05.04.20 –
Die Polizei ist nicht nur für die Verfolgung von Straftaten, sondern auch für den Schutz aller Menschen verantwortlich, die in Deutschland leben oder sich hier vorübergehend aufhalten. Daher muss sie bei vielen Konflikten eingreifen. Dabei sind Polizist*innen vielfach mit gesellschaftlichen Problemen und Konflikten konfrontiert. Das kann für die Beamt*innen vielfach belastend sein. Durch die Ausweitung des Straf- und Polizeirechts sind Polizist*innen für viele gesellschaftliche Probleme zuständig und müssen diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten lösen. Aber muss die Polizei wirklich für so viele gesellschaftliche Probleme zuständig sein? Für uns gilt: Die Polizei soll nur eingreifen, wenn alle anderen Formen der gesellschaftlichen Konfliktbewältigung versagt haben. Das hat gute Gründe:
Viele Konflikte können besser durch Prävention außerhalb des polizeilichen Sektors gelöst werden, die durch Kommunikation langfristig Probleme vermeiden. Wir wollen daher die Präventionsarbeit, die Straffälligen-, Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe weiter stärken und die Institutionen unter der Beachtung hoher datenschutzrechtlicher Standards mit Sicherheitsakteuren effektiv vernetzen. Probleme wie Kriminalität gehen uns alle an: Deshalb muss ehrenamtliches und zivilgesellschaftliches Engagement auch in diesem Sektor unterstützt werden, gerade im Strafvollzug und der Präventionsarbeit.
Die Polizei handelt oft durch Grundrechtseingriffe – insbesondere zur Strafverfolgung und zum Schutz der Bevölkerung. Um einen wirkungsvollen Schutz unserer Freiheit zu gewährleisten, müssen wir Grundrechtseingriffe auf das notwendige Minimum reduzieren. Wir wollen deswegen betonen, dass Grüne Innenpolitik die Polizei als einen wichtigen Akteur unter Vielen versteht, der nur in Grundrechte eingreifen soll, wenn es unbedingt notwendig ist. Daher wollen wir auch Deeskalationsstrategien stärken. Für das Gefahrenvorfeld ist der nichtpolizeiliche Präventionssektor zuständig.
Die Polizei bleibt aber für viele gesellschaftliche Probleme zuständig. Die Belastung für die Beamt*innen ist teilweise so hoch, dass eine angemessene Polizeiarbeit nicht mehr möglich ist (etwa aufgrund von Überstunden und Schlafmangel auf Demonstrationen oder bei Fußballspielen). Allerdings sind auch die Belastungen für die Menschen groß, die von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind. Insofern gibt es Menschen, die sich von der Polizei rechtswidrig behandelt fühlen bzw. werden und denen Vertrauen in die polizeiliche Arbeit fehlt. Dies stellt ein großes Problem dar, da der Rechtsstaat nur funktioniert, wenn der Polizei und Beamt*innen vertraut wird. Auch von Polizist*innen wird dieser Vertrauensverlust und sogar gewalttätiges Handeln gegenüber Beamt*innen beklagt. Betroffene und Polizist*innen werden bzw. fühlen sich oft missverstanden und zu Unrecht beschuldigt. Wir wollen dazu beitragen, diese Konflikte zu befrieden. Denn es hat Gründe, dass es zu Fehlverhalten, Übergriffen auf Polizei und Konflikten kommt.
Teilweise sind Konflikte und polizeiliches Fehlverhalten strukturell bedingt, sodass den einzelnen Beamt*innen nicht immer ein Vorwurf zu machen ist. Oft kommt es zu Fehlern aufgrund widriger Umständen, wie Überlastung, Stress, fehlender Deeskalationsstrategien in Aus- und Fortbildung und Ähnlichem. Wir wollen betonen, dass viele Beamt*innen trotz dieser teilweise widrigen Umstände einen guten Job machen. Gleichzeitig gibt es Konfliktsituationen, in denen es zu Fehlverhalten wie unangemessenen Eingriffen, Diskriminierungen und Rassismus kommt. Rassistisches Verhalten und Denkmuster sind bei jedem Menschen vorhanden und in Stresssituationen wird beides wahrscheinlicher. Wer häufig mit Problemen und Konflikten zu tun hat, kann leicht einen verzerrten Blick auf die Gesellschaft entwickeln und die Sicherheitslage in Berlin schlechter bewerten, als sie eigentlich ist.
Diskriminierendes staatliches Handeln ist für Betroffene oft sehr belastend und viele Menschen berichten von entsprechenden Erfahrungen. Es ist bisher jedoch kaum empirisch belegt, wie oft es zu diskriminierenden und rassistischen Verhalten kommt. Hier steht oft Aussage gegen Aussage. Genau wie es Fälle von Rassismus in der Polizei gibt, wird es umgekehrt Fälle geben, in denen Polizist*innen rechtmäßig handeln, ihnen aber Rassismus vorgeworfen wird. Vorurteile und pauschale Bewertungen der Polizei kommen ebenfalls vor und tragen nicht dazu bei, Konflikte zu lösen, sondern verschlimmern diese häufig. Es gibt aber auch Situationen, in denen es zu Diskriminierungen kommt, ohne, dass die Beamt*innen etwas dafürkönnen, etwa, wenn sie aufgrund von Vorurteilen zu einem vermeintlichen Tatort gerufen werden, weil Menschen fälschlich aufgrund ihres Äußeren als gefährlich eingestuft wurden.
Polizist*innen stehen oft unter hohem Druck und müssen mit stressigen Situationen umgehen und können nicht immer auf alle Bedürfnisse der Bürger*innen Rücksicht nehmen. Ein gewisses Grundvertrauen in die Polizei als Institution des staatlichen Gewaltmonopols, das uns alle schützt, ist daher wichtig. Dabei muss aber auch beachtet werden, dass dieses Grundvertrauen bei Menschen fehlen wird, die sich schlecht behandelt und diskriminiert fühlen. Für uns ist klar, wer das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ernst nehmen will, der muss auch und erst Recht die Gefühle der Menschen ernst nehmen, die sich von Polizist*innen schlecht behandelt fühlen und das Gefühl haben, diskriminiert worden zu sein. Diese Menschen fühlen sich besonders unsicher.
Auch wenn wir niemals alle Fehler abstellen können, werden wir aber die strukturellen Probleme in der Sicherheitspolitik angehen, damit sich sowohl die Situation für die Polizist*innen als auch ihr Gegenüber verbessert und Fehler und Belastungen für beide Seiten auf ein Minimum beschränkt werden.
Wir fordern daher:
1. Dass untersucht wird, inwieweit es in Berlin zu diskriminierenden Erfahrungen im Kontext mit dem Handeln von Polizist*innen gekommen ist und was die Ursachen waren.
2. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Arbeitsbedingungen der Polizei, um zu ermitteln, wann und warum es zu Konflikten mit Bürger*innen kommt und wie diese vermieden werden können. Das Land Berlin wird eine entsprechende Studie einer unabhängigen Forschungsstelle in Auftrag geben.
3. Die Stärkung des Dialogs zwischen Polizei und Zivilgesellschaft. Dazu muss die Polizei im regelmäßigen Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren (insbesondere mit Betroffenen und Organisationen, die sie vertreten) und anderen Behörden stehen. Dazu sollen Formen der Kommunikation von Polizist*innen noch stärker gesetzlich geregelt werden, etwa die deeskalierende Kommunikation im Kontext mit Demonstrationen (z. B. Ausweitung und Stärkung von Kommunikationsteams). Dazu ist aber erforderlich, dass über Sicherheitsvorkehrungen
(besonders im Kontext mit Demonstrationen) die Polizei nicht ausschließlich alleine entscheidet, sondern dass mit allen Beteiligten im Dialog Sicherheitsstrategien entwickelt werden, die alle Interessen berücksichtigen.
4. Wie wollen mehr Kontaktbereichsbeamt*innen einsetzen, die nicht nur vorm Computer sitzen oder im Auto zu Einsätzen fahren, sondern im Kiez unterwegs und ansprechbar sind. Polizist*innen agieren für uns nicht nur einsatzbezogen, sondern müssen auch Raum haben, Streife zu gehen oder zu fahren (bevorzugt mit dem Fahrrad) und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Zudem soll die Fahrradstaffel ausgebaut werden. Die Arbeit hat sich als sehr erfolgreich erwiesen, um Verkehrsunfälle zu verhindern, vor allem, da die Polizist*innen leichter Kontakt zu den Bürger*innen aufnehmen können.
5. Die gesetzliche Regelung der Informationspflichten der Polizei. Nur so können die Menschen polizeiliches Handeln verstehen und Vorurteile abbauen. Insbesondere soll die Polizei nach offenen polizeilichen Maßnahmen den Betroffenen so schnell wie möglich einen Nachweis ausstellen aus dem sich ergibt, wann, wie und warum diese Maßnahme erfolgte. Polizeiliche Eingriffe sind zu dokumentieren und im Rahmen von Statistiken auszuwerten, damit diese in der Öffentlichkeit diskutiert werden können und damit die Polizei selbst beurteilen kann, wie erfolgreich sie agiert. Hierdurch wird Vertrauen in die Polizei geschaffen, denn Intransparenz verhindert Vertrauen und die Kräfte der Polizei können uns effektiver schützen und Straftaten verfolgen.
6. Die Stärkung der Nachsorge und Vorbereitung auf kritische Einsätze und Konflikte (auch mit externer Unterstützung). Die Polizist*innen müssen besser auf belastende Situationen vorbereitet werden, etwa den Umgang mit psychisch kranken Menschen etc. Dazu sind regelmäßige Fort- und Weiterbildungen erforderlich.
7. Mehr Raum für Polizist*innen, um Probleme und Belastungen anzusprechen. Dazu bedarf es auch einer externen Supervision. Ferner ist kritisch zu hinterfragen, ob in der Polizei Fehler ausreichend aufgearbeitet werden und wie eine Aufbereitung von Fehlern besser gewährleistet werden kann. Gleichzeitig muss auch sichergestellt werden, dass Polizist*innen nicht davon abgehalten werden, Fehler anzusprechen. Auch Polizist*innen müssen in einem gewissen Maß Fehler zugestanden werden, da jeder Mensch Fehler macht. Das Ansprechen von Problemen und Defiziten darf keine dienstrechtlichen Konsequenzen haben. Fehler sollten daher auch und in einigen Fällen vor Allem bei der Polizeibeauftragten angesprochen werden, worauf die Beamt*innen auch von dienstlicher Seite hinzuweisen sind.
8. Da die neu zu schaffende Stelle der Polizeibeauftragten gerade bei der Schaffung einer Fehlerkultur einen bedeutenden Beitrag leisten wird, werden wir in der nächsten Legislaturperiode die Kompetenzen der Polizeibeauftragten ausweiten. Wir freuen uns, dass die Stelle geschaffen wird. Gleichzeitig kann die Stelle über den bestehenden Kompromiss der Koalition noch ausgeweitet und verbessert werden. Dazu gehören insbesondere Ermittlungskompetenzen während der Straf- und Disziplinarverfahren. Ferner ist die Stelle mit ausreichenden Personalmitteln auszustatten, um ihrem Auftrag ausreichend nachkommen zu können.
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