfahren wie auch Kinderschutzverfahren. Es geht dabei um die Frage, wie die besonderen psychischen und emotionalen Bedürfnisse von Kindern ihrem jeweiligen Alter entsprechend zum Maßstab für das Handeln aller Beteiligten gemacht werden kann (Familienrichter*innen, Rechtsanwälte*innen, Verfahrensbeistände, Jugendämter). Praxiserfahrungen und Forschungen zeigen, dass rechtliche und organisatorische Bedingungen verbessert werden müssen, damit in gerichtlichen Verfahren, in denen es um Kinder geht, vom Kind aus gedacht wird.

1. Qualifikation der Familienrichter*innen
Familienrichter*innen tragen eine hohe Verantwortung in oft hochkonflikthaften Sorge- und Umgangsstreitigkeiten sowie komplexen Kinderschutzverfahren. Sie brauchen neben familienrechtlichen Kenntnissen Querschnittskompetenzen im kommunikativen und analytisch-diagnostischen Bereich. Um die häufig widersprüchlichen Informationen und Stellungnahmen in solchen Verfahren einordnen zu können, sind weitere Qualifikationen erforderlich. Dazu gehören rechtliche Kenntnisse im SGB VIII ebenso wie grundlegende Kenntnisse des Systems der Kinder- und Jugendhilfe, der Abläufe im Jugendamt und Kenntnisse hinsichtlich der Entwicklung von Kindern, Bindungs- und Familiendynamiken.
Wir fordern daher:

  • Es ist zu prüfen, inwieweit (neben der Befähigung zum Richteramt) weitere Qualifikationsanforderungen von Familienrichter*innen gesetzlich geregelt werden sollten, insbesondere im Bereich der Querschnittskompetenzen.
  • Interdisziplinäre Fortbildungen für Familienrichter*innen sollten ausgebaut und attraktiv gestaltet werden. Dafür sind entsprechende Einrichtungen und Ressourcen bereitzustellen.
  • Es ist zu prüfen, ob eine Fortbildungsverpflichtung eingeführt werden kann.
  • Es ist zu prüfen, ob es sinnvoll sein kann, an den Familiengerichten nicht mehr Proberichter*innen einzusetzen, sondern Richter*innen, die ihre dreijährige Probezeit abgeschlossen haben.

 

Zahlreiche Fortbildungen für Familienrichter*innen werden zwar jetzt schon angeboten, sie sind jedoch nicht verpflichtend. Die Kinderrechtskommission des DFGT (Deutscher Familiengerichtstag) hat sich im März 2018 für eine Qualitätsoffensive in der Familiengerichtsbarkeit ausgesprochen. Wir setzen uns (im Einklang mit der grünen BAG Kinder, Jugend, Familie) dafür ein, dass auf Bundesebene eine interdisziplinäre Kommission gebildet wird, die gangbare Wege auslotet, um (ggf. verpflichtende) Qualifikationsmöglichkeiten und Fortbildungen für Familienrichter*innen zu schaffen und attraktiv zu gestalten.

Auf Landesebene soll geprüft werden, inwieweit richterliche Fortbildungen für Familienrichter*innen ausgebaut und ggf. verpflichtend gemacht werden können.

2. Qualifikation der Verfahrensbeistände
Verfahrensbeistände haben in familiengerichtlichen Verfahren eine sehr wichtige Aufgabe, sie haben die Interessen des betroffenen Kindes festzustellen und im Verfahren zur Geltung zu bringen. Verfahrensbeistände tragen also als Vertretung des Kindes eine ganz erhebliche Verantwortung in familiengerichtlichen Verfahren, die Kinder betreffen. Nach § 158 Abs. 1 FamFG hat das Gericht einem minderjährigen Kind in familiengerichtlichen Verfahren, die seine Person betreffen, einen „geeigneten“ Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Kriterien für die „Eignung“ eines Verfahrensbeistandes legt das Gesetz nicht fest. Es bleibt der Entscheidung des jeweiligen Familienrichters oder der jeweiligen Familienrichterin überlassen, wer als Verfahrensbeistand bestellt wird. Das Familiengericht wählt im konkreten Einzelfall eine Person aus, die es für geeignet hält.
Die Führung von Verfahrensbeistandschaften wird ganz überwiegend als Nebentätigkeit, nicht im Hauptberuf ausgeübt. Oft sind Verfahrensbeistände im Hauptberuf Rechtsanwälte*innen, Therapeuten*innen oder Sozialpädagogen*innen. Die örtlichen Gepflogenheiten an den Familiengerichten sind unterschiedlich. Viele Verfahrensbeistände haben freiwillig Fortbildungen besucht, andere nicht. Die Qualifikation und die Professionalität der Verfahrensbeistände sind sehr unterschiedlich. Eine vorgeschriebene Ausbildung existiert nicht. Gesetzliche Anforderungen an die Qualifikation des berufsmäßigen Verfahrensbeistandes gibt es nicht.
Wir fordern daher:

  • Konkrete Kriterien sind als Voraussetzung für die Bestellung eines Verfahrensbeistandes gesetzlich festzulegen, u. a. der Nachweis einer Aus- oder Fortbildung zum Verfahrensbeistand, der Nachweis eines geeigneten Hauptberufs bzw. eine langjährige Berufserfahrung an einem Familiengericht.
  • Kontinuierliche Fortbildungen sollten für Verfahrensbeistände verpflichtend sein.
  • Institute, die zum Verfahrensbeistand ausbilden, müssen zertifiziert werden.

 

Wir setzen uns dafür ein, dass auf Bundesebene geprüft wird, inwieweit Qualitätsanforderungen für die Bestellung von Verfahrensbeiständen gesetzlich geregelt werden sollten.

Auf Landesebene soll geprüft werden, inwieweit Anforderungen an die Bestellung von Verfahrensbeiständen geregelt werden und Fortbildungen für Verfahrensbeistände zertifiziert werden können.

3. Kooperation der Beteiligten im Familiengerichtsverfahren und Sicherstellung der Teilnahme von Jugendamtsmitarbeiter*innen an Gerichtsterminen
Unterschiedliche Professionen und Institutionen sind mit unterschiedlichen Funktionen in ein familiengerichtliches Verfahren involviert. Das erfordert eine für alle Beteiligten klare Rollenzuordnung und gegenseitigen Respekt. Nur so können die Verfahrensbeteiligten ihre Zusammenarbeit bzw. ihre Aufgabenteilung sachgerecht praktizieren. Deshalb ist ein „regelmäßiger, interdisziplinärer Austausch zwischen Jugendamt / Gericht / Rechtsanwalt*innen / Verfahrensbeiständen / Sachverständigen und Beratungsstellen erforderlich, wechselseitige Vorbehalte der Professionen sind untereinander abzubauen“ (DFGT Okt. 2015). Dieser Austausch muss außerhalb eines Verfahrens stattfinden und braucht Regeln, Raum und Zeit. Zu einer gut funktionierenden fachlichen Kooperation der Verfahrensbeteiligten gehört auch Transparenz über Rollen, Aufgaben und Abläufen im Verfahren gegenüber den Familien und insbesondere den Kindern. Hier sehen wir noch Qualifizierungs- und Entwicklungsbedarf.
Die Jugendämter sind in Berlin derzeit weiterhin personell unterbesetzt. Teilweise schaffen es Jugendamtsmitarbeiter*innen nicht einmal mehr, wie eigentlich gesetzlich vorgesehen, an Gerichtsterminen teilzunehmen, die Umgangs- und Sorgerechtsverfahren betreffen.

4. Kinderrechte brauchen ein stabiles Fundament
Wenn ein Elternteil den Elternteil verlässt, der Gewalt ausgeübt hat, müssen Schutz und Hilfe für Elternteil und Kinder verlässlich garantiert sein. Nur so wird den Kindern klar, dass sie sich gegen Gewalt wehren können. Den Rahmen, in dem das Recht  Anwendung findet, bilden die Menschen, die in diesem Bereich tätig sind. Dazu gehören die Mitarbeiter*innen der Verwaltung, der Beratungsstellen ebenso wie Familienrichter*innen. Es bedarf einer umfassenden Aus- und Weiterbildung, die auf allen Ebenen des angewandten Familienrechts einen konsequenten Gewaltschutz für betroffene Elternteile und ihre Kinder interdisziplinär ermöglicht. Hierfür müssen die entsprechenden Mittel bereitgestellt und Fachkräfte ausgebildet werden. Das Angebot sollte zunächst auf freiwilliger Basis wahrgenommen werden. Langfristig sollte eine entsprechende Weiterbildung zur Ausübung der jeweiligen Tätigkeiten als verpflichtend angestrebt werden.
Wir fordern daher:

  • Die Jugendämter sind personell so auszustatten, dass sichergestellt ist, dass Jugendamtsvertreter*innen an familiengerichtlichen Verfahren teilnehmen können.
  • Dem Fachkräftemangel an Jugendämtern ist zu begegnen, indem der Arbeitsplatz Jugendamt attraktiver gestaltet wird, z. B. durch Bezahlung nach höheren Erfahrungsstufen und Reduzierung der Fallzahlen für die einzelnen Mitarbeiter*innen.
  • Nicht besetzte Stellen an Jugendämtern sind durch schnelle Ausschreibungsverfahren sowie Dauerausschreibungen im Internet möglichst rasch nachzubesetzen, für offene Stellen soll zielgruppenorientiert geworben werden, auch im Bereich social media.
  • Interdisziplinäre Fortbildungen und Veranstaltungen, an denen Familienrichter*innen, Anwält*innen, Verfahrensbeistände und Jugendamtsmitarbeiter*innen teilnehmen, sind regelmäßig durchzuführen, hierfür sind die entsprechenden Einrichtungen und Ressourcen bereitzustellen.